Also legt er gleich los. Boll gibt den Teilnehmern zunächst den richtigen juristischen Terminus mit auf den Weg: „Nach dem BGB seid ihr Besitzdiener.“ Beauftragt vom Eigentümer eines Gebäudes, eines Grundstücks, eines Zugs – ist der Sicherheitsmitarbeiter mit all den Rechten ausgestattet, die sonst dem Eigentümer vorbehalten sind. Und das heißt? „Eigentlich könnt ihr euch fast alles erlauben, ihr müsst am Ende nur die richtige Ausrede haben“, sagt Boll und lacht kurz auf.
Immer wieder baut er diese Verweise ein, die man als zynisch auffassen kann oder als brutalen Pragmatismus. Einmal erläutert er den Sonderfall der Notwehr, den Notwehrexzess. In engen Grenzen kann dabei der Täter straffrei bleiben, aber die Beweisführung ist schwierig. „Wenn es so weit kommt“, sagt Boll, „dann ist es in der Praxis wohl besser, wenn euer Gegner gar nicht mehr wieder aufsteht.“ Das Prinzip: Wenn ich ein Eigentum bewache, dann bestimme ich auch die Regeln. Wer Stress macht, bekommt ein Problem mit mir. Alles Weitere klären wir vor der Tür.
Welche Folgen diese Neigung zur Selbstjustiz hat, zeigte sich zuletzt an der deutsch-österreichischen Grenze. Da wunderte sich die Landtagsabgeordnete Eva Gottstein von den Freien Wählern, als sie von einem Sicherheitsmann beim Versuch, mit der Bahn von Kufstein nach München zu kommen, nach ihrem Ausweis gefragt wurde. Als sie sich weigerte, wollte man sie nicht in den Zug lassen. Ausweise kontrollieren, dürfen die Sicherheitsleute das überhaupt? Dürfen sie nicht, stellte Landesinnenminister Joachim Herrmann wenig später klar. Und enthüllte dann doch, wie die staatliche Verwaltung bis zu diesem Zwischenfall wohl beide Augen zugedrückt hatte. Um den Flüchtlingsstrom zu stoppen, hatte die Bundespolizei im Herbst den Bahnbetreiber vor die Wahl gestellt: Entweder ihr sorgt dafür, dass in euren Zügen in Zukunft weniger Flüchtlinge ins Land kommen – oder wir halten die Züge so lange an der Grenze an, bis jeder Fahrgast von uns kontrolliert worden ist. Der Betreiber wählte die erste Option – um den Rest sollte sich der Sicherheitsdienst kümmern.
Der Fall zeigt eine typische Zwickmühle zwischen Auftrag und Legalität, in die sich Sicherheitsdienste gerne begeben. Auf der einen Seite stehen die Wünsche des Eigentümers, auf der anderen Seite der drohende Rechtsbruch, um diese durchzusetzen.
Der Staat schiebt die Verantwortung ab
Schon in der ersten Pause kommt einer der Teilnehmer zu Boll. Er gehört zu einer Gruppe türkischstämmiger Sicherheitsleute, die im hinteren Teil des Raumes Platz genommen haben und sich nur in ihrer Muttersprache unterhalten. „Wenn das in der Prüfung drankommt, kann jetzt gleich gehen“, sagt er in gebrochenem Deutsch zu Boll, „ich hab überhaupt nichts kapiert.“
So wie ihm geht es fast allen hier. Der Kursleiter rattert Normen und rechtliche Definitionen herunter, um das 300-seitige Lehrbuch in vier Tagen durchzuarbeiten, bleibt ihm auch kaum etwas anderes übrig. Das vom DIHK herausgegebene Buch selbst liest sich eher wie ein Gesetzeskommentar als wie ein Unterrichtsmaterial. 300 eng bedruckte Seiten, viele Paragrafen, keine Schaubilder, keine Praxisfälle.
Und so verfestigt sich schnell der Eindruck: Hier geht es nicht um die Interessen der Auszubildenden, sondern um die des Staates. Wenn jeder Sicherheitsmitarbeiter die Unterrichtung durchlaufen hat, können die staatlichen Aufseher zu Recht behaupten: Wir haben sie über ihre gesetzlichen Rechte und Pflichten aufgeklärt. Ob die Teilnehmer verstanden haben, was ihnen da erzählt wurde spielt keine Rolle mehr – die Verantwortung für Fehler tragen sie schließlich alleine.
Als Auslese fachlich und persönlich geeigneter Mitarbeiter dient diese Scheinausbildung ganz offensichtlich nicht, wie jüngst eine Untersuchung in Rheinland-Pfalz offenbarte. Dort wurde im Dezember aufgedeckt, dass drei Rechtsradikale als Sicherheitsmitarbeiter in einem Flüchtlingsheim gearbeitet hatten. Also überprüfte das Landeskriminalamt alle gut 1100 Sicherheitsmitarbeiter in den Unterkünften des Landes. Die Beamten fand zwar nur zwei weitere Rechtsradikale, mussten aber insgesamt 79 Mitarbeiter aufgrund diverser Vorstrafen sofort aus dem Dienst entfernen. Das heißt: Bei einer mehr oder weniger zufälligen Stichprobe entpuppten sich fast zehn Prozent aller Beschäftigten als Kriminelle.
Am zweiten Tag ist Boll beim Thema verbotene Waffen angekommen: Der Dozent unterscheidet da grundsätzlich zwischen denen, „die Peng machen“, und denen, „die Löcher machen“. Einhandmesser, als Taschenlampe getarnte Elektroschocker, Totschläger, Boll zählt auf, was alles nicht erlaubt ist. Ein paar Minuten dreht sich die Diskussion um „Katzenköpfe“, als Schlüsselanhänger in Katzenform getarnte Schlagringe. Zivko, ein gemächlicher Typ um die 40, der zum von Alkohol und Zigaretten gezeichneten Gesicht verblichene Tätowierungen und Jeansjacke trägt, erkundigt sich: „Und was ist mit Laserpointern?“ Boll weiß, wohin die Frage zielt. „Du meinst wahrscheinlich nicht die, mit denen ich hier durch Folien klicke!“ Zivko erklärt: „Nein, aber es gibt ja so Dinger, also, in Tschechien da haben die jetzt so blaue, die brennen dir aus 30 Zentimenter Entfernung ein Loch in die Hand.“