Serdar Somuncu

Die Verhörmethoden des Kapitalismus

Meinung ist wichtig, schon klar. Aber warum werden wir Kunden mit dämlichen Feedback-Fragen malträtiert?

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Serdar Somuncu ist Kabarettist und Buchautor. Quelle: Laif

Vor Kurzem habe ich mein Auto in die Reparatur gegeben. Nichts Großes, nur ein kurzer Check. Ölstand und Reifendruck überprüft und das war’s auch schon. Wie es aber heutzutage bei Dienstleistern aller Art so üblich ist, erhielt ich schon wenige Tage danach einen Anruf von einer unbekannten Nummer, und eine halbwegs auf freundlich gedrillte Stimme wollte mir kurz ein paar Fragen zu meinem letzten Werkstattbesuch stellen.

Eigentlich war ich auf dem Sprung und hatte weder Lust noch Zeit auf ein Tête-à-Tête mit der unsichtbaren Meinungsstasi. Etwas ungeduldig willigte ich dennoch ein, weil ich meinem freundlichen Werkstattleiter kein Unrecht tun und ihn vor seinen Vorgesetzten nicht im Stich lassen wollte. Schließlich ist eine Nichtbewertung in diesen Zeiten, in denen jeder über jede Dienstleistungsbegegnung mit Sternchen, Noten oder Kommentaren scharfrichtern soll, im Prinzip ja schon eine Schlechtbewertung.

Also begann das Verhör mit harmlosen Fragen.

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Die in all ihrer empathielosen Freundlichkeit schon fast wieder aggressiv-penetrante Dame wollte zum Beispiel von mir wissen: „Waren Sie mit Ihrem letzten Werkstattbesuch zufrieden?“ und „Würden Sie uns wieder besuchen?“. Und trug schließlich auch bohrende Frage-und-Antwort-Spielchen vor wie: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie würden Sie Ihren Besuch bewerten?“ Oder: „Würden Sie unsere Dienste auch weiterempfehlen: Ja? Nein? Vielleicht?“

Insgesamt mutierte so die angekündigte Zwei-Minuten-Fragerunde zu einem verhörähnlichen Schlagabtausch über satte zehn Minuten, in denen ich mehr oder weniger gelangweilt bis genervt auf Fragen antwortete, die mich in Wirklichkeit nicht im Geringsten interessierten. Hätte man mich gefragt, ob ich für die bloße Überprüfung des Luft- und Öldrucks einen Gratisgutschein für meinen nächsten Autokauf angenommen hätte, so wäre meine Stimmung am Ende des Telefonats sicher besser gewesen, und ich hätte freudig eingewilligt.

Diese Autobauer haben die zufriedensten Kunden
Volvo Quelle: dpa
Toyota Quelle: dpa
Opel Adam Quelle: obs
Skoda Fabia Quelle: obs
Toyota Auris Quelle: dapd
Skoda Superb Quelle: obs
Kia Sportage Quelle: obs

So aber habe ich mich gefragt, was es einer Marktforschung bringt, wenn sie ihre Kunden so lange mit dämlichen Fragen malträtiert, bis diese mehr aus Pflichtbewusstsein mit nur scheinbar ernst gemeinten Bewertungen antworten, statt sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie man den Service in Zukunft optimieren könnte. Und was sagt es eigentlich über den Kapitalismus unserer Tage aus, wenn er seine treudoofsten Vasallen, die Konsumenten, mit Verhörmethoden malträtiert, die Sicherheitsdiensten im real existierenden Kommunismus zur Ehre gereicht hätten?

Na gut, wahrscheinlich interessiert es die Stimme am anderen Ende der Leitung genauso wenig wie mich, ob das Unternehmen X seine Dienste verbessern kann. Und wahrscheinlich sind die Auftraggeber dieser Roboter-Telefonisten genauso darauf aus, für ihre unnötigen Dienste so viel Geld wie möglich abzukassieren – nur um dann am Ende festzustellen, dass das beste Marketing immer noch der persönliche Kontakt vor Ort und die Zufriedenheit des Kunden bleibt. Dafür allerdings braucht man noch nicht einmal zwei Minuten Zeit, sondern nur ein Gespür für die gute Tat zur richtigen Zeit.

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