Wer an einem normalen Mittwochnachmittag durch den öffentlichen Bereich des Flughafens Düsseldorf läuft, erlebt das Terminal als einen „offenen und großzügig gestalteten Ort“, wie der damalige Oberbürgermeister der Stadt Joachim Erwin zur Eröffnung im August 2001 lobte. Doch seit am vergangenen Wochenende die Sommerferien im bevölkerungsreichsten Bundesland begonnen haben, wachsen wieder lange Schlangen, die besonders vor der Sicherheitskontrolle nur durch feste Absperrgitter gebändigt werden können.
Dabei ist langes Anstehen vor den Passagierkontrollen eigentlich unnötig. Dank einer neuen Generation von Kontrollgeräten können die Prüfungen gut zweieinhalb Mal so schnell ablaufen. Nach erfolgreichen Versuchen in den USA oder Amsterdam müssen nun auch an Testspuren am Flughafen München Laptops und Flüssigkeiten im Handgepäck nicht mehr mühsam ausgepackt werden, sondern dürfen im Koffer bleiben. In Arbeit ist bereits eine neue revolutionäre Technik, die Passagiere beim Sicherheitscheck quasi im Vorübergehen durchleuchtet. „Da wird aus unserer Kontrolle zum Davonlaufen eine zum Durchlaufen“, kalauert ein führender Flughafenmanager.
Das ist fast nirgends in Europa so nötig wie in Deutschland. Denn so effizient hierzulande die Flughäfen auch ihre Läden oder die Abfertigung der Flugzeuge erledigen, jetzt zum Höhepunkt der sommerlichen Reisezeit zeigt sich: Die von der öffentlichen Hand organisierten Sicherheitskontrollen sind in der Regel deutlich langsamer als in anderen Ländern. Laut einer Studie des Flughafenverbands ADV schafft eine Sicherheitskontrolle an den größten deutschen Airports mit rund 100 Passagieren pro Stunde nicht mal halb so viel wie eine Spur an den Drehkreuzen Amsterdam, Brüssel und sogar an dem als Labyrinth verschrienen London-Heathrow.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass neue Technik hierzulande deutlich zögerlicher eingeführt wird als anderswo. „Da ist es für uns schwerer, im Vergleich zu anderen internationalen Flughäfen wettbewerbsfähig zu bleiben“, so Lufthansa-Chef Carsten Spohr.
Darum testet auch nicht zufällig Spohrs aktueller Lieblingsflughafen München, wie es besser geht. Im Terminal 2, das die Lufthansa und ihre internationalen Partnerlinien für sich allein haben, gibt es auf zwei der insgesamt 30 Sicherheitskontrollen eine völlig neue Technik.
Bei der Anlage, die so ähnlich bereits seit Januar am Flughafen Amsterdam in Regelbetrieb ist, sorgen gleich zwei sichtbare Neuerungen für eine deutlich schnellere Abfertigung. Dank eines neuen Designs können statt einem nun bis zu vier Reisende gleichzeitig ihr Handgepäck in die Kontrollwannen legen. Das erlaubt routinierten Passagieren, diejenigen zu überholen, die beim Sortieren ihrer Tascheninhalte länger brauchen. Das Verfahren, das auch Köln, Hamburg und Frankfurt erprobt haben, sorgt dafür, dass fast doppelt so viele Menschen pro Stunde kontrolliert werden können.
Der Clou der Münchner Spur sind die neuen Durchleuchtungsgeräte der Hersteller L3 aus den USA und dem Deutschlandableger der britischen Firma Smith Detection aus Wiesbaden. Weil diese Sprengstoffe und anderes Gefahrengut durch die Kofferwand erkennen, dürfen erstmals seit 2006 wieder größere Elektrogeräte wie Laptops sowie Flüssigkeiten im Handgepäck bleiben.
Damit entfällt der größte Teil des Aus- und Umpackens am Anfang vor der Kontrolle ebenso wie das lästige Wieder-Zusammenraffen danach. Das erhöht die Kapazität der Kontrolle nochmals und sogar mehr als erwartet. „Wir haben einen Durchsatz pro Spur und Stunde von 260 Passagieren“, so die Sprecherin der für die Flughafensicherheit in München zuständigen Regierung von Oberbayern. Zuvor lag die Erwartung bei bestenfalls 250. „Auf einer konventionellen Kontrollspur sind es 100 Passagiere“, so die Sprecherin.
Möglich macht das der Einsatz von Computertomografen (CT). Die Geräte erstellen wie ähnliche Apparate in Krankenhäusern ein detailliertes plastisches 3-D-Abbild. Dazu können sie verdächtige Stellen zuverlässiger markieren, so dass die Kontrolleure Waffen oder Sprengstoffe schneller als bisher erkennen können. „Die Systeme produzieren weniger Fehlalarme bei ungefährlichen Dingen an, wodurch viele Nachkontrollen entfallen“, heißt es am Flughafen Amsterdam.
Entspannte Fluggäste shoppen mehr
Die Resonanz auf die neue Kontroll-Technik ist gut. Zwar will die für die Münchner Flughafensicherheit zuständige Regierung von Oberbayern noch kein abschließendes Urteil fällen. Doch aus Sicht der Behörde gilt: „das Projekt wird von allen beteiligten Stellen bereits jetzt als erfolgreich eingestuft und ist zukunftsfähig.“ Etwas konkreter wird der Flughafen Amsterdam. „Die Passagiere sind begeistert und deutlich entspannter“, heißt es da.
Den Heimatairport von KLM freut das gleich aus zwei Gründen. Zum einen können sie dank der neuen Kontrollen das erwartete Wachstum besser bewältigen und müssen nicht mehr Prüfspüren in die ohnehin engen Hallen quetschen. Dazu reisen dank der neuen Kontrollen die Kunden lieber ab Amsterdam als von anderswo.
Und weil sie die Checks lockerer verlassen, kommen sie schneller in Konsumlaune und lassen mehr Geld in den Läden. Diese Erträge brauchen die Flughafenbetreiber dringend, um Einnahmerückgänge anderswo auszugleichen. Denn nach der Konsolidierungswelle der vergangenen Jahre gibt es immer weniger, aber größere Airlines. Und die nutzen ihre gestiegene Verhandlungsmacht, um den Airports mehr Rabatte bei den Lande- und Abfertigungsentgelten abzupressen. Darum sollen die neuen Geräte dort ebenso zur Regel werden wie in London-Heathrow, Chicago oder Atlanta in den USA sowie Jeju in Korea oder Chubu in Japan.
Auch in Deutschland würden alle Flughäfen gerne sofort nachziehen. Doch bis die Münchner Kontrolle zur Regel wird, kann es noch eine Weile dauern. Denn anders als in Amsterdam entscheiden hierzulande nicht die Airports über Organisation und Technik bei den Checks, sondern allein die Bundespolizei.
Und die beschafft neues Gerät auf ihre eigene Art. Zwar gibt die EU die Standards vor und hat die CT-Scanner im vorigen Jahr zugelassen. Doch bevor die Apparate an deutschen Airports den ersten Probelauf machen dürfen, müssen sie erst noch erfolgreich die Forschungs- und Erprobungsstelle der Bundespolizei in Lübeck bestehen. Deren Tests gelten als sehr gründlich und darum nicht übertrieben schnell.
Dazu bremst die deutsche Vergabe-Praxis viele Neuerungen. Hat sich die Bundespolizei für ein System entschieden, zwingt das deutsche Recht die Behörden, zum niedrigsten Preis zu kaufen. Und den gibt es meist nur, wenn sich die Bundespolizei für mehrere Jahre an einen Lieferanten bindet und auf das Recht zum automatischen Upgrade auf bessere Geräte mehr oder weniger verzichtet.
Einzige Ausnahme ist Bayern, wo statt des Bundes die lokale Politik zuständig ist. „Ist die wie die Regierung Oberbayern offen für Neuerungen, erfordert das zwar mehr Investitionen. Aber es geht eben deutlich schneller und kundenfreundlicher zu als bei uns“, klagt der Chef eines nicht-freistaatlichen Flughafens.
Das Ende der 100-Milliliter-Fläschchen naht
Aber vielleicht bietet die deutsche Zögerlichkeit den Behörden auch die Chance, früher auf die nächste Generation nach den heutigen CT-Scannern zu setzen. Denn Flüssigkeiten im Handkoffer zu testen, gilt in der Branche als erster Schritt zum Ende des heutigen Verbots von Fläschchen und Tuben mit mehr als 100 Millilitern. „Erkennen wir sicher den Inhalt einer Flasche, ist die Größe egal und dann kann jeder auch wieder große Wasserflaschen mit an Bord nehmen“, so ein Flughafenchef. „Voraussetzung ist allerdings, dass dann alle Flughäfen in Europa die Technik nutzen.“
Dazu arbeitet die Kontrollbranche bereits an der nächsten Revolution. Künftig sollen die Kunden nach dem Ablegen des Handgepäcks nicht länger in engen Kabinen oder breitbeinig vor einer Wand im Stillstand durchleuchtet oder gar von Hand nachkontrolliert werden. Die britische Firma Sequestim hat im Dezember am Flughafen der britischen Stadt Cardiff ein Gerät getestet, das Passagiere quasi im Vorübergehen untersucht. Bei der an den Arnold-Schwarzenegger-Film „Total Recall“ erinnernden Technik suchen extrem empfindliche Sensoren nach kleinsten Wärmeunterschieden. Sie erkennen angeblich eine Glühbirne aus 800.000 Kilometer Entfernung. „So finden sie an Hand der Hitze-Muster gefährliche Gegenstände wie Pistolen, Messer oder auch Sprengstoffe“, sagt Ken Wood, Marketing-Chef der Tochtergesellschaft. „Damit können bis zu 1000 Personen pro Stunde durch die Kontrolle“. Das wäre dann nochmal das Vierfache dessen, was die Münchner Kontrolle schafft.
Ab 2021 will Sequestim, eine Ausgründung aus der Universität Cardiff, liefern können. Damit wären dann lange Schlangen vor den Kontrollen wohl endgültig eine Sache der Vergangenheit.