Vom 28. bis 31. Dezember ist für die Firma Comet die wichtigste Zeit des Jahres. An den letzten drei Verkaufstagen im Jahr dürfen in Deutschland Raketen und Co. legal verkauft werden. Während dieses knappen Zeitfensters erwirtschaftet der Hersteller für Feuerwerkskörper aus der norddeutschen Küstenstadt Bremerhaven 95 Prozent des gesamten Jahresumsatzes. Dieser beträgt nach Unternehmensangaben immerhin 20 Millionen Euro. Um diese Zahl zu erreichen, muss die explosive Ware aus der Seestadt an 25.000 Verkaufsstellen in ganz Deutschland verteilt werden. Ein gigantischer Logistik-Aufwand für das Unternehmen, das seit über 50 Jahren im Geschäft ist.
"In diesem Jahr haben wir rund 1000 unterschiedliche Produkte auf dem Markt, die bis zum 28. Dezember an den einzelnen Verkaufsstellen eingetroffen sein müssen", sagt der 48-jährige Comet-Geschäftsführer Richard Eickel. Die Zahl seiner Mitarbeiter hat er in der Hauptsaison verdoppelt. 140 Personen haben sich im Vorfeld darum gekümmert, die fast 30.000 Sendungen auf den Weg zum Kunden zu schicken. "Jede Verkaufsstelle beliefern wir mit den Waren, die dort gewünscht werden. Jede Order ist anders, sowohl von der Stückzahl als auch von den einzelnen Produkten", erklärt Eickel.
Die Zahlen klingen beeindruckend. Dabei könnten sie noch größer sein. Denn wäre das Geschäft in Europa nicht so kompliziert, würde sich ein Teil der Produktpalette im Ausland verkaufen lassen. Zwar gibt es eine einheitliche europäische Richtlinie für den Verkauf von Pyrotechnik, doch die Handhabung innerhalb der einzelnen Länder weicht von diesen massiv ab.
So funktionieren Silvester-Raketen
Nach Anstecken der Sicherheitszündschnur brennt diese mit einer Verzögerungszeit von drei bis acht Sekunden ab und zündet dann den Treibsatz an.
Aus der Düse entweicht das durch den Abbrand des Treibsatzes entstehende Gas und treibt die Rakete nach dem Rückstoßprinzip in die Höhe.
Ist der Treibsatz abgebrannt und hat die Rakete die entsprechende Höhe erreicht, zündet die sogenannte Effektfüllung. Die Sterne werden hierdurch am Himmel verteilt.
Zunächst wird eine sogenannte Treibsatzhülse mit Ton gefüllt. Anschließend wird Schwarzpulver in einer Kapsel eingefüllt und dann unter einem bestimmten Druck festgepresst. Dieser Treibsatz kommt in eine weitere Hülse, in die dann wiederum die Effektladung für die Sterne eingefüllt wird. Die Treibsatzhülse wird abschließend mit einer Scheibe verschlossen.
Die Verzögerungszündschnur wird mit einer Schwarzpulvermischung in den Düsenkanal des Treibsatzes eingeklebt. Der nun fertige Raketenmotor wird in die Versatzkappe eingeklebt. Hiernach wird der sogenannte Leitstab aus Holz am Raketenmotor befestigt.
Nach dem Sprenggesetz ist es strafbar, Raketen oder andere Knallkörper selber zu bauen. Nach Paragraf 40 drohen bei Vergehen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe.
Um das Chaos, das daraus entsteht, zu verstehen, muss man die verschiedenen Kategorien kennen, die seitens der Europäischen Kommission ins Leben gerufen wurden, um den Verkauf der Knaller und Raketen zu regeln. Zur Kategorie 1 gehören die Feuerwerkskörper, die das ganze Jahr über verkauft werden dürfen, zum Beispiel Knallerbsen oder Wunderkerzen. In die Kategorie 2 fallen Chinaböller, Raketen und Feuerwerksbatterien mit bis zu 500 Gramm pyrotechnischem Satz. Sie dürfen nur an Silvester, an Volljährige verkauft werden. Die Kategorie 3 beinhaltet Feuerwerkskörper die nur an lizensierte Pyrotechniker verkauft werden dürfen. Und bei der Kategorie 4 sind die Vorschriften noch strenger. Die Feuerwerkskörper, die zu dieser Gefahrenklasse gehören, sind die größten, ausschließlich für Großfeuerwerke gedachten Gegenstände wie Kugelbomben und große Raketen, die von Fachleuten bei großen Events eingesetzt werden können.
Kategorien-Chaos in Europa
So zumindest lauten die Einschränkungen für Deutschland. Während die Produktzuordnungen im Rahmen einer europäischen Richtlinie auf alle EU-Staaten zutreffen, kann jedes Land seine eigene Handhabe dieser Richtlinie bestimmen. Hier gilt also nationales Recht. Ein Alptraum für alle, die mit Feuerwerksequipment ihr Geld verdienen – und auch eine unverständliche Regel für den Kunden.
Anbei einige Beispiele: In Österreich sind Gegenstände der Kategorie 2 schon ab 16 Jahren erhältlich, so auch in der Schweiz. Außerdem gehen hier sogar Artikel der Kategorie 3 an volljährige Kunden. In Slowenien und den meisten skandinavischen Ländern wiederum ist der Verkauf, der Besitz und die Verwendung von Böllern und Knallern – also allem, was einfach nur Krach macht – grundsätzlich verboten.
Feuerwerkskörper der Kategorie 1 müssen in allen europäischen Ländern akzeptiert werden. Aber auch hier gibt es Abweichungen bezüglich der Altersgrenze. In der Slowakei liegt sie bei 15 Jahren und in Ungarn bei 14 Jahren.
Sicher durch die Silvesternacht
Beim Kauf der Feuerwerkskörper immer auf die gültigen Sicherheitssiegel „BAM“, „CE“ und „VPI“ achten.
Wer auf großen Plätzen das Silvesterfeuerwerk erlebt, sollte sich ein paar Ohrstöpsel mitnehmen. Es kann laut werden. Die Zahl der Hörschäden pro Silvesternacht in Deutschland wird auf 3000 geschätzt.
Auch Erwachsene dürfen Böller nur in sicherem Abstand zünden: mindestens zehn Meter, und selbst das kann zu wenig sein, meinte das OLG Nürnberg und strich einer verletzten Zuschauerin einen Teil des Schmerzensgeldes, weil sie näher herangegangen war.
Das Abrennen von Feuerwerk ist in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen verboten. Seit Oktober 2009 gilt das Gebot auch für Bereiche um Reet- und Fachwerkhäuser. Die Regelung ist unmittelbar geltendes Recht. Ob ein Abbrennort in "unmittelbarer Nähe" eines der vorgenannten geschützten Objekte ist, wird anhand der örtlichen Gegebenheiten bestimmt.
Keineswegs dürfen Eltern ihren Kindern Feuerwerkskörper geben, denn das kann teuer werden. So mussten Eltern aus Kiel bereits vor Jahrzehnten 20.000 Mark Schadenersatz zahlen, weil ihr siebenjähriger Sohn jemanden ins Auge getroffen hatte.
Jeder, der Raketen und Böller zündet, sollte eine Haftpflichtversicherung haben. Sie greift auch bei grober Fahrlässigkeit, wobei Vorsatz ausgeschlossen ist. Einen Böller direkt neben einer Telefonzelle zu zünden, gilt zum Beispiel als Vorsatz.
Sogar die Verkaufstage werden in Europa ganz unterschiedlich gehandhabt. Anders als in Deutschland können in England Feuerwerkskörper mehrere Wochen vor Ende des Jahres erworben und sogar abgefeuert werden. In Deutschland ist das Abfeuern der Knallkörper nur zwischen dem 31. Dezember (0 Uhr) und dem 1. Januar (24 Uhr) erlaubt.
"Als wären die Menschen in England vorsichtiger als in Österreich oder Deutschland", sagt Heinz Swart zweifelnd. Er ist seit 2005 als Geschäftsführer für den Bereich Technik bei Comet Feuerwerk in Bremerhaven beschäftigt. Für ihn und die gesamte Branche ist der unterschiedliche Umgang mit den Richtlinien aus Brüssel frustrierend. "Dadurch müssen die Produkte in den einzelnen Ländern unterschiedlich beschriftet, beziehungsweise zusammengestellt werden. Für die Industrie ist das sehr kompliziert. Entsprechend sind wir im Wesentlichen auf Deutschland spezialisiert", sagt Heinz Swart. Der europäische Markt lässt sich nur eingeschränkt erobern.
Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) findet das genau richtig. "Die Richtlinie der 27 EU-Staaten ist nur der kleinste gemeinsame Nenner", erklärt Ulrike Rockland, Pressesprecherin. "Die BAM prüft seit 1969 Feuerwerkskörper. Wir haben viele Erfahrungswerte, auf die wir zurückblicken können." Entsprechend ist die rechtliche Situation in Deutschland strenger geregelt als auf von Europa vorgeschlagen. "Der Staat hat eine Fürsorgepflicht für seine Bürger, der wird mit den Sicherheitsvorschriften nachgekommen", sagt Rockland. Außerdem sei die regionale Handhabe sinnvoll, weil jedes Land in Europa seine ganz eigene Tradition mit dem Feuerwerk hat. "Die Spanier haben vor allem ein Tagfeuerwerk, die wollen es besonders laut und hell. In Frankreich gibt es vor allem Großfeuerwerke", heißt es seitens des BAM. Die gemeinsame Richtlinie sei vor allem wichtig, um Sicherheitstandards festzulegen.
Gemeinsames Siegel, getrennte Handhabe
Das ist auch eines der Anliegen, die Heinz Swart aus dem Hause Comet verfolgt. Der gelernte Schiffs- und studierte Maschinenbauer sitzt immer wieder mit anderen Fachleuten als Berater für die Europäische Kommission zusammen. „Dabei geht es vor allem um die Sicherheit der Kunden.“ Und so streitet er sich mit seinen europäischen Kollegen nicht nur über Schallgrenzen, Altersbegrenzungen und Klassifizierungen. Er diskutiert auch Vorschläge, wie die Pyrotechnik sicherer konstruiert werden kann. „Bei den Batterie- und Verbundfeuerwerken haben wir eine Art Notfallzündschnur eingeführt, die so genannte Ersatzanzündschnur“, sagt er. Versagt eine Batterie, kann die Ersatzanzündschnur gezündet werden und der Feuerwerkskörper brennt seine Effekte komplett ab.
Heinz Swart fährt selbst immer wieder in das Werk in China, wo er mit 50 Mitarbeitern dafür sorgt, dass die Qualität in den Fabriken stimmt. Dort werden fast ausschließlich in Handarbeit die Feuerwerkskörper hergestellt. Über 2000 Qualitätsprüfungen hat er im Jahr 2012 koordiniert, damit die Ware aus Fernost auch ohne Fehler im Frühsommer in Bremerhaven ankommt. "Ich bin so oft in China, da sind die wenigen europäischen Treffen zeitlich gesehen Peanuts", sagt er lachend.
Inzwischen haben sich EU-Länder immerhin auf ein gemeinsames Gütesiegel geeinigt. Alle Knaller, Raketen und Co. werden seit Juli 2010 überprüft und erhalten die Markierung "CE". In Deutschland gibt es noch ein weiteres Qualitätssiegel, die Identifikationsnummer der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung ("BAM"). Für Feuerwerksfreunde in Deutschland gilt es, darauf zu achten, dass beide Zeichen auf der Packung zu finden sind. Zudem gibt es noch das sogenannte VPI-Zeichen vom Verband der Pyrotechnischen Industrie.
Die europäischen Richtlinien und die regionale Handhabe dieser haben immer wieder Auswirkungen auf die Produktionsweisen der Anbieter. Zum Teil auch positive für Unternehmen wie Kunden: So wurde zum Beispiel 2005 erstmals zugelassen, Feuerwerkskörper miteinander zu verbinden. Das machte die Produktion erster Verbundfeuerwerke möglich, die heute von den Kunden besonders gerne gekauft werden. Bei Comet stellen die Feuerwerksbatterien und -kombinationen 35 Prozent des verkauften Sortiments dar. Raketen- und Familiensortimente liegen bei 25 Prozent, Knaller- und Kindersortimente bei 15 Prozent.
Dennoch würden viele Unternehmen sich wünschen, es gäbe klare Regelungen, die für ganz Europa einheitlich gelten. "Wir würden im Ausland gute Geschäfte machen, zum Teil warten die Kunden da schon auf uns", ist Heinz Swart überzeugt. Eine Trendwende ist hier in naher Zukunft jedoch nicht zu erwarten. Wenn es um die Sicherheit der Menschen geht, gilt weiterhin das regionale Wort. "Warum auch nicht", sagt Ulrike Rockland von der BAM. "Damit fahren wir seit 40 Jahren gut."