Skigebiete „Das wäre das absolute Grauen“

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Bergbahnen als Entwicklungstreiber

Damit sind die Bergbahnen die Treiber der Entwicklung?
Richtig, die Bahnen sind die Treiber dabei. Sie sind die Schlüsselinvestoren in solchen Berggebieten. Die Hotellerie ist normalerweise in den Gemeinden in unterschiedlichen Händen. Es gibt halt verschiedene Hoteleigentümer, die können in der Regel nicht so geschlossen auftreten. Dagegen sind die Bergbahnen in der Regel in einer einzigen Hand. Bei den Bahnen ist zurzeit das spannende: Wenn sie Neuinvestitionen machen, müssen sie dafür Kredite aufnehmen. Seit Basel II mischen sich die Banken immer mehr in das operative Geschäft der Bergbahnen ein, und zwar nicht die lokalen Geldhäuser, sondern etwa in Österreich mindestens Innsbruck oder Wien. Und da kommen dann ganz andere Kriterien ins Spiel. Seilbahnen haben meistens relativ wenig Eigenkapital, dadurch kommen Sachzwänge hinein, wo die Bank teilweise die Rahmenbedingungen diktiert.

Wenn die Tendenz zu großen Skigebieten geht – schließen sich auch Bergbahnen zusammen?
Das ist der Fall; den größten Zusammenschluss haben wir in den Französischen Alpen mit der Compagnie des Alpes (CDA), die vom französischen Staat mitgegründet worden ist mit öffentlichen Geldern. Das ist eine Kapitalgesellschaft, die Mehrheitsanteile an zehn großen französischen Skigebieten hält. Sie ist weltweit der größte Seilbahnbetreiber. Darunter geht die Tendenz aber auch in die Richtung, dass sich Seilbahnen zusammenschließen. Wenn sich ihre Skigebiete also technisch durch Lückenschlüsse verbinden, dann tun sie das in der Regel auch betriebswirtschaftlich.

Werden solche Zusammenschlüsse auch in anderen Ländern forciert?
Nein, dieses absolute Größenwachstum ist nur unter dem französischen Zentralismus möglich, der die Alpen praktisch wie eine Kolonie behandelt hat. Die französischen Skiausbauten sind vom Staat auf zentralistische Weise vorangetrieben worden. Da hatten die Einheimischen überhaupt nichts zu sagen, die sind von Paris aus überrannt worden. Das ist in anderen Alpenstaaten nicht so. Im Bundesland Salzburg hat es sogar eine interessante Gegenbewegung gegeben: als sie dort gemerkt haben, dass im Lande Vertreter der CDA unterwegs waren, um eventuell Bahnen aufzukaufen, hatten sie die Sorge, die CDA könnte bestimmte Bahnen als „Filetstücke“ herauskaufen. Als Reaktion haben Bergbahnen den Skiverband Amadé gegründet. Ziel war, gemeinsam so groß zu werden, dass die CDA keinen einzelnen mehr herauskaufen kann und dass man nicht von ihr dominiert werden kann.

Seilbahnen argumentieren, sie würden abgehängt, wenn sie nicht investieren in größere Gebiete oder Attraktionen?
Das sehen aber nicht alle so – ich bin etwa in Kontakt mit den Bergbahnen in Gastein. Die haben ihr Skigebiet seit 1982 nicht mehr erweitert. Sie sehen zu Recht, dass es überhaupt nichts bringt, die Skigebiete immer weiter zu vergrößern und mit den Nachbartälern zu verbinden. Das ergibt einen Gigantismus, bei dem das Tal auf der Strecke bleiben würde. Sie sagen zurecht, es braucht eine gewisse Wechselwirkung zwischen Hotelbetten und Seilbahnkapazitäten. Und man kann das beides nicht einfach unendlich vergrößern. Sonst ist die Lebensqualität im Tal nicht mehr da. Deswegen haben die Gasteiner Bergbahnen AG ihre Gebiete seit 40 Jahren nicht ausgeweitet. Sie modernisieren, das ist klar, und das permanent und pausenlos.

Das reicht, um nicht zu den Verlierern zu gehören?
Ja, das reicht. Sie haben bewusst dem ständigen Wachstum abgeschworen. Vor Jahren sind sie einmal aufgefordert worden, sich mit dem Nachbartal zu einer Skischaukel zu verbinden. Das haben sie abgelehnt, weil sie sagen: das bringt nichts, das ist nicht sinnvoll für das Gasteiner Tal. Wenn man dagegen mit Leuten von der Ötztaler Bergbahn oder noch schlimmer von den Pitztaler Bergbahnen spricht – mit denen kann man eigentlich nicht diskutieren.

Die Bergbahnen argumentieren meist mit Arbeitsplätzen, die vom Wintertourismus abhängen?
Da ist alles sehr relativ zu sehen – man darf nicht übersehen, dass viele dieser Betriebe sehr hoch verschuldet sind. Sie sind in diese Wachstumsspirale eingestiegen und setzen alles auf diese Karte. Das halte ich für sehr problematisch. Stur weiter auf Wachstum zu setzen ist für mich keine Strategie, aus der Schuldenfalle herauszukommen. Gerade im Pitztal wäre die bessere Strategie, nicht auf den Ski-Massentourismus zu setzen. Das ist ein fantastisches Tal für naturnahen Tourismus, für Skiwanderungen, davon könnten auch Einheimische direkt profitieren, während von den großen Massen nach meiner Beobachtung relativ wenig im Pitztal selber hängen bleibt.

Weil die Zahl der Skifahrer in Europa schwindet, werben viele Skigebiete in Übersee, in China, in arabischen Ländern oder Indien. Sind Urlauber von außerhalb Europas bereits ein echter Faktor?
In einigen wenigen Skigebieten ist das heute schon ein relevanter Faktor. Grindelwald etwa hat sehr stark auf die Chinesen gesetzt, Zell am See auf die Araber. Dazu gibt es auf breiter Ebene Versuche, die chinesischen Zielgruppen direkt anzusprechen. Die CDA versucht schon seit langem, mit dem chinesischen Konzern Fosun eine Zusammenarbeit hinzubekommen…

…dem bereits Club Mediterranée gehört…
Da geht es um eine Beteiligung in Höhe von zehn Prozent. Bislang ist es dazu nicht gekommen, weil die Regionalpolitiker in den französischen Skigebieten dagegen sind. Sie fürchten, sonst überschwemmt zu werden. Deswegen ist das bisher noch nicht realisiert. Aber ich habe das Gefühl, man arbeitet daran und versucht, das umzusetzen.

Mit welcher Perspektive?
Die chinesische Regierung hat verkündet, dass bis zum Beginn der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking 300 Millionen Chinesen Skifahren können sollen. Das ist so viel wie die potenzielle Zahl an Skifahrern in ganz Europa. Wenn man davon nur fünf oder zehn Prozent in die Alpen locken würde, brächte das einen Wahnsinns-Wachstumsschub. Deswegen arbeiten viele Tourismusverbände heimlich daran.

Was wäre die Folge?
Wenn das kommen sollte, wird es alpenweit eine riesige Ausbauwelle geben. Dann würden die Skigebiete noch einmal deutlich vergrößert werden. Und das wäre das absolute Grauen. Dann würde das zu unglaubliche Zerstörungen führen. In Frankreich, wo sie ohnehin schon die größten Skigebiete haben, mit maximal 600 Kilometer Pistenlänge, bereiten sie derzeit ein Skigebiet bei Les Deux Alpes vor, mit 800 Kilometer Pistenlänge. Das soll im Winter 2021 fertig werden. Wenn man den chinesischen Markt erschließen würde, hätte man die aktuelle Wachstumsblockade des europäischen Marktes beseitigt und dann würden solche Projekte die Norm werden.

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