Skigebiete „Das wäre das absolute Grauen“

Von den eigentlichen Alpen nehmen nur die Wenigsten etwas wahr. Quelle: imago images

Der Alpenforscher Werner Bätzing über das Wettrüsten in den Wintersportgebieten, einen Umweltfonds für insolvente Skigebiete und darüber, was passiert, wenn 300 Millionen Chinesen auf die Pisten gehen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Was erwartet Urlauber, die jetzt über Weihnachten die Koffer packen, um in den Alpen Ski zu fahren?
Werner Bätzing: Ich würde provokant sagen: Viele Skifahrer nehmen von den eigentlichen Alpen kaum etwas wahr. Sie reisen an auf der Transit-Autobahn, oft durch Tunnels, und gelangen dann auf einer gut ausgebauten Straße in ein Alpental. Von ihrem Hoteldorf fahren sie mit der Seilbahn rauf in das Skigebiet. Sie sind auf diese Weise ständig in ganz bestimmten Räumen unterwegs, die für das Skifahren und die problemlose Anreise des Urlaubers hergerichtet sind. Das sind aber nicht „die Alpen“.

Was sind die Alpen?
Die Alpen sind – erdgeschichtlich gesprochen – ein vergleichsweise junges, dynamisches Hochgebirge, wo der Mensch immer wieder Schwierigkeiten bekommt, wo die Natur geprägt ist durch sprunghafte Ereignisse wie Lawinen, Muren, Hochwasser, Steinschlag. Das erlebt der Skiurlauber im Normalfall nicht. Für ihn sind die Alpen hergerichtet zum Konsum.

Wer den Klimawandel ignoriert und ein solches Skigebiet erlebt, könnte auf den Gedanken kommen, in den Alpen ist alles in Ordnung?
Das stimmt, von den ganzen Problemen der Alpen nimmt man in dieser Umgebung überhaupt nichts wahr. Urlauber sind dort in einer künstlichen Freizeitwelt, einem beinahe städtischen Freizeitpark. Von Problemen ist da nirgendwo etwas zu spüren.

Welche Folgen hat die Herrichtung der Alpen zur künstlichen Freizeitoase?
Die europäische Bevölkerung wird langsam etwas weniger, und sie wird im Durchschnitt deutlich älter. Die potenzielle Zahl der Skifahrer nimmt dadurch in der Zukunft deutlich ab. Und für einen Markt, der nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten funktioniert, ist das schlimmste, was passieren kann, wenn es keine Wachstumsperspektiven gibt.

von Andreas Macho, Rüdiger Kiani-Kreß, Peter Steinkirchner

Was ist die Folge?
Zahlreiche Befragungen haben ergeben, dass der Gast bei der Wahl eines Skigebietes sich als erstes anschaut, wie lang die Pisten sind. Wer die längsten Pisten und hochgelegene Skigebiete hat und damit Schneesicherheit garantiert, der kann bei diesem Wettbewerb gewinnen. Deswegen erleben wir einen gnadenlosen, beinharten Verdrängungswettbewerb, bei dem bereits viele kleine Skigebiete auf der Strecke geblieben sind und viele mittlere dabei sind, in Schwierigkeiten zu kommen. Ich schätze, dass in den vergangenen zehn, 15 Jahren mindestens 100 kleine Skigebiete dicht gemacht haben. Das merkt keiner. Das ist kein großes Thema – dagegen landen die Skigebietserweiterungen und Zusammenschlüsse groß in den Medien. Aber die andere Seite, dass der Tourismus in kleinen Orten verliert, das merkt keiner. Dabei ist das ein großes Problem.

Warum?
Weil ein dezentraler Tourismus in kleinen Strukturen die Form ist, die mit dem Alpenraum kompatibel ist. Der Alpenraum hat in vielen Branchen Probleme mit dezentralen Arbeitsplätzen. In der Land- wie in der Forstwirtschaft gehen diese Arbeitsplätze zurück, und auch im Handwerk. Dezentrale Industrie- und Gewerbegebiete werden abgebaut. Das heißt, der Alpenraum hat großen Bedarf an dezentralen Arbeitsplätzen. Doch genau diese werden mit der heutigen Entwicklung abgebaut. Dagegen boomen die vergleichsweise wenigen großen Tourismuszentren - das sind nicht mehr als 300 von 6000 Alpengemeinden. Und je größer dort der Tourismus wird, desto stärker wird er von außeralpinen Geldquellen direkt abhängig. Und umso weniger profitieren die Einheimischen davon.

Beschleunigt der Klimawandel diese Entwicklung?
Ja, während die großen Skigebiete aufwändig künstlich beschneien – was viel Geld kostet –, können sich kleine oder mittlere Gebiete das nicht leisten. Dann fahren die Gäste da nicht mehr hin, weil sie nun einmal einen optimalen Service haben wollen. Sie wollen wissen, dass an Weihnachten genug Schnee zum Skifahren da ist. Die großen Gebiete setzen die Maßstäbe in Sachen Schneesicherheit. Wer da nicht mithalten kann, fällt hinten runter.

Das hat Folgen für alle Beteiligten – es fallen Arbeitsplätze fort, es hat aber auch Folgen für die großen Anbieter, die ihre Gebiete mit wachsendem Aufwand herrichten müssen?
Ja, die heutigen Skigebiete werden ökologisch total umgestaltet. Das geht los mit breiten Skiautobahnen, die in die Landschaft regelrecht eingebaut werden müssen, weil es in diesen Höhen keine natürlichen breiten Gebiete gibt, wo man einfach so herunterfahren kann. Dann wird jede Skipiste begleitet von hunderten Kilometern von Leitungen für die künstliche Beschneiung, aber auch für den Strom, damit man die Pisten abends beleuchten kann. Dann wird der Wasserablauf eines gesamten Gebietes oberhalb von 3000 Metern Höhe bis runter ins Tal auf 800 Meter Höhe vollkommen neugestaltet, einschließlich zahlreicher Speicherseen. Das heißt, die ganze Hydrologie wird komplett neu gemacht. Dazu kommt, dass im Winter viel mehr Wasser verbraucht wird als früher, was zu großen ökologischen Veränderungen des ganzen Systems führt. Damit das ganze ökologisch stabil ist, braucht es sehr große und viele Pflegeeingriffe, um diese Maßnahmen immer wieder neu zu stabilisieren. Das ist sehr teuer.

Was passiert, wenn solche Gebiete eines Tages aufgegeben werden?
Meine große Befürchtung ist, dass in den Alpen eine große ökologische Bombe tickt. Skigebiete, die aufgegeben werden, müssten eigentlich zurückgebaut werden. Das ist aber sehr aufwändig und kostenintensiv.

Was schlagen Sie vor?
Skigebiete müssten einen Fonds einrichten, in den alle für den Fall eines Rückbaus einzahlen. Aber das passiert nicht. Eigentlich müsste der Gesetzgeber vorschreiben, dass wir einen solchen Fonds brauchen, falls ein Skigebiet pleitegeht, damit die problematischen Hinterlassenschaften beseitigt werden können.

Im Grunde wie beim Braunkohletagebau, wo es entsprechende Fonds gibt?
Genau, das wäre in den Alpen dringend notwendig. Gerade weil absehbar ist, dass eine Reihe von Skigebieten in Zukunft nicht überleben werden.

Aber es wird doch auch noch kräftig investiert?
Ja, die großen Skigebiete gehen stark ins Risiko, um als Destination mithalten zu können. Das ist verbunden mit immensen Kosten, allein das Projekt Pitztal / Sölden rechnet mit 132 Millionen Euro. Zurzeit rechnet sich das betriebswirtschaftlich vielleicht sogar noch. Sonst würden das die Bergbahnen ja nicht machen. Sie kalkulieren auf Abschreibungszeiträume von 15, maximal 20 Jahre, und bisher ist es immer so, dass die Einnahmen aus dem Skitourismus dermaßen hoch sind, dass es sich zur Zeit noch rechnet.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%