




Als vor einem Jahr der Taifun Haiyan die Philippinen verwüstete, 6000 Menschen tötete und vier Millionen obdachlos machte, da schwoll die vorweihnachtliche Spendenflut an. Allein 14 Millionen Euro für die Taifun-Opfer erhielt bis Ende 2013 das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Dass dieses Geld auch in der DRK-Spendensumme für 2013 auftaucht, scheint selbstverständlich – ist aber nur zivilem Ungehorsam zu verdanken.
Denn das DRK wendet einen eigentlich verbindlichen Bilanzstandard namens IDW RS HFA 21 „nur eingeschränkt“ und „mit begründeten Abweichungen“ an, sagt DRK-Bereichsleiter Christoph Intemann. Andernfalls wären die 14 Millionen in der Gewinn-und- Verlust-Rechnung schwer auffindbar. Denn seit einigen Jahren sollen wohltätige Organisationen in ihren Jahresabschlüssen nur noch solche Spenden als Einnahmen ausweisen, die sie im selben Geschäftsjahr auch ausgeben. Intemann findet das widersinnig. Damit steht er nicht allein.
Die größten Spendensammler in Deutschland
Deutsche Welthungerhilfe
Spenden 2013: 38 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +2,7 Prozent
Kindernothilfe
Spenden 2013: 53 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +6,0 Prozent
Kindermissionswerk "Die Sternsinger"
Spenden 2013: 53 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +1,9 Prozent
Deutsches Rotes Kreuz
Spenden 2013: 67 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +157,7 Prozent
World Vision Deutschland (Geschäftsjahr endet zum 30.9.)
Spenden 2013: 69 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: -4,2 Prozent
Deutsches Komitee für Unicef
Spenden 2013: 82 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +20,6 Prozent
Ärzte ohne Grenzen
Spenden 2013: 87 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +29,9 Prozent
Johanniter-Unfall-Hilfe
Spenden 2013: 103 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +8,4 Prozent
Plan International Deutschland (Geschäftsjahr endet zum 30.6.)
Spenden 2013: 116 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +2,7 Prozent
SOS Kinderdörfer Weltweit und SOS Kinderdorf
Spenden 2013: 273 Millionen Euro
Veränderung zu 2012: +12,8 Prozent
Quelle: eigene Recherche auf Basis der Jahresberichte
Gegenwind für Wirtschaftsprüfer
„Kommunikativ ist dieser Standard ein Albtraum“, sagt SOS-Kinderdörfer-Vorstand Wilfried Vyslozil. SOS hält sich daran. Aber Heiner Schumacher, der Wirtschaftsprüfer bei KPMG war und Vyslozil berät, muss „immer wieder Spendern erklären, warum die Bilanz nicht in einer Summe den realen Spendeneingang wiedergibt“. Viele begriffen nicht, dass dank IDW-Standard 4,7 Millionen Euro Spenden aus 2013, die 2014 ausgegeben wurden, nicht in den 2013er-Einnahmen auftauchen. „Das IDW wollte für Durchblick sorgen und hat das Gegenteil erreicht“, so Schumacher.
Solchen Gegenwind hat das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland noch nie gespürt. Das IDW ist für Wirtschaftsprüfer so wegweisend wie der Vatikan für brave Katholiken. 1056 Prüfungsgesellschaften und 12.181 Wirtschaftsprüfer gehören ihm an – gut vier Fünftel der Branche. 137 IDW-Standards, -Prüfungsstandards und -Stellungnahmen zur Rechnungslegung sind Maß aller Dinge für Unternehmen, Stiftungen und andere Institutionen. IDW RS HFA 21 bestimmt seit vier Jahren die „Besonderheiten der Rechnungslegung Spenden sammelnder Organisationen“. Das Ergebnis, sagt der Bilanzer einer der großen unter den rund 3000 deutschen Spendenorganisationen, „ist – bei allem Respekt vor dem IDW – Murks“.
Der Standard spaltet die Spendenbranche. Unicef hält sich gar nicht daran, das DRK ein bisschen, Plan Deutschland komplett. Denn Plan-Vorstandsmitglied Axel Berger, der selbst Wirtschaftsprüfer ist, möchte „keine Diskussion mit Spendern, die uns fragen, warum wir den Rechnungslegungsstandard, der für maximale Transparenz sorgen soll, nicht anwenden“.
"IDW-Standard muss praxisgerecht überarbeitet werden"
Verständlich. Wer von IDW-Standards abweicht, „kann in Erklärungsnot kommen“, warnt die im IDW für Non-Profit-Organisationen zuständige Fachgebietsleiterin Ute Siebler. IDW-Regularien seien „berufsständische Auffassung und sowohl für Wirtschaftsprüfer als auch indirekt für die von ihnen zu prüfenden Unternehmen und Organisationen anerkannte Übung“.
Tatsächlich verliert das IDW jedoch massiv an Autorität. Rödl & Partner in Köln testiert den Unicef-Jahresabschluss, der nach dem Handelsgesetzbuch erstellt wird, aber nicht den IDW-Standard umsetzt. EY in Düsseldorf segnet das nicht IDW-konforme Rote-Kreuz-Zahlenwerk ab: „Unsere Prüfung hat zu keinen Einwendungen geführt.“ Manfred Lehmann vom Hamburger Wirtschaftsprüfer Schomerus & Partner fordert: „Der Standard HFA 21 muss dringend überarbeitet werden, und zwar praxisgerecht, adressatenorientiert und konform mit dem Handelsgesetzbuch.“ Für Burkhard Wilke vom Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen in Berlin stellt der IDW-Standard angesichts der „erheblich verbesserten Jahresberichte der Spendenorganisationen einen kräftigen Rückschritt dar“.
Das IDW weist jede Kritik von sich: „Der Standard ist bei seriösen Spendensammlern und im Berufsstand akzeptiert. Der Wechsel vom Zufluss- zum Verwendungsprinzip erzeugt mehr Informationen und dadurch mehr Transparenz“, sagt Regelwächterin Siebler. „Nicht verbrauchte Spenden“ stünden ja als Passivposten in der Bilanz.
Die Praktiker aber fordern einen Rückzieher, wie es ihn in 82 Jahren IDW-Geschichte noch nicht gab: Ziel des DRK-Experten Intemann ist, „dass dieser Standard auf Sicht zurückgenommen oder geändert wird“.