Spenden-Ökonom über Facebook & Co. „Von Spenden kann man ein präzises Kundenprofil ableiten“

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Trotz Coronakrise spenden die Deutschen fleißig weiter – und gerne auch online bei Facebook oder Amazon. Macht das Wohlfahrtsorganisationen abhängig? Fragen an den Spendenforscher Burkhard Wilke.

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Burkhard Wilke ist Deutschlands wichtigster Spendenforscher: Der Volkswirt ist Leiter des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen (DZI). Das Institut vergibt das DZI Spendensiegel an Organisationen, die besonders Transparenz und effektiv arbeiten. Denn die Deutschen seien kritischer als andere Nationen, wenn es um Spenden geht, sagt Wilke.

WirtschaftsWoche: Herr Wilke, wie haben Sie das letzte Mal gespendet? Haben Sie die Geldbörse gezückt oder per Klick etwas gegeben?
Burkhard Wilke: Neulich, da war es schon empfindlich kalt, habe ich einem Bettler auf der Straße Bargeld gegeben. Aber ich habe auch Daueraufträge für Spendenorganisationen. Oder spende vereinzelt aufgrund einer Aktion oder eines Briefes. Im Sommer habe ich über eine Spendenplattform ein Restaurant in der Nachbarschaft unterstützt.

Die Coronakrise hat die wirtschaftliche Situation vieler Menschen verschlechtert, viele mussten in Kurzarbeit oder ihr Geschäft aufgeben. Ist das Spendenaufkommen gesunken?
Nein, im Gegenteil. Es gibt offenbar einen positiven Corona-Effekt. Bei einem Großteil der gemeinnützigen Organisationen hat das Spendenaufkommen zugenommen. Selbst bei den kleineren Organisationen berichtet nur die Minderzahl von Rückgängen. Bei solchen Anlässen, bei denen Menschen selbst die Betroffenheit erleben, steigt die Spendenbereitschaft. Das kennen wir auch von Naturkatastrophen.

Volkswirt Burkhard Wilke forscht zum Spendenaufkommen in Deutschland. Quelle: PR

Im Coronajahr mussten viele Spendenveranstaltungen ausfallen. Welche Konsequenzen hat das?
Es sind vor allem zwei Einnahmearten, die jetzt weggebrochen sind: lokale Sammlungen wie bei Tombolas, Kulturveranstaltungen oder Spendenläufen. Das betrifft vor allem kleine Organisationen, Aber auch Unternehmensspenden haben sich deutlich verringert. Viele gemeinnützige Organisationen und Vereine sind auf Spenden oder Sponsoring von örtlichen Unternehmen angewiesen. Und da gab es wohl den größten Einbruch. Jedoch ist es erfreulich vielen kleinen Organisationen gelungen, diese fehlenden Einnahmen auszugleichen oder sogar zu überkompensieren. Zum Beispiel, indem sie Aufmerksamkeit über die Medien auf sich gezogen haben oder über Instagram und andere soziale Netzwerke. Oder weil sich die Nachbarschaft in der Krise solidarisiert hat.

Viele Spenden werden mittlerweile durch Internetplattformen vermittelt. Nimmt das dank Corona noch zu?
Soweit wir wissen, ist das meist ein zusätzlicher Kanal. Der größte Teil der Spenden geht direkt von den Spendern an die Organisationen. Das kann dann auch online passieren. Aber die digitale Kommunikation – auch um darauf aufmerksam zu machen, was eine Organisation macht - hat sicherlich an Bedeutung gewonnen.

Bei Facebook kann man mittlerweile Spendenevents zu seinem Geburtstag erstellen. Was halten Sie davon?
Diese Funktion gibt es in Deutschland seit drei Jahren. Da gibt es zwei Varianten: Man kann an eine gemeinnützige Organisation spenden, oder man ruft zu einer privaten Spende auf. Grundsätzlich sehe ich kein Problem, wenn jemand privat zu einer Spende aufruft, um eine Reise zu finanzieren, oder zum Beispiel eine medizinische Behandlung für ein Familienmitglied oder Haustier. Aber solche Spendenaktionen sind aus unserer Sicht nur zu empfehlen, wenn man die Begünstigten auch persönlich kennt und ihnen vertraut. Manchmal werden Aufrufe über viele Stationen geteilt, dann ist es schwer zu sehen, von wem der Aufruf kommt und ob das Vertrauen gerechtfertigt ist.

„GoFundMe halte ich für noch kritikwürdiger“

Die meisten Spenden per Facebook gehen in Deutschland allerdings an gesetzlich anerkannte gemeinnützige Organisationen.
Auch da muss man aufpassen: Es gibt 630.000 anerkannt gemeinnützige Organisationen in Deutschland. Da gibt es große qualitative Unterschiede zwischen den Organisationen und auch einige, vor denen wir, andere Verbraucherschützer oder staatliche Aufsichtsstellen warnen. Facebook lässt seine Nutzer damit alleine. Die tun zu wenig für die Verbraucherinformation beim Spenden, gemessen an den Möglichkeiten, die so ein Onlinegigant auch hat.

Ist das ein generelles Problem bei Onlinespendenplattformen?
Da haben viele Defizite. GoFundMe halte ich für noch kritikwürdiger. Die Plattform hat in ihren FAQs eine Art Spendengarantie: Wenn das Geld nicht dort ankommt, wo es helfen sollte, zahlt GoFundMe das zurück. Aber wie will das ein Spender nachweisen? Wie soll man einem Betrüger auf die Schliche kommen? Und was ist, wenn es nicht nur um Betrug geht, sondern um Intransparenz oder Inkompetenz?

Was bringt einem sozialen Netzwerk wie Facebook die Spendenfunktion?
Kundenbindung. Kundenbindung. Kundenbindung. Und Markenpflege.

Und wie wertvoll sind die Daten?
Das können Datenschützer besser beurteilen. Aber was man nicht vergessen darf: Bei Spenden kann ich vollkommen frei entscheiden, wen ich unterstützen will, da wähle ich Anliegen, die mir am Herzen liegen. Daraus kann man natürlich ein präzises Kundenprofil ableiten.

Per Amazon Smile spendet der Onlinehändler 0,5 Prozent der Einkaufswerte seiner Kunden an eine Organisation deren Wahl. Ist das besser?
Die Geldwerte, die dort für gemeinnützige Zwecke generiert werden, sind wesentlich geringer als eine durchschnittliche Spende. Es wäre also fatal, wenn nun jemand denkt, man könne ja seine regelmäßigen Spenden ersetzen, indem man ein Häkchen bei Amazon Smile setzt.
Das ist eine sehr preisgünstige Methode der Kundenbindung. Sonst müsste Amazon vielleicht fünf oder sechs Prozent Provisionen an die Internetseiten abgeben, die Kunden auf die Plattform bringen. Da setzen andere Plattformen Social Shopping besser um, zum Beispiel Plattformen wie Bildungsspender.de oder Schulengel.de. Die spenden den weitaus überwiegenden Teil der Provisionen.

Machen sich die gemeinnützigen Organisationen nicht irgendwann von Amazon abhängig?
Für die meisten Organisationen ist das nur ein ganz kleines Zubrot. Das erfordert schon eine sehr große Kommunikationsanstrengung, durch Promillebeträge zu nennenswerten Spendenbeträgen zu kommen.

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Und was ist Ihre Prognose? Wird die Bedeutung von Angeboten wie Amazon Smile oder Facebook weiter zunehmen?
Wir erleben aktuell eine große Diversifizierung von Engagement, vor allem von Unternehmen. Denken Sie an das Stichwort „Corporate Social Responsibility“. Das wird immer wichtiger, auch in der Bewertung von Unternehmen durch Ratingagenturen oder Aktienindizes. Insofern werden Unternehmen bestimmt aktiver werden müssen. Aber bisher haben den größten Einfluss auf gemeinnützige Organisationen noch immer die direkten Spendeneinnahmen.

Mehr zum Thema: Wer heutzutage spenden will, erstellt ein Facebook-Event – oder lässt Amazon ein paar Cent abdrücken, wenn er dort einkauft. NGOs stellen sich auch auf das digitale Fundraising ein. Nur: Was haben die Plattformen davon?

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