Das Wettlokal in der Frankfurter Innenstadt ist an diesem sonnigen Mittag halbdunkel und so gut wie leer. Ein einziger Gast kauert an einem Metalltisch und blickt gelegentlich mäßig interessiert nach oben. Der Monitor an der Wand zeigt Damen-Volleyball, über die Bildschirme daneben flackern Quoten für alle möglichen Sportereignisse wie Börsenkurse. Und auf einem Plakat an der Wand verspricht Extorwarttitan Oliver Kahn, dass hier, bei Tipico, „Ihre Wette in sicheren Händen“ ist.
Der Mann hinter der Theke hat viel Zeit zum Reden. Gewinne auszahlen, Ausweise kontrollieren, Neulingen erklären, wie sie auf den roten Terminals Wetten abschließen, das seien so seine Aufgaben. Nicht viel zu tun, gegen Abend seien schon mal ein paar Leute da, aber wirklich was los sei hier eigentlich nur, wenn ein Wettverlierer randaliere und die Polizei anrücken müsse. Vor drei Wochen, als die heimische Eintracht im Pokalfinale den übermächtigen FC Bayern schlug, da sei mal alles anders gewesen. Da habe es im Wettlokal mal fast so etwas wie eine Party gegeben.
Ähnlich aufgehellt soll die Stimmung ab dem kommenden Donnerstag werden. Dann startet in Russland die Fußball-WM, und die ist für Tipico das, was Einzelhändlern das Weihnachtsgeschäft ist. Dann schnellen beim nach eigenen Angaben größten Anbieter von Sportwetten in Deutschland Spielerzahlen, Einsätze und Umsatz nach oben. Noch weiter nach oben. Denn hinter dem schummrigen Ambiente vieler Tipico-Lokale verbirgt sich heute ein Hightechkonzern mit deutlich mehr als einer halben Milliarde Euro Umsatz.





An rund 1100 Standorten in Deutschland und Österreich sowie überall und jederzeit über das Smartphone können Spieler auf alles wetten: Nicht nur auf Ergebnisse in so gut wie jeder Sportart, sondern auch darauf, wer die erste Gelbe Karte erhält, wer das dritte Tor macht oder als Letzter ins Ziel kommt. Um Quoten, Abläufe und Angebot immer weiter zu optimieren, wertet Tipico ständig gigantische Datenmengen aus, setzt künstliche Intelligenz ein, schafft immer neue Offerten, die möglichst passgenau auf die Wünsche der Kunden abgestimmt sind. Wie erfolgreich das Unternehmen damit sein muss, legen schon seine umfangreichen Marketingaktivitäten nahe. Mit Millionenbeträgen sponsert Tipico die Bundesligen in Deutschland und Österreich, den FC Bayern München, Red Bull Salzburg, den Hamburger SV. Und Oliver Kahn als Werbefigur war auch nicht günstig zu haben.
Tipico könnte als glänzendes Beispiel für eine digitale Erfolgsgeschichte deutschen Ursprungs dienen – wenn sich die nicht in einem Rahmen abspielte, der ähnlich unausgeleuchtet ist wie das Frankfurter Lokal. Von Anfang an gehört der Konflikt mit Behörden für das Unternehmen zum Alltag. Regulierer und Regierungen in den Bundesländern wollen die Bevölkerung vor den Gefahren der Spielsucht und die staatlichen Anbieter vor Konkurrenz schützen. Seit Jahren streiten Juristen darüber, ob das Angebot privater Wettanbieter in Deutschland denn nun legal, halblegal oder illegal ist. Eine endgültige Antwort steht aus.
Um sich dem Zugriff deutscher Behörden ein Stück weit zu entziehen hat Tipico den Unternehmenssitz schon vor mehr als zehn Jahren nach Malta verlegt. Sicher ist deshalb noch lange nichts. Hinter dem Geschäftsmodell steht ein Fragezeichen, in eigenen Veröffentlichungen spricht der Wettanbieter von einem „erheblichen Risiko“, das aber immerhin zulasse, von einer „Fortführung des Geschäfts“ auszugehen. Die Unsicherheit hat den Finanzinvestor CVC nicht abgeschreckt, der 2016 die Mehrheit an Tipico gekauft hat. Bei ihm kümmert sich mit Alexander Dibelius ausgerechnet der frühere Deutschlandchef von Goldman Sachs um den Wettanbieter. Wer Investmentbanker pauschal für Zocker hält, kann nun finden, dass hier wirklich mal zusammengefunden hat, was ohnehin zusammengehört.