Starberater bei McKinsey Das große Aufräumen beim schlauesten Unternehmen der Welt

Kunden werden anspruchsvoller, Konkurrenten selbstbewusster, Daten hat heute jeder, und die besten Absolventen arbeiten lieber woanders: McKinsey kämpft um seinen Vorsprung.

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Markus Berger de Leon Quelle: Götz Schleser für WirtschaftsWoche

Wer verstehen will, wie die einflussreichste Beratung der Welt funktioniert, schaut ihr am besten bei der Arbeit zu. Zum Beispiel in München. Dort hat McKinsey in einer öden Seitenstraße eines öden Büroviertels nahe am Flughafen ein sogenanntes Capability Center eröffnet. Es simuliert das fast ganz echte Leben, es gibt eine Bankfiliale mit Geldautomaten aus Pappe, in einem Raum steht ein Roboter, der sich auseinandernehmen lässt. Und einen Weinladen gibt es auch.

In dem sitzen an diesem Abend rund 20 Kunden der Beratung, sie sind Anwälte und Banker, sie ahnen, dass sie ein Problem haben, aber sie kennen es nicht. Thomas Schumacher wird das gleich ändern.

Anzug und Krawatte des Beraters passen perfekt, was erwähnenswert ist, weil er es selbst erwähnt: „Ich trage oft Jeans, weil ich viel Zeit mit Digital Pure Playern verbringe“, sagt er. Das klingt wie eine Bemerkung nebenbei, aber in der Welt von McKinsey passiert wenig nebenbei. Da ist alles kalkuliert und darauf ausgerichtet, Kompetenz, Besserwissen, „Thought Leadership“ zu vermitteln. Und so wissen die Zuhörer schon nach Schumachers erstem Satz, dass er nah dran ist an der Hinterhofwelt, in der Endzwanziger mit Kapuzenpullis eifrig programmieren und zu Millionären werden.

Meilensteine von McKinsey

Eine Branche im Umbruch

Diese Welt, daran lässt Schumacher keinen Zweifel, bewegt sich rasend schnell auf die seiner Kunden zu, und wenn beide aufeinanderknallen, ist das kein Spaß. In der McKinsey-Sprache klingt das so: „Unser Core-Belief ist, dass die Digitalisierung nicht bloß in einer Garage in Berlin stattfindet. Welle um Welle disrupted sie immer mehr Geschäftsmodelle.“

So funktioniert die Welt der Berater, sie ist nie fertig, sie steckt voller radikaler Umbrüche und Bedrohungen, überall lauern Revolutionen und Optimierungsbedarf. Berater leben zu einem großen Teil davon, dass sie ihre Kunden erst aufschrecken und ihnen dann Rezepte gegen die Angst verkaufen. McKinsey hat die Methode perfektioniert.

So erkennen Sie gute Berater

Nun jedoch trifft der Wandel seine Verkünder, die Branche befindet sich im Umbruch, und der geht auch an McKinsey nicht vorbei. Die Ausnahmestellung des 1926 in Chicago gegründeten Ausnahmeunternehmens ist bedroht. Projekte, Studien und das legendäre Netzwerk ehemaliger Mitarbeiter haben die Beratung zum wohl einflussreichsten Unternehmen der Welt gemacht. McKinsey ist zugleich Taktgeber, Pulsmesser und Therapeut der hypernervösen globalen Unternehmenswelt. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

"McKinsey kämpft"

Die lange reibungslos laufende Erfolgsmaschine muss sich neu ausrichten. Es reicht den Kunden nicht mehr, wenn hochintelligente Hochschulabsolventen einen Haufen Daten analysieren und daraus ein Konzept basteln. Die Unternehmen wissen und wollen mehr. McKinsey reagiert mit anderen Angeboten, anderen Projekten, anderen Mitarbeitern. Die Beratung erlebt den größten Umbruch seit Jahrzehnten. Sie muss sich radikal ändern und gleichzeitig ihren sorgsam gepflegten Markenkern bewahren. „McKinsey kommt“ hieß vor Jahren ein bieder-sozialkritisches Theaterstück. „McKinsey kämpft“ müsste es heute heißen.

Seit einiger Zeit melden sich Skeptiker zu Wort, die meinen, dass große Strategieberater die besten Zeiten hinter sich hätten. Zu ihnen zählt Clayton Christensen, einst selbst Berater und heute Professor an der Harvard Business School. Die gleichen Kräfte, die die Geschäftsmodelle der Stahlhersteller und Verlage durchgeschüttelt hätten, nähmen sich nun die Berater vor, so seine Diagnose. Neue Wettbewerber, geänderte Ansprüche und die überall und jederzeit verfügbaren Daten bedrohten die Branchengrößen.

Die würden zwar auch künftig gebraucht, ihr Mehrwert beschränke sich jedoch auf „komplexe, vernetzte Probleme über Industrien und Regionen hinweg“. Christensens Argument dafür: Manager könnten größere Kehrtwenden vor dem Aufsichtsrat besser vertreten, wenn ihr Urheber McKinsey heißt.

Unternehmen haben Erfolg ohne Berater

Dass die goldenen Jahre womöglich vorbei sind, meint auch der US-Journalist Duff McDonald in seinem Ende 2013 erschienenen Bestseller „The Firm“. McKinsey habe zwar jeden Trend des vergangenen Jahrhunderts geprägt und die Welt so „effizienter, rationaler und objektiver“ gemacht. Bei aktuellen Erfolgsgeschichten wie Apple und Google habe die Beratung jedoch keine Rolle gespielt. Ihr Einfluss schwinde, weil es ihr schwerfalle, Kunden „Dinge zu erzählen, die sie noch nicht wissen“.

Berater Schumacher ist von derlei Bedenken unbeeindruckt. Er zeigt einen Wirrwarr von Kreisen, jeder einzelne stellt eine Folge des digitalen Wandels dar. Die Folie ist unübersichtlich, und danach wird es nicht viel besser. Schumacher präsentiert gigantische Zahlen, Millionen und Milliarden, immense Zuwachsraten in China und den USA. Er nennt Unternehmen, die in vergleichbarer Ausgangslage unterschiedlich abgebogen und jetzt entweder Weltmarktführer oder Restrukturierungsfälle sind. Der Wettbewerb sei „brutal“, aber „das geht, das bekommt man hin“. Und zwar mit „Antizipieren, Optimieren, Restrukturieren“.

Irgendwann tauchen die Kreise vom Anfang wieder auf. Es sind immer noch viele, aber sie sind jetzt geordnet. Die Welt ist bedrohlich geblieben, aber nicht mehr so unübersichtlich. Die Zuhörer wissen, dass McKinsey ihnen als Wegweiser dienen kann.

Es braucht immer mehr und immer bessere Ergebnisse

Das große Aufräumen ist und bleibt eine Kernfunktion des Unternehmens. Dafür produziert es eine Unmenge von Studien und Papieren, etliche davon setzen Maßstäbe. Die Analysen des volkswirtschaftlichen Global Institute zur europäischen Staatsschuldenkrise etwa gelten als bahnbrechend. 140.000 Interessierte haben sich einen McKinsey-Aufsatz über „disruptive Technologien“ heruntergeladen. 330.000 schauten sich die Überlegungen zu „Big Data“ an.

Karriere-Sprungbrett McKinsey: Diese Vorstände waren mal Berater

Die Denkmaschine läuft und läuft, sie muss immer mehr, immer bessere Ergebnisse ausspucken. Und das wird immer schwieriger. Es wäre ein Armutszeugnis, wenn ausgerechnet McKinsey den Umbruch des eigenen Geschäfts verpassen würde. „Die Welt hat sich verändert, die Themen sind heute sehr komplex und integriert. Wir bieten heute viel mehr auf als früher, um echten Mehrwert zu liefern“, sagt Cornelius Baur.

Der 53-Jährige ist seit 25 Jahren bei McKinsey, seit 2014 steht er an der Spitze des Deutschland-Geschäfts.

Baur isst gern; alle, die ihn kennen, beschreiben ihn als handfest und bodenständig. Er ist kein Stardenker, kein Welterklärer, beraten hat er große Industriekonzerne bei Produktionsfragen. Baur will den bisherigen Weg anpassen, er will die Kehrtwende eher leise als laut vollführen. Wie sein Vorgänger Frank Mattern meidet er, so gut es geht, die Öffentlichkeit. Die Beratung soll über ihre Veröffentlichungen wirken, für ihre Kunden da sein und sich möglichst im Hintergrund halten.

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Kunden wollen fachliche Expertise

Aufgaben sieht Baur auch künftig genug. Digitalisierung, Industrie 4.0, 3-D-Druck, Umbau der Energieversorgung, globales Wachstum – wo immer sich etwas verändert, will McKinsey vorne mit dabei sein. „Klienten verlangen heute von Beratern, dass sie überzeugende Lösungen entwickeln, implementieren und mit tiefer Analyse verknüpfen“, sagt Baur. So reichten oberflächliche Kenntnisse des chinesischen Markts nicht mehr aus, tiefe fachliche Expertise müsse hinzukommen und zu messbar besseren Ergebnissen führen. Das könne nicht jeder. Das könne aber ganz bestimmt McKinsey.

Tatsächlich gibt die Größe der Beratung einen Vorteil im weltweiten Verdrängungskampf. Mehr als 20.000 Beschäftigte, darunter 9700 Berater, in 61 Ländern kann kein Wettbewerber aufbieten. Rund 350 Millionen Euro gibt McKinsey weltweit jährlich für Fortbildung und Datenbanken aus. Nur die Boston Consulting Group (BCG) und Bain gelten als stark genug, um mithalten zu können. Andere sind gestrauchelt. Roland Berger hat sich weitgehend vergeblich um den Aufbau einer globalen Präsenz bemüht. Rivale Booz schlüpfte bei PwC unter.

Wirtschaftsprüfer drängen in den Beratermarkt

„Vielen fehlt die kritische Masse. Kunden verlangen heute schon mal, dass eine Beratung rasch weltweit 100 Experten für ein großes Projekt bereitstellt“, sagt Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Solche Großaufträge sind lukrativ. Fink schätzt, dass sie bereits etwa 20 Prozent des Geschäfts der Berater ausmachen. Der Rest ist jedoch Kleinkram. Da geht es um Abläufe in der Produktion, sparsameren Einkauf oder die Zusammenlegung verschiedener IT-Systeme.

Hier tummeln sich viele, und es werden immer mehr. PwC und die anderen großen Wirtschaftsprüfer drängen in das Terrain der Berater. Spezialisten wie Simon-Kucher und AlixPartners besetzen Nischen wie Preisgestaltung und Restrukturierung. Selbst aus Schwellenländern drängen Wettbewerber wie die indische Tata Consultancy auf den Weltmarkt. Viele Konzerne haben zudem interne Beratungen aufgebaut, für die sie Consultants abgeworben haben. Bei einzelnen Projekten sind sie ernsthafte Konkurrenz.

Der Markt bleibt attraktiv: Der Branchenumsatz wuchs 2014 um 6,4 Prozent auf rund 25 Milliarden Euro, so Zahlen des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater. Für McKinsey zählt Deutschland zu den wichtigsten Märkten, 163 von weltweit 1350 Partnern arbeiten hier, 27 der 30 Dax-Konzerne sind Kunden. Umsatzzahlen aus einzelnen Ländern meldet die Beratung nicht. Doch der Plan, in diesem Jahr 250 neue Berater einzustellen, gibt ein Indiz dafür, wie es läuft. Es läuft ziemlich gut.

McKinsey-berater sind Nerds, die Autos verkaufen können

Kaum ein Unternehmen betreibt einen vergleichbaren Aufwand bei der Mitarbeitersuche, kaum eines ist so abhängig davon, für die Klügsten und Ehrgeizigsten attraktiv zu sein. Die Personalabteilung beschäftigt 30 Leute, sie bearbeitet jährlich 15.000 Bewerbungen, 1200 Kandidaten dürfen vorsprechen. Fünf Berater entscheiden nach fünf Gesprächen über Zu- oder Absage. Ist einer dagegen, bleibt der Bewerber draußen.

„Gute akademische Leistungen, Praktika, Engagement, analytische Stärke, gutes Zahlenverständnis“, nennt Personalchef Thomas Fritz das formale Profil für Neueinsteiger, die direkt von der Uni kommen. Außerdem sollten Kandidaten „die Mitarbeiter eines Klienten von der Notwendigkeit des Wandels überzeugen“ können. Der typische McKinsey-Berater ist ein Nerd, der Gebrauchtwagen verkaufen kann.

Dabei durfte bei der Beratung früher niemand anfangen, der schon anderswo gearbeitet hatte. Heute sucht McKinsey auch Experten mit fünf bis acht Jahren Berufserfahrung. Sie können Risikomanager sein, Fachleute für Automation in der Industrie, Programmierer. Ihre Kompetenz soll die vorhandene Analysestärke ergänzen. In diesem Jahr sollen 40 Prozent der Neueinsteiger ein berufliches Vorleben haben.

Manager zweifeln an McKinseys neuem Weg

So wie Katja Börtschök. Sieben Jahre hatte sie als Managerin im Marketing für Kosmetik gearbeitet, zuletzt zwei Jahre in China. Doch das reichte ihr nicht. „Ich stand an einer Gabelung meiner Karriere“, sagt die Betriebswirtin. „An der Beratung reizte mich die Arbeitsweise – projektbezogen, problemlösungsorientiert und mit Einblicken in immer neue Themen.“

Deutschlands beste Unternehmensberater
So sah der Preis aus, den die Preisträger am Montagabend in Empfang nehmen konnten. Es war die Rückkehr der Platzhirsche: Nachdem die Boston Consulting Group (BCG) im vergangenem Jahr die Spitzenposition an Porsche Consulting verloren hatte, konnte sich das Beratungshaus nun wieder als Gesamtsieger behaupten. Aber nicht nur das – auch in der Kategorie Markenstärke steht das Unternehmen wieder ganz oben auf dem Treppchen. Über den Preis für die beste Wertsteigerung freute sich die Konkurrenz von PwC. Bewertet wurde sowohl der Ruf als auch die Leistung der Berater – und zwar aus Kundensicht. Die beiden Branchenexperten Frank Höselbarth von der auf Unternehmensberatungen spezialisierten People und Brand Agentur und der Frankfurter BWL-Professor Lars Wellejus ermittelten in einem dreiteiligen Verfahren die Markenstärke und die Fähigkeit zur Wertsteigerung. Als Grundlage diente ihnen eine Erhebung, für die 1500 deutsche Unternehmen nach ihrer Meinung zu 40 großen und mittleren Beratungshäusern befragt wurden. Zusätzlich konnten sich die Beratungen auch mit einzelnen Leuchtturmprojekten bewerben, die anschließend von einem Fachbeirat und einer Jury bewertet wurden. Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Ein Blick über den Saal im Hyatt-Hotel. Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Miriam Meckel, Chefredakteurin der WirtschaftsWoche. Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Gewinner Kategorie Wettbewerbsstrategie: Porsche Consulting - Eberhard Weiblen und Manfred Engeser (WirtschaftsWoche) Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Gewinner Business Excellence: Martin Scholich (PwC), Manfred Engeser (WirtschaftsWoche) und Frank Höselbarth von der People + Brand Agency
Gewinner Kategorie IT-Management - it-economics: Karoline Rohweder (Kunde/E.ON), Torsten Klein (it-economics), Hardi Probst, Bernhard Kern, Dominik Haug, Matthias Merz (E.ON), Julian Lipinksi (E.ON), Stefan Sonderfeld (E.ON Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Gewinner Kategorie IT-Management - Torsten Klein (it-economics) Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche

Bisher hat sie den Schritt nicht bereut. Sie schwärmt von den motivierten Kollegen. Von der intensiven Zusammenarbeit. Von der steilen Lernkurve. Und meint, dass auch die Beratung von ihren Erfahrungen profitiert: „Ich weiß, wie ein Konzern von innen funktioniert, wie man eine Präsentation für den Vorstand vorbereitet, und habe auch schon ein Programm zur Kostensenkung operativ umgesetzt“, sagt Börtschök.

Es ist Expertise, die die Kunden heute nachfragen. Es ist aber auch eine Abkehr von sorgsam gehüteten Glaubenssätzen. So galt bei McKinsey die Devise, dass ein unverstellter Blick Probleme besser erkennt und kreativer löst, dass Intelligenz wichtiger ist als Erfahrung. Puristen bezweifeln denn auch den Erfolg des neuen Wegs. „Experten, die von außen dazukommen, haben schon Abteilungen geleitet und müssen sich nun in Teams integrieren. Wie soll das gehen?“, fragt ein langjähriger McKinsey-Manager.

Geistige Elite mit Fehlern

Wer schon anderes gesehen hat, ist außerdem weniger formbar. Kaum ein Unternehmen prägt die Denkweise so stark wie McKinsey. Selbst Manager, die schon viele Jahre in Konzernen arbeiten, erkennen Kollegen mit der gleichen Vergangenheit sofort: an der Sprache, an der Art, wie sie Probleme strukturieren, Präsentationen aufbauen. Und am Anspruch, nicht aufzuhören, wenn ein Konzept einigermaßen in Ordnung ist, aber noch nicht wirklich gut.

Der hohe Anspruch verbindet, man zählt sich zur geistigen Elite, Berater vergleichen sich selbst mit den Jesuiten oder der US-Spezialeinheit Navy Seals. Kaum ein anderes Unternehmen ist so stolz auf seinen Wertekanon. Geprägt hat den vor allem Marvin Bower. Der Wirtschaftsanwalt aus dem ländlichen Ohio führte das Unternehmen von 1950 bis 1967 und verordnete ihm Prinzipien, auf die es sich heute noch beruft. McKinsey-Berater sollen ausschließlich auf Faktenbasis entscheiden, zuerst an das Wohl der Kunden denken, nur nach Leistung befördert werden und ethisch handeln.

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Es gibt nicht mehr nur ein McKinsey

Der Anspruch ist mehrfach in Gefahr geraten. 2002 brach der US-Energiehändler Enron zusammen, den McKinsey als Muster eines innovativen Unternehmens empfohlen hatte. In der Finanzkrise ab 2007 gerieten Banken in die Bredouille, die Ratschlägen der Berater gefolgt waren. Den schwersten Schlag gab es 2014, als der frühere Weltchef Rajat Gupta eine zweijährige Haftstrafe wegen Insiderhandels antreten musste. Die Kunden erschütterte das mäßig, intern aber führte der Skandal zu heftigen Diskussionen.

Die sind nicht verstummt. So fragen sich Insider, ob das Unternehmen die Grenzen des gesunden Wachstums überschritten hat, ob sich seine Größe mit dem elitären Anspruch vereinbaren lässt. Zumal es heute nicht mehr nur ein, sondern viele McKinseys gibt. Die Beratung zerfällt in Praxisgruppen, Ländergesellschaften und Spezialabteilungen. Ein Ableger wie McKinsey Solutions hat wenig mit dem Kerngeschäft zu tun: Experten programmieren Software zur Datenanalyse, die der Kunde anschließend behält.

Neue Geschäftszweige sind unerlässlich, um zulegen zu können, zehn Prozent des Umsatzes macht McKinsey mit Angeboten, die es vor drei Jahren noch nicht gab. Ein neuer Ableger hat Anfang des Jahres in Berlin eröffnet. Dort leitet Markus Berger-de León das Digital Lab der Beratung. Berger de Leon ist ein deutscher Internet-Pionier. Er hat 1999 das Auktionshaus Econia mitgegründet, später war er Chef des Klingeltonverkäufers Jamba, der Handwerkervermittlung MyHammer und des Netzwerks StudiVZ. Diese Erfahrungen soll er nun für McKinsey nutzen.

Bei Softwareentwicklung spät dran

Aktuell arbeiten zehn Leute im Digital Lab, bis Ende 2015 sollen es 30 sein. Sie sind keine klassischen Berater, sondern Spezialisten, etwa für Datenbanken und Softwareentwicklung. „Wir zeigen Unternehmen, wie sie vom Start-up-Umfeld profitieren können“, sagt Berger de Leon. Er und seine Kollegen digitalisieren die Ansprache von deren Kunden, entwickeln Prototypen für Apps und analysieren, welche Start-ups das etablierte Geschäftsmodell bedrohen oder ergänzen. Es ist ein angesagtes Thema, bei dem McKinsey ziemlich spät dabei ist. Wettbewerber BCG war mit einer ähnlichen Einheit Monate früher am Start.

Die Favoriten der Wirtschaftswissenschaftler
EZB Quelle: dpa
Ernst & Young Quelle: dapd
Platz 18: Hugo Boss6,7 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich Hugo Boss als Arbeitgeber. Quelle: dpa
Robert Bosch Quelle: REUTERS
Platz 16: Boston Consulting Group6,9 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich die Boston Consulting Group als Arbeitgeber. Quelle: Presse
 L'Oreal Quelle: REUTERS
Unilever Quelle: dpa

Dabei soll der digitale Wandel einer der großen Wachstumstreiber sein. McKinsey stürzt sich auf Themen wie das intelligente Haus, das intelligente Stromnetz und intelligente Uhren, die Gesundheitsdaten sammeln. All das halten die Berater für unglaublich bedeutsam, und natürlich laufen deutsche Unternehmen Gefahr, die Dynamik zu unterschätzen. „In Zukunft werden viele Unternehmen vor allem aus Softwareabteilungen bestehen“, sagt Berger de Leon.

Um den Wandel geht es nicht nur im Digital Lab, sondern auch bei jenem Termin in München. Dort hat Schumachers Kollege Jan Hildebrand übernommen. Der trägt keine Krawatte und doziert auch nicht drauflos, sondern fragt die Zuhörer erst mal, was sie zuletzt im Internet gekauft haben. Hildebrand geht es um den Weg zum Ziel, er will erklären, wie Unternehmen digital auf sich aufmerksam machen.

Einen großen teil des Beraterjobs macht jetzt das Internet

Das ist gar nicht so leicht. „Keine zwei Journeys sind exakt gleich“, sagt Hildebrand. Viele starteten bei Google, alle folgten dem Schema „Consideration-Evaluation“ – erst überlegen, dann vergleichen. Auch Hildebrand haut ein paar Zahlen raus: Teenager checken ihr Smartphone 150-mal am Tag. Beim chinesischen Auktionshaus Alibaba wickeln Kunden 45 Prozent aller Transaktionen mobil ab. Und beim Klick auf eine gesponserte Anzeige kassiert Google nicht einen Cent, wie ein Zuhörer schätzt, sondern einen Euro. „Der Wandel“, sagt Hildebrand, „ist absolut da.“

Er ist für McKinsey Chance und Bedrohung zugleich. „Während ein großer Teil des Beraterjobs früher darin bestand, Daten überhaupt erst mal zu sammeln, sind die jetzt auf Knopfdruck verfügbar“, sagt Beratungsprofessor Fink. Für professionelle Ratgeber bleibt die Aufgabe, die richtigen Schlussfolgerungen aus der Informationsflut zu ziehen. Damit bricht ein erheblicher Teil ihrer angestammten Tätigkeiten weg. Fink schätzt, dass der Bedarf an gutem Rat in Deutschland weiter wachsen wird, in den kommenden Jahren aber dennoch ein Viertel der Stellen wegfällt.

Die digitale Revolution bedroht McKinsey

Tatsächlich laufen einfachere Preisgestaltungen in Unternehmen inzwischen über Spezialsoftware ab. Und einige Start-ups von der amerikanischen Ostküste fassen durchaus erfolgreich Fuß. Beyond Core etwa analysiert die Datenmengen eines Unternehmens vollautomatisch, Motista trifft auf dieser Grundlage Aussagen über künftiges Kundenverhalten. Die Ergebnisse haben zwar nicht die Qualität einer ausgereiften Analyse, sind aber ungleich preiswerter.

Die digitale Revolution bedroht McKinsey noch von einer anderen Seite, etwa in Gestalt von Oliver Samwer. Der Chef des Berliner Start-up-Inkubators Rocket Internet hat während seines Studiums ein Praktikum bei der Beratung gemacht, zuletzt jedoch zog er mehrmals kräftig über sie her. „Ihr könnt zu McKinsey gehen, wenn ihr gescheitert seid“, spottete er bei einer Konferenz an seiner alten Hochschule, der WHU in Vallendar. Oder auch: „Die Leute kommen mit einem Traum an die Universität, studieren – und enden bei McKinsey oder BCG oder der Deutschen Telekom.“

Samwers Botschaft, dass das wahre und aufregende Leben sich woanders, nämlich in von ihm finanzierten Start-ups, abspielt, ist maßlos übertrieben. Und trifft doch einen wunden Punkt. Die Konkurrenz aus der Digitalwirtschaft ist so groß wie im ersten Boom um die Jahrtausendwende. Gerade Absolventen, die um die Ecke denken und viel bewegen wollen, zieht es zu neuen, angesagten oder eigenen Unternehmen. McKinsey haftet nichts Revolutionäres mehr an, die Beratung ist ein etabliertes Großunternehmen, der Job dort eine Station, die den Lebenslauf optimiert. Und von der aus man gut woanders hinkommt.

Die beliebtesten Arbeitgeber der Wirtschaftswissenschaftler

Anpassung an Generation Y

McKinsey selbst hält sich zwar für einen bevorzugten Arbeitgeber der Generation Y, passt sich aber doch deutlich an. Ein altgedienter Berater nennt eine „robuste Gesundheit“ noch als wichtigste Voraussetzung, um angesichts überlanger Arbeitszeiten und ständig wechselnder Einsatzorte erfolgreich zu sein. Doch vom Image der gut bezahlten Knochenmühle will die Beratung weg. Mit dem Programm Take Time etwa können Berater jährlich bis zu drei Monate unbezahlten Urlaub machen. In einem „Team Barometer“ bewerten sie während Projekten ihre aktuelle Befindlichkeit.

Die Kunden in München sind immer noch da. Jetzt sollen sie selbst ran. Hildebrand zeigt ihnen Weinflaschen der Marke Wine that rocks, ihre Etiketten schmücken die Schriftzüge angestaubter Supergruppen wie Pink Floyd und den Rolling Stones. Für die sollen sie nun selbst Anzeigen im Internet schalten. In kleinen Gruppen diskutieren sie die richtigen Überschriften, die richtigen Schlüsselwörter, schnell ist ihnen klar, dass sie nur mit „Wein“ oder auch „besonderer Wein“ in der Masse der Angebote untergehen. Sie müssen näher ran an die Zielgruppe.

„Wie schreibt man Rock’n’Roll?“, fragt ein Banker. „Oder lieber Rock und Pop?“ Für besonders aussichtsreich halten sie schließlich „50. Geburtstag“. Eine ähnliche Übung vollführen sie auf Facebook, sie suchen passende Interessengruppen und stoßen auf „Harley-Davidson“. Es ist mühsam, aber sie verstehen, wie es läuft.

Selbermachen statt nur zuhören, das ist die Idee hinter dem Angebot in München und hinter vielen neueren McKinsey-Ablegern. Die Kunden sollen Themen so gut verinnerlichen, dass sie bei ihnen keine fremde Hilfe mehr brauchen. Das wollen sie, dafür zahlen sie gerne, aber damit macht sich McKinsey immer auch ein Stück weit überflüssig. Die Beratung muss sich was Neues einfallen lassen. Wieder mal.

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