Steigende Mietkosten Wie Seattle mit der „Amazon-Steuer“ Obdachlosen helfen will

Seattle erhebt eine Steuer, um Obdachlosigkeit besser bekämpfen zu können. Großkonzerne sind erzürnt – vor allem Amazon geht dagegen vor.

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Wie Seattle mit der „Amazon-Steuer“ Obdachlosen helfen will Quelle: dpa

Seattle Die US-Metropole Seattle hat ein Problem: Steigende Obdachlosigkeit und hohe Mietpreise. Nun sollen die ansässigen Großkonzerne wie Amazon und Starbucks dank einer neuen Steuer den Bau von bezahlbarem Wohnraum ermöglichen. Ab 2019 sollen sie jährlich 275 Dollar pro Vollzeitangestellten zahlen. Das hat der Stadtrat der US-Metropole nun beschlossen. Ursprünglich hätten es 500 Dollar pro Mitarbeiter sein sollen.

Großkonzerne sollen so mit Verantwortung für die stark gestiegenen Mietpreise tragen, die durch den massiven Zuzug entstanden sind, lautet das Argument des Stadtrats.

Die „Amazon-Steuer“, wie sie laut Seattle-Times bereits im Volksmund genannt wird, soll jährlich etwa 48 Millionen Dollar einbringen. Dieses soll für bezahlbare Wohnunterkünfte und Obdachlosendienste genutzt werden. Nach Schätzungen des Stadtrats werden rund 585 Arbeitgeber davon betroffen sein – rund drei Prozent aller Unternehmen in Seattle.

Konzern geht auf die Barrikaden

Die Unternehmen sind entzürnt: Allein für den Online-Händler Amazon mit mehr als 40.000 Mitarbeitern in der Stadt wären das zusätzliche Kosten in Höhe von mindestens 11 Millionen Dollar. Das ist dem Konzern zu viel. Er geht auf die Barrikaden und stoppt kurzerhand ein laufendes und ein geplantes Bauprojekt am Stadtrand von Seattle, meldet die New York Times. Eigentlich sollte hier Platz für 7000 neue Mitarbeiter entstehen.

Der Konzern sei „sehr besorgt über den feindseligen Ansatz des Stadtrates, der Amazon dazu zwingt, seinen Wachstum vor Ort zu überdenken“, sagte Amazon-Sprecher Drew Herdener zu der Entscheidung. Der starke Bevölkerungszuwachs sei außerdem kein Problem geringer Einnahmen. „Die Stadt hat ein Problem mit ihren Ausgaben,“ heißt es weiter.

Auch Starbucks übt Kritik an der Stadtverwaltung. Sie würde verantwortungslos mit öffentlichem Geld umgehen und ignorieren, dass Hunderte von Kindern im Freien schlafen müssten. „Wenn sie nicht ein warmes Essen und einen sicheren Schlafplatz für ein fünfjähriges Kind zur Verfügung stellen können, glaubt niemand, dass sie Wohnen bezahlbar machen oder Opiate-Abhängigkeit angehen können“, schrieb Starbucks-Chef John Kelly.

Der Stadtrat wiederum sieht sich von Amazons Baustopp erpresst. Die Reaktion des Konzerns sei „definitiv kein Anzeichen dafür, Teil einer Gemeinschaft sein zu wollen“, sagte Robin Kniech, Mitglied des Stadtrats in Denver.

Dritthöchste Obdachlosenzahl in den USA

Stadträtin Teresa Mosqueda erklärte: „Menschen sterben vor der Haustür des Wohlstands. Dies ist die reichste Stadt im Staat (Washington) und das in einem Staat mit dem regressivsten Steuersystem“ der gesamten USA.

Das bisherige Obdachlosenprogramm der Stadt hat nach Angaben von Befürwortern der Kopfsteuer 3400 Menschen helfen können. Doch das Problem mit den exorbitanten Mieten werde immer größer und zu viele Menschen lebten auf der Straße, sagen sie. Laut Bundesverwaltung King County leben derzeit über 11.000 Menschen im Raum Seattle auf der Straße. Damit habe die Boom-Region die dritthöchste Obdachlosenzahl in den USA überhaupt. 2017 starben 169 Obdachlose.

Einem Bericht der Unternehmensberatung McKinsey nach müsste die Stadt 400 Millionen Dollar aufwenden, um das Problem zu beheben. Die neue einführte Steuer würde also nur knapp mehr als zehn Prozent dazu beitragen können.

Dafür nun Unternehmen stärker zu besteuern, sei der falsche Weg, meinen Kritiker. Schließlich würden so mögliche neue Unternehmensgründungen und Wachstumstreiber verjagt. Befürworter des Steuerplans sagen, Unternehmen, die vom Wohlstand der Stadt profitiert und zu wachsender Einkommensungleichheit beigetragen hätten, sollten auch dafür zahlen.

Zunehmende Obdachlosigkeit ist auch in anderen Städten wie etwa San Francisco, San Diego und Los Angeles ein massives Problem. Seit der Weltfinanzkrise 2008, als Millionen Amerikaner ihre Häuser und Wohnungen sowie ihre gesamte Altersvorsorge verloren haben, sind ganze Obdachlosenstädte entstanden, wo nicht nur Alkoholiker sondern viele Familien unterer Einkommensschichten leben müssen.

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