Steuern sparen, Mitarbeiter ausnutzen Das Geschäftsmodell der Billigkreuzfahrten

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300 Stunden für 900 Euro

Nach deutschem Arbeitsrecht dürften Julia und ihre Kollegen nicht mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten. Doch deutsches Arbeitsrecht gilt auf den Schiffen der deutschen Reedereien nicht.

Am Heck der Schiffe wehen Fahnen in allen Farben, nur nicht in schwarz-rot-gold. „Es gibt eine ganze Reihe von Flaggen, unter denen viele Schiffe fahren, obwohl ihre Eigentümer in anderen Ländern sitzen. Diese Billigflaggen erlauben aber schlechtere Arbeitsbedingungen oder haben laschere Standards. Dadurch sparen die Reeder Kosten“, erklärt Maya Schwiegershausen-Güth, die sich bei der Gewerkschaft Verdi mit der Thematik beschäftigt.

So fahren die mit dem großen roten Kussmund verzierten Schiffe von Aida lieber unter italienischer Flagge, so wie viele andere Schiffe des Mutterkonzerns Carnival. Am Heck der „Mein Schiff“-Flotte von Tui Cruises weht die Flagge von Malta. Und die edlen Cruiser von Hapag-Lloyd, ebenfalls ein Tochterunternehmen von Tui, fahren unter der Flagge der Bahamas. „Heute gibt es in Deutschland kein einziges Kreuzfahrtschiff unter deutscher Flagge“, so Schwiegershausen-Güth.

Das bringt für die Reedereien große Vorteile. In Malta zum Beispiel sind zwölf Stunden Arbeit am Tag erlaubt. Der Kündigungsschutz fällt weg. Vor allem muss sich keine Reederei mehr Gedanken um den Mindestlohn machen, der in Deutschland gelten würde. Die meisten Mitarbeiter im Service und unter Deck stammen aus Südostasien, ihre Löhne liegen weit unter europäischem Niveau. Bei Tui kommen sie laut Unternehmensangaben auf etwa 900 Dollar im Monat. Laut internationalem Seearbeitsrecht dürfen die Mitarbeiter 300 Stunden im Monat arbeiten, die auch pauschal abgegolten werden. Macht einen Stundenlohn von drei Dollar.

Die Reeder wehren sich: Diese Zahlen seien kaum vergleichbar, schließlich wohnen und speisen die Mitarbeiter auf dem Schiff umsonst. „Wer will, kann fast alles sparen von seinem Lohn“, argumentiert ein europäischer Manager.

Doch dafür enden die Verträge für das Servicepersonal standardmäßig nach neun Monaten wieder. Selbst wenn sie bereits wissen, dass sie im nächsten Jahr, zur neuen Saison, wieder an Bord arbeiten werden, müssen sie sich für die Übergangszeit arbeitslos melden. „Die Branche boomt. Aber die Seefahrer profitieren davon nicht gleichermaßen“, kritisiert Schwiegershausen-Güth von Verdi.

Das Umschiffen der Steuer

Und wie die Branche boomt. Die Kreuzfahrt hat sich zu einer wahren Gewinnmaschine entwickelt. So machte Tui Cruises, die Nummer Zwei auf dem deutschen Markt, 2016 einen Umsatz von 843,7 Millionen Euro – und dabei einen Gewinn von 195,1 Millionen Euro. Von diesem Gewinn musste Tui jedoch nur 240.589 Euro Steuern abführen. Zusammen mit anderen Steuern für Gebäude oder Energie kommt der Konzern auf 2,2 Millionen Euro, die er dem deutschen Staat überweisen musste. Das macht eine Steuerquote auf den Gewinn von 1,1 Prozent.

Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt im Bau
Outdoor-TheaterDie Bühne am Heck der Symphony of the Seas soll am Abend die Gäste unterhalten. Im Inneren gibt es außerdem noch eine Eislaufbühne, auf der Eiskünstläufer Shows aufführen. Im großen Theater sollen Broadway-Musicals wie "Hairspray" laufen. Quelle: Royal Carribean International
Dinner mit AusblickWer hier speist, blickt auf Wasserrutschen und die Balkons der anderen Gäste. Das Schiff hat insgesamt 18 Restaurants und Cafés, allerdings sind nur sieben davon für die Gäste kostenfrei. Quelle: Royal Carribean International
Cocktails in rotDie Bar "Bolero" an der Promenade ist bereits fertig, hier können die Reisenden ihre Cocktails trinken. Nur der Boden muss noch mal gewischt und gesaugt werden.
Promenade im BauVor der Bar gibt es auf der Promenade allerdings noch einiges zu tun. Hier arbeiten die Mitarbeiter gerade an einem Starbucks-Kaffeestand. Außerdem sollen die Reisenden auf der Promenade bald Souvenirs, Handtaschen oder Schmuck shoppen.
Der grüne StreifenNoch fehlen im "Central Park" die Pflanzen. In anderthalb Tagen sollen die Gärtner hier 12.000 Büsche, Blumen und Bäume pflanzen. Fünf Gärtner kümmern sich um den Park. Quelle: Royal Carribean International
WettrutschenDie Wasserrutsche trägt den Namen "The Perfect Storm". Bis zu 800 mal rutschen die Gäste am Tag die gelb-grüne Bahn hinunter. Insgesamt gibt es drei Rutschen auf dem Schiff.
Eine Runde joggenAuch eine Laufstrecke gibt es auf dem Schiff. Allerdings ist eine Runde nur 700 Meter lang. Noch sind Geländer und Boden mit Schutzfolien bedeckt.

Im Vergleich ist selbst das noch viel. Die Branche ist berühmt für ihre steuerlichen Navigationsfähigkeiten. Marktführer Carnival, Mutterkonzern von Aida, zahlte laut Geschäftsbericht zuletzt gar keine Steuern – der Konzern erhielt eine Rückzahlung. Genauso wie die Nummer drei der Branche, MSC. Sie konnten ihre Investitionen in neue Schiffe abschreiben.

Die Ursache für die niedrigen Steuerquoten der deutschen Konzerne ist die sogenannte Tonnagesteuer. Hinter dem Begriff versteckt sich eine Art brancheneigenes Wirtschaftswunder, 1999 per Gesetz beschlossen. Demnach müssen Reeder Steuern nicht auf die Gewinne ihrer Schiffe abführen – sondern nur auf deren Größe, die mit der Nettoraumzahl gemessen wird. So zahlen die Reedereien selbst für die größten Kreuzfahrtschiffe nicht mehr als 100.000 Euro Steuern im Jahr.

Mittlerweile ist dieses Steuermodell weltweit verbreitet, erfunden wurde es in den Niederlanden. In Deutschland wurde es eingeführt, um der deutschen Handelsschifffahrt aus der Krise zu helfen, die im internationalen Wettbewerb ohne Tonnagesteuer einfach nicht mehr wettbewerbsfähig war. Doch welchen Effekt dieses Modell auch für Kreuzfahrtreeder haben könnte, darüber dachte damals niemand nach.

Die Branche war einfach nicht wichtig genug. Heute kann das niemand mehr behaupten.

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