Neben seinem Heimatmarkt in den Vereinigten Staaten sowie im benachbarten Kanada testet der Streaming-Dienst Netflix auch in Europa, wie er seine Nutzer davon abbringen kann, ihr Zugangskonto mit Freunden oder Verwandten zu teilen. So tauchen auch in Frankreich und Polen bei Netflix-Nutzern vereinzelt Popup-Meldungen auf, in denen es heißt: „Wenn Sie nicht mit dem Besitzer dieses Kontos zusammenwohnen, brauchen Sie ihren eigenen Account, um weiterzuschauen“.
Netflix-Account teilen: 2,83 Nutzer pro Konto
Danach hat die Nutzerin oder der Nutzer jedoch zwei Möglichkeiten – entweder sie oder er lässt sich per Mail oder SMS einen Code senden, um den Account zu verifizieren. Oder aber man drückt auf die ebenfalls angebotene Option „Verify later“, um die ausgesuchte Sendung weiterzuschauen. Tatsächlich teilen sich gerade bei Netflix häufig mehrere Parteien einen Zugang. Nach Angaben des Berliner Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Goldmedia kommen auf einen bezahlten Account im Schnitt 2,83 Nutzer, also gut zwei weitere Parteien, die über den Zugang beliebte Serien wie „Lupin“ oder „The Crown“ anschauen. Auf einen ähnlichen Wert kommt auch Disney +. Alle übrigen Dienste liegen darunter.
Anders als bei Netflix gibt es weder bei Disney+ noch bei anderen Streaminganbietern Anzeichen dafür, dass sie ähnlich wie Netflix Mit-Seher ins Visier nehmen. Goldmedia-Geschäftsführer Florian Kerkau sieht Disney +, das es mittlerweile auf 95 Millionen Abonnenten bringt, noch „im Wachstum“ und darum sei man dort im Augenblick eher froh über jeden weiteren Nutzer.
Exzessive Nutzer abschrecken?
In der Vergangenheit hat auch Netflix diese Praxis lange Zeit durchaus geduldet. Intern, heißt es, sei das Konto-Teilen als eine wirkungsvolle Form des Marketing betrachtet worden. Ob der Streamingkonzern seine Haltung grundsätzlich geändert hat und tatsächlich verstärkt versucht, die Zahl seiner direkten Abonnenten auf diese Weise zu erhöhen, ist offen. Zu dem aktuellen Test sagt der Konzern, der weltweit inzwischen mehr als 200 Millionen Abonnenten hat, auf Anfrage lediglich: „Dieser Test soll sicherstellen, dass Netflix-Konten nur von Personen verwendet werden, die dazu berechtigt sind.“
Wie ernst Netflix die Warnung tatsächlich meint oder ob es vor allem darum geht, exzessive Nutzer abzuschrecken, ist unklar. Dem Onlinedienst Gammawire zufolge warteten Nutzer, die nach der entsprechenden Popup-Nachricht die „Verify later"-Option gewählt hatten, noch auf eine Reaktion oder eine zweite Warnung durch Netflix.
Rechnung mit vielen Variablen
Unter dem Strich, davon gehen Beobachter aus, dürfte der Streamingkonzern schlicht abwägen, was für ihn die lukrativere Strategie ist. Aktuell liegen die Abo-Preise zwischen 7,99 Euro für den einfachen Zugang und 17,99 Euro im Monat. Bei dem sogenannten Premium-Abonnement können vier Netflix-Streams gleichzeitig laufen.
Ein mögliches Szenario: Kündigen nun viele Kunden ihren Premium-Vertrag, weil er ihnen allein zu teuer wird, wenn ihre Mit-Nutzer von Netflix ausgesperrt würden, und entscheiden sich für den günstigeren Basis-Kontrakt, könnte am Ende der Netflix-Umsatz sinken. Schließen die übrigen Nutzer indes eigene Verträge ab, sähe das Szenario für den Konzern dank steigender Abozahlen wohl günstiger aus.
Für welche Variante sich der Streamingdienst und sein Gründer Reed Hastings in diesem Spiel mit seinen vielen Variablen am Ende entscheidet, werden deutsche Nutzer wohl spätestens dann wissen, wenn auch auf ihren Bildschirmen die Aufforderung auftaucht, ihre Berechtigung nachzuweisen. Bislang jedoch bleiben sie noch unbehelligt.
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