Nach Reed Hastings Rücktritt Hat jetzt eine neue Zeit bei Netflix begonnen?

Künftig im Verwaltungsrat: Netflix-Mitgründer Reed Hastings kündigte am Donnerstagabend außerdem seinen Rückzug von der Spitze des Streaming-Dienstes an. Quelle: imago images

Netflix überrascht mit einem starken Jahresendspurt, braucht aber dennoch dringend immer neue Kunden. Vermehrte Sport-Inhalte sollen dabei helfen. Bald könnten auch Live-Übertragungen dazukommen – allerdings nicht von Fußballspielen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

15 US-Dollar war eine Netflix-Aktie wert, als das Unternehmen 2002 an die Börse ging. Darüber konnten Aktionäre 19 Jahre später nur lachen. Inzwischen hatte sich das Unternehmen von einem DVD-Verleih zum Marktführer im Zukunftsmarkt Streaming entwickelt – und der Börsenwert war entsprechend gestiegen. Als die Corona-Pandemie die Menschen dann weltweit auf die Fernsehcouch zwang, schein der Streamingprimus endgültig nicht mehr verlieren zu können. Auf ihrem Höhepunkt im November 2021 erreichte die Netflix-Aktie einen Wert von fast 700 US-Dollar.

Dann kam das Jahr 2022 – und mit ihm der Corona-Kater. Plötzlich fand eine Dekade des Wachstums ihr jähes Ende: Statt Kundenzugewinnen musste Netflix jetzt Verluste vermelden. Rund 1,3 Millionen Abonnenten weniger waren es im ersten Halbjahr 2022. Die Aktie brach entsprechend deutlich ein – und ist bis heute weit von den einstigen Kurshöhen entfernt. Der erfolgsverwöhnte Streaming-Marktführer schien im Krisenmodus gefangen.

Immerhin: Nachdem das vergangene Jahr über weite Strecken enttäuschend für Netflix verlaufen war, fiel der Abschluss wesentlich besser aus als angenommen. In den drei Monaten bis Ende Dezember gewann der Streaming-Service unterm Strich 7,66 Millionen neue Kunden hinzu – Analysten hatten im Schnitt lediglich mit 4,5 Millionen gerechnet. Neben „Harry & Meghan“ konnte der Videodienst auch mit der Serie „Wednesday“ sowie den Filmen „Troll“ und „Glass Onion“ punkten. Im November startete zudem ein werbefinanziertes Angebot für Kunden, die weniger zahlen wollen.

In die Zeit der steilen Höhenflüge dürfte Netflix allein damit aber dennoch kaum zurückkommen. Dafür braucht es schon tiefergreifende Neuerungen als Werbeanzeigen vor den altbekannten Serien. Und vor allem: Es braucht neue Kundensegmente.

Wo Netflix diese unter anderem zu finden hofft, verrät eine Pressemitteilung des Unternehmens von vergangener Woche: Man fühle sich „unseren Fans gegenüber verpflichtet, die besten Sportgeschichten liefern zu können“, verlautbart darin Brandon Riegg, Vice President für Doku-Formate beim US-Konzern. „Durch unseren exklusiven Zugang hinter die Kulissen der größten Sportereignisse der Welt haben wir die einzigartige Möglichkeit, die Triumphe, Schwierigkeiten und Dramen dieser ikonischen Momente mit unseren Hunderten von Millionen Mitgliedern weltweit zu teilen.“

Neue Sport-Inhalte: Rugby-, Tennis- und Golf-Serien

Es sind zwei neue Sport-Dokumentationen, die Netflix mit diesen Zitaten ankündigt: Eine noch unbetitelte Serie über die Fußball-WM in Katar, die „hinter die Kulissen aller 32 Mannschaften des Turniers“ blicken soll, und „Six Nations“, eine Serie über das gleichnamige Rugby-Turnier. Die neuen Sport-Produktionen bauten auf dem „allgemeinen Erfolg früherer Netflix-Produktionen mit Sport-Inhalten“ auf, sagt Netflix. Sie stoßen unter anderem zur in der vergangenen Woche angelaufenen Tennis-Serie „Break Point“, einer Golf-Serie, die im Februar starten soll, und einer für „später dieses Jahr“ angekündigten Serie über die Tour de France. Außerdem wird im Februar eine fünfte Staffel der Formel-1-Doku „Drive to Survive“ auf Netflix zu sehen sein.

Die derzeitige Flut an Sport-Inhalten auf dem Streamingdienst hat Kalkül: Parallel zum Jahresabschluss gab Netflix-Mitgründer Reed Hastings am Donnerstag seinen Rücktritt als Co-CEO bekannt. Er übergebe die Konzernführung an seinen Co-Chef Ted Sarandos und an Greg Peters und wechsle selbst in den Verwaltungsrat, teilte er mit. Der Schritt war schon lange in Vorbereitung – sukzessive hatte sich Hastings in den vergangenen Jahren aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. In einem Blogbeitrag zu seinem Rücktritt als Co-Chef lobte Hastings denn am Donnerstag auch vor allem die „mutige“ Strategie seiner durch ihn selbst installierten Nachfolger, das Content-Portfolio zu erweitern – an der der Streamingdienst künftig weiter festhalten wird.

Netflix sei mittlerweile kein digitaler Abklatsch des US-Premiumsenders HBO mehr wie noch in den Anfangstagen der Netflix-Original-Inhalte, sagte dazu Netflix-Content-Chefin Bela Bajaria jüngst im „New Yorker“. Stattdessen wolle man heutzutage „zu gleichen Teilen HBO, FX, AMC, Lifetime, Bravo, E! und Comedy Central“ sein. Nicht nur Blockbuster-Serien will Netflix seinen Kunden demnach bieten, sondern auch Reality-Shows, Talkshows, Live-Programme, Kinderserien – ein bisschen von allem eben. Nur so lässt sich das Nutzerwachstum wieder beschleunigen. Und Sport gehört unbedingt auch dazu.

Lesen Sie auch, warum Netflix beim Programm auf Diversität setzt, den Nutzern das aber eigentlich gleichgültig ist. Worum es den Netflix-Zuschauern wirklich geht.

Was unter all dem angekündigten Sport-Content bislang noch fehlt ist Live-Programm. Netflix ist aber schon länger darum bemüht, das zu ändern. Im November berichtete das „Wall Street Journal“, dass Netflix am Wettbieten für die Übertragung der Herrentennis-Turnierserie „ATP World Tour“ beteiligt war. Vor allem die Turnierstopps in Frankreich und Großbritannien hätten den Streamingdienst interessiert – für das europäische Publikum. Auch an Radsport-Übertragungen habe sich Netflix zuletzt interessiert gezeigt. Der „World Surf League“, die seit 2015 die Weltmeisterschaften im Wellenreiten ausrichtet, habe Netflix zuletzt sogar ein Übernahmeangebot unterbreitet.

Gerade das Beispiel der Surf-Liga zeigt Netflix‘ Sportstrategie: Statt bei den großen Massensportarten mitzubieten, will sich der Streamingdienst demnach künftig vor allem in der Nische bedienen. Und dort keine Rechte, sondern ganze Unternehmen kaufen – und manche unbekanntere Sportart so womöglich gar zu einem „Netflix-Franchise“ umfunktionieren. Profit mit eingekauften Rechten für große Sportarten zu machen sei schwierig, sagte dazu im vergangenen Monat Netflix-Co-Chef Ted Sarandos. Und weiter: „Wir sind nicht gegen Sport, wir mögen nur gern Profit.“

Pickleball: Möglicher Anwärter für künftige Live-Übertragungen

Ein möglicher Kandidat für künftige Live-Übertragungen auf Netflix könnte etwa die in europäischen Gefilden kaum bekannte Sportart Pickleball sein. Die in den späten 80er-Jahren in den USA entstandene Ballsportart, die Elemente von Badminton, Tennis und Tischtennis verbindet, lockte in Amerika zuletzt wiederholt mehr als eine halbe Million Zuschauer vor die TV-Bildschirme.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Netflix daran versucht“, sagt dazu ein Analyst von Playmaker Capital im US-Börsenmagazin „Barron’s“. Immerhin sei das Risiko gering: Für Netflix würden Pickleball-Übertragungen „geringe Produktionskosten, einen großen PR-Boost und vermutlich auch eine gewisse Anzahl an neuen Kunden“ bedeuten. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang etwa eine Übernahme des 2014 gestarteten amerikanischen Mediendienstes „Pickleball Channel“.

Interessant sein dürfte für Netflix auch das Wrestlinggeschäft. Der Schaukampf-Sport, eine Mischung aus Athletik und Seifenoper, erreicht in den USA wöchentlich Millionenquoten – und hat auch international viele Fans. In Deutschland verbucht etwa der Spartenkanal ProSieben Maxx wöchentlich mehr als 200.000 Zuschauer mit einer Wrestling-Sendung. Mit dem Wrestling-Marktführer, World Wrestling Entertainment (WWE), hat Netflix in der Vergangenheit auch bereits zusammengearbeitet: 2021 veröffentlichte der Streamingdienst zu Halloween einen interaktiven Film mit dem beliebten WWE-Star The Undertaker.

Wrestling: WWE-Verträge laufen 2024 aus

2024 laufen die derzeitigen Fernsehverträge von WWE in den USA aus. Darüber hinaus gehende Verhandlungen starten in diesen Tagen. Der langjährige Unternehmenschef Vince McMahon, der im Vorjahr wegen Compliance-Verstößen zurückgetreten war, hat sich deshalb jüngst unter kontroversen Umständen an die Spitze des Wrestling-Marktführers zurückgeputscht – um „eine einzigartige Möglichkeit ergreifen zu können, signifikanten Wert für alle Aktionäre zu generieren“, wie er mitteilte.

Laut dem amerikanischen Wirtschaftskanal CNBC soll McMahon gerade den Weg für einen Verkauf des börsennotierten Konzerns bereiten. Ein Deal solle möglichst bereits in den nächsten Monaten über die Bühne gehen. Pünktlich zum Jahreshöhepunkt im WWE-Kalender: dem zweitägigen Live-Event „Wrestlemania 39“ Anfang April im 70.000 Zuschauer fassenden Football-Stadion von Los Angeles.

Exklusive BCG-Analyse Die 10 besten Aktien der Welt

Die politische Weltlage und Sorgen vor weiter hohen Zinsen verunsichern die Börse. Das exklusive Ranking der besten Aktien der Welt – und zehn Titel, die jetzt kaufenswert sind.

Positive Aggression „Es geht nicht um primitiven Ellenbogen-Karrierismus“

Wer zu nett ist, hat im Job verloren. Davon ist Kriminologe Jens Weidner überzeugt. Wie Sie positive Aggression einsetzen, um Ihre Gegner in Schach zu halten und was erfundene Geschichten damit zu tun haben.

Passives Einkommen aufbauen Ihr Weg zur finanziellen Unabhängigkeit

Finanzielle Unabhängigkeit muss kein Traum bleiben. Mit dem richtigen Wissen und passenden Strategien kommen auch Sie auf die Erfolgsspur. Wir zeigen, wie es geht.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier


Die Investmentbank JP Morgan habe WWE dafür bereits in beratender Funktion an Bord geholt, berichtet CNBC. Und die Liste an Kaufinteressenten für das Wrestling-Unternehmen sei groß. Darunter: Comcast, Amazon, ein saudischer Investmentfonds. Und Netflix.

Lesen Sie auch: Woran Netflix' Werbemodell scheitern könnte

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%