
Ungeachtet eines Vermittlungsversuchs hat die Lokführergewerkschaft GDL am Mittwoch ihren Streik auf den Personenverkehr der Bahn ausgeweitet. Millionen Fahrgäste mussten deshalb längere Reisezeiten in Kauf nehmen oder ihre Pläne ändern. Die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft bemühten sich wie schon am Vortag um eine Annäherung mit Hilfe des ehemaligen Bundesarbeitsrichters Klaus Bepler.
Der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, sagte im Fernsehsender n-tv: „Die derzeitige Situation ist, dass wir mit der Bahn in Hintergrundgesprächen sind. Die sind vertraulich, und mehr gibt's dazu aktuell nicht zu sagen.“ Auch eine Bahnsprecherin verwies auf die vereinbarte Vertraulichkeit. Bei den Gesprächen in Frankfurt soll ausgelotet werden, unter welchen Bedingungen ein Schlichtungsverfahren in Gang gesetzt werden kann.
Was die GDL erreichen will
Wie immer geht es zwischen Arbeitgeber und den Gewerkschaften um Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Das Besondere an diesem Tarifkonflikt ist jedoch, dass zusätzlich die GDL (34 000 Mitglieder) mit der viel größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG (210 000 Mitglieder) um die Vertretungsmacht bei einem Teil der Belegschaft konkurriert. Die Bahn wiederum will Tarifkonkurrenz vermeiden. Für eine Berufsgruppe soll ihrer Meinung nach nur ein Tarifvertrag gelten.
Die GDL will die Verhandlungsmacht auch für rund 8800 Zubegleiter, 2500 Gastronomen in den Speisewagen, 3100 Lokrangierführer sowie 2700 Instruktoren, Trainer und Zugdisponenten. Das macht zusammen 17 100 Mitarbeiter. Mit den rund 20 000 Lokführern bildet die GDL daraus die Gruppe „Zugpersonal“ mit 37 000 Mitarbeitern. In dieser Gruppe habe sie die Mehrheit der Mitglieder. Die EVG hält von der GDL vorgenommene Zusammenführung für willkürlich und bezweifelt deren Zahlenangaben.
Das ist der heikle Punkt, weil die Gewerkschaften aus dem Organisationsgrad ihr Verhandlungsmandat für die jeweiligen Berufsgruppen ableiten. Wer stärker ist, soll in Tarifverhandlungen das Sagen haben. Die Frage ist jedoch, welche Organisationseinheit man dabei betrachtet: Einen Betrieb, ein Unternehmen im Konzern, eine Berufsgruppe? Je nach dem kann die Mehrheit mal bei der einen, mal bei der anderen Gewerkschaft liegen.
Bei den Lokführern ist die Sache klar: 20.000 sind bei der Bahn beschäftigt. Die GDL reklamiert 78 Prozent von ihnen als ihre Mitglieder, das wären etwa 15.500. Die EVG gibt ihre Mitgliederzahl unter den Lokführern mit 5000 an, davon seien 2000 Beamte. Das geht nicht ganz auf, selbst wenn alle Lokführer gewerkschaftlich organisiert wären. Aber: Das Kräfteverhältnis ist eindeutig, drei zu eins für die GDL. Schwieriger und umstritten ist es bei den übrigen rund 17.000 Mitarbeitern, die nach GDL-Definition zum Zugpersonal zählen. Die EVG sagt, 65 Prozent der Zugbegleiter und 75 Prozent der Lokrangierführer seien bei ihr organisiert. Das wären zusammen allein bei diesen beiden Berufsgruppen 9860 Beschäftigte. Die GDL macht eine andere Rechnung auf: 37.000 Beschäftigte (inklusive Lokführer) gehörten zum Zugpersonal. Davon seien 19.000 GDL-Mitglieder, das sei eine Mehrheit von 51 Prozent.
Für die GDL ist das sehr bedeutsam. Denn ein solches Gesetz könnte ihre Handlungsmöglichkeit einschränken. Möglicherweise verlöre sie in bestimmten Ausgangslagen das Streikrecht. Damit wäre die GDL wie andere Berufsgewerkschaften in ihrer Existenz bedroht. Die GDL hat bereits angekündigt, dass sie ein solches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen würde.
Streiks in rascher Folge, Lähmung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft sollen erschwert werden. Die Diskussion hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes schon vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten die Tarifvertrags-Vielfalt und die Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Der Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wurde damals hinfällig.
Weselsky blieb bei seiner Haltung, dass ein Schlichtungsverfahren erst dann möglich sei, wenn die Bahn akzeptiere, dass die GDL eigenständige Tarifverträge für alle ihre Mitglieder abschließen dürfe. „Wenn es uns gelingt, das in die entsprechende Form zu gießen, dann kann es auch in eine Schlichtung gehen“, sagte Weselsky. Er fügte aber hinzu: „Ich erwarte nicht, dass wir über Nacht den Tarifvertrag fertig haben.“
In der Nacht zum Mittwoch um 2.00 Uhr traten die Lokführer auch bei den Personenzügen in den Streik. Seit Dienstag wird bereits der Güterverkehr bestreikt. Die Bahn spricht von einem unbefristeten Streik. Die GDL weist dies zurück, lässt das Streik-Ende aber zugleich offen. Es ist der neunte Ausstand in diesem Tarifkonflikt seit Anfang September.
Bundesregierung hält sich aus Bahnstreik heraus
Die Bundesregierung will sich als Eigentümerin der Bahn nicht in den Lokführerstreik einmischen, unterstützt aber die Idee einer Schlichtung. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch in Berlin: "Die Tarifautonomie ist grundgesetzlich geschützt, auch vor Regierungseingriff." Seibert sagte, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe mehrfach erklärt, dass das Streikrecht ein verbrieftes Grundrecht und ein hohes Gut sei. "Zugleich müssen sich alle Beteiligten zu so einer besonderen Zeit ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein", mahnte er mit Blick auf die Pfingstfeiertage. Die Kanzlerin habe auch gesagt, dass der Weg einer Schlichtung möglich und gangbar wäre. Die Bundesregierung werde sich aber nicht einmischen.
Fahrgastrechte während des Bahnstreiks
Das hängt von der Verspätung ab. Kommt die Bahn mindestens eine Stunde zu spät am Ziel an, werden 25 Prozent des Fahrpreises erstattet. Die Hälfte des Preises wird bei einer Verspätung ab zwei Stunden zurückgezahlt.
"Fahrgäste, die aufgrund von streikbedingten Zugausfällen, Verspätungen oder Anschlussverlusten ihre Reise nicht wie geplant durchführen können, können ihre Fahrkarte und Reservierung im DB Reisezentrum oder in den DB Agenturen kostenlos erstatten lassen", schreibt die Bahn. Fahrgäste, die ihre Reise gar nicht antreten, können ihr Ticket auch nach dem ersten Gültigkeitstag erstatten lassen.
Fahrkarten, die in einem DB Reisezentrum, einer DB Agentur oder am DB Automaten gekauft wurden, können nur dort erstattet werden. Für Online-Tickets gibt es ein Erstattungsformular: http://www.bahn.de/p/view/home/info/streik_gdl_042015.shtml
Fällt ein Zug streikbedingt aus, können Reisende den nächsten - auch höherwertigen - Zug nutzen. In diesem Fall wird bei zuggebundenen Angeboten, wie beispielsweise Sparpreis-Tickets, auch die Zugbindung aufgehoben. Ausgenommen hiervon sind regionale Angebote mit erheblich ermäßigtem Fahrpreis (Schönes Wochenende-, Quer-durchs-Land- oder Länder-Tickets) sowie reservierungspflichtige Züge.
Nur im äußersten Notfall: "Wird aufgrund eines Zugausfalls oder einer Verspätung eine Übernachtung erforderlich und ist die Fortsetzung der Fahrt am selben Tag nicht zumutbar, werden dem Fahrgast angemessene Übernachtungskosten erstattet", heißt es von der Bahn. Wichtig: Um die Kosten erstattet zu bekommen, muss das Original der Hotelrechnung eingereicht werden.
Über die Fahrgastrechte informiert die Bahn auf ihrer Homepage: http://www.bahn.de/p/view/service/fahrgastrechte/faq_fahrgastrechte.shtml
Details zu den Rechten während des Streiks stehen auf dieser Seite:
http://www.bahn.de/p/view/home/info/streik_gdl_042015.shtml
Die kostenpflichtige Servicenummer lautet: 0180/699 66 33
Wenn es einmal Streit gibt, übernimmt die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr: https://soep-online.de/
Die Bahn hat Ersatzfahrpläne aufgestellt. Demnach dürften etwa zwei Drittel der sonst üblichen Fernzug-Fahrten ausfallen und je nach Region 40 bis 85 Prozent der Nahverkehrszüge. Auch die S-Bahnen sind vom Streik betroffen. Sollten Bahn und GDL nicht zuvor näher kommen, solle der Streik „etwas länger“ dauern als Anfang Mai, hatte Weselsky angekündigt. Damals waren es knapp sechs Tage. Nun soll der Ausstand nach Ankündigungen der GDL über die Pfingstfeiertage gehen.
Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, kritisierte: „Das Verhalten der GDL ist ein Anschlag auf die Tarifautonomie in Deutschland.“ Bei ihrem Ausstand gehe es der GDL vorrangig um Machtinteressen - nicht um das Erzielen eines Tarifkompromisses. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) betonte, mit dem Streik sei eine „neue Dimension“ erreicht. Langfristig müssten neue Vertriebswege gesucht werden, „da der Verkehrsträger Schiene immer unzuverlässiger wird“.
Für den jetzigen Streik hat die GDL bei ihrem Dachverband, dem Beamtenbund (dbb), bislang keine finanzielle Unterstützung beantragt. Das sagte der Vorsitzende des Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, am Mittwoch im Deutschlandfunk. Die GDL kann aus einem Fonds des dbb Unterstützung für ihr Streikgeld erhalten. Dazu muss sie einen Antrag an den Vorstand der DBB-Bundestarifkommission stellen - und zwar für jeden Streik neu
Dauderstädt sagte, die GDL habe nur für einen Teil der vorherigen Ausstände Anträge auf Streikgeld-Unterstützung gestellt. Dafür habe es jeweils eine Zusage gegeben. Welche Summe anfallen werde, sei noch unklar. „Es ist bisher auch noch nichts abgerechnet worden“, fügte er hinzu. Die Streikgeld-Abrechnung sei kompliziert - sie dauere mindestens ein halbes Jahr. Die GDL hatte das Streikgeld zuletzt von 75 auf 100 Euro pro Tag erhöht.