Eigentlich wollte die Lufthansa in dieser Woche ihre Kunden ganz anders überraschen. Zusammen mit dem Vermarkter Disneymedia hatte der Marketing-Leiter des Lufthansa-Fluggeschäfts, Alexander Schlaubitz, eine Image-Kampagne konzipiert: Die Puppen der US-Serie Muppets sollten pünktlich zum Start ihres neuen Films am 1. Mai in den Werbesports der Fluglinie auftauchen und die Augen des Froschs Kermit sowie der Diva Miss Piggy die Schlafbrillen der Fluglinie zieren.
Die Aufmerksamkeit hat Ilja Schulz der Lufthansa erstmal verdorben. Denn seit der Präsident der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) mit seinen Kollegen in der vorigen Woche beschlossen hat, ab Mittwoch für drei Tage den Lufthansa-Flugbetrieb mit einem Streik lahm zu legen, interessiert sich kein Passagier mehr für Kermit. Alles dreht sich um Chaos an den Airports, verpasste Termine und verspätete Ferien.
Wie schlimm der Streik am Ende wird, ist noch nicht absehbar. Zur Sicherheit haben die Lufthansa und ihre Tochter Germanwings 3800 Flüge abgesagt. Klar ist zudem: Für die Lufthansa wird die Sache teuer. Sie verliert nicht nur die Einnahmen von fast einer halben Million Passagieren und über 200 Millionen Euro Umsatz.
Zwar brauchen die beiden Linien ihren gestrandeten Passagieren in der Regel keine Entschädigung zu zahlen, weil Streiks als höhere Gewalt gelten. Doch sie müssen die Fluggäste schnellstmöglich anderweitig ans Ziel bringen - mit dem Zug oder anderen Airlines. Das freut die Konkurrenz und vor allem die angeschlagene Air Berlin, sofern sie bei den inzwischen meist über 80 Prozent ausgelasteten Maschinen überhaupt Platz hat. Ist die Reise mehr als zwei Stunden verspätet, haben Passagiere das Recht auf Essen und Trinken und auf zwei kostenlose Telefonate, Faxe oder E-Mails. Wer in dem Chaos lieber nicht fliegen will, bekommt das Geld zurück.
Auf den ersten Blick wirkt der mit fast 4000 abgesagten Flügen wohl größte Ausstand der gut 70-jährigen Lufthansa-Geschichte wie das altbekannte Ritual. Auf der einen Seite steht ein wacker kämpfendes Unternehmen mit angespannten Finanzen. Und auf der anderen Seite ein Rudel gieriger Egoisten. Die Piloten, so eine verbreitete Lesart, wollen ihre Direktorengehälter und Privilegien wie äußerst günstige Reisen und hohe Sozialleistungen einfach nicht aufgeben. Sie fordern auch noch höhere Gehälter, selbst wenn dabei das Unternehmen und der Standort Deutschland leiden.
Kein Wunder also, dass angesichts des Frustes besonders unter den bereits mehrfach in diesem Jahr gestrandeten Passagieren viele nach dem Gesetzgeber rufen. So will der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Arnold Vaatz, das Streikrecht ändern. „Die Schäden, die ein Arbeitskampf auslöst, müssen im Verhältnis zum Anlass stehen", sagte der CDU-Politiker.
Kampf gegen die "Tea-Party-sierung"
So verständlich der Frust auch ist, wenn einem – wie auch dem Autor dieser Zeilen – zum dritten Mal in sechs Wochen die Reisepläne auf den Kopf gestellt werden: Die Sache ist dann doch ein wenig komplizierter.
Am Ende ist die Auseinandersetzung sowohl für die Lufthansa (LH) als auch für die Vereinigung Cockpit (VC) ein Gefecht, das angesichts dramatischer Veränderungen die eigene Klientel bei der Stange halten soll, auf dass die sich nicht weiter radikalisiert. „Wir haben da sowohl bei LH wie bei VC einen Trend zum Extremen. Hier fordern von den Auswirkungen wenig betroffene Leute von den Verhandlern im Streit unnötige Härte“, so einer der VC-Funktionär. Eines seiner Gegenüber bei Lufthansa ergänzt unter Anspielung auf die Tea Party genannte Radikalfraktion der Republikanischen Partei aus den USA: "Unsere Hauptaufgabe ist es, diese Tea-Party-sierung auf beiden Seiten zu verhindern, damit am Ende vor lauter Ideologie nicht die Lufthansa unter die Räder kommt."
Das ist nicht leicht. Auf der Lufthansa-Seite gibt es Druck von den Investor Relations genannten Aktionärsbetreuern, die Gewinne endlich zu erhöhen. Während im Wartungsgeschäft bereits bis zu zehn Cent von jedem Euro Umsatz als Gewinn hängen bleiben, sind es beim Kerngeschäft Flug in der Regel bestenfalls drei. Das ist den meisten Investoren zu wenig angesichts der vielen vor allem in Flugzeuge investierten Milliarden und des hohen Risikos. Bei politische Krisen wie nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 oder Krankheiten wie der Lungenseuche SARS wurden Mitte des vergangenen Jahrzehnts über Nacht aus Gewinnen ein Verlust, weil plötzlich die Flieger leer blieben.
Welche Rechte Fluggäste bei Streik haben
Die Verbraucherzentrale NRW erklärt, welche Rechte betroffene Fluggäste haben.
Die Airline muss laut EU-Verordnung einen Ersatzflug zum nächstmöglichen Zeitpunkt anbieten. Alternativ können Fluggäste bei Annullierung des Flugs vom Luftbeförderungsvertrag zurücktreten und sich den Flugpreis erstatten lassen.
Bei Ausgleichszahlungen ist die Lage strittig. Nach bislang überwiegender Ansicht gelten Streiks als "außergewöhnliche Umstände", und dann braucht die Fluggesellschaft nicht zu zahlen.
Findet der Flug verspätet statt, sichert die europäische Fluggastrechte-Verordnung folgende Rechte zu: Anspruch auf kostenlose Betreuung besteht ab zwei Stunden Verzögerung bei Kurzstrecken (bis 1500 km), ab drei Stunden bei Mittelstrecken (bis 3500 km) und ab vier Stunden bei Langstrecken. Die Airline muss dann für Mahlzeiten, Erfrischungen, zwei Telefongespräche, Telexe, Faxe oder E-Mails sowie eventuell notwendige Hotelübernachtungen (falls sich der Flug um einen Tag verschiebt) samt Transfer sorgen.
Wollen die Fluggäste die Reise bei einer mehr als fünfstündigen Verspätung nicht mehr antreten, können sie ihr Geld zurückverlangen.
Der Reiseveranstalter ist der erste Ansprechpartner, wenn der ausfallende Flug Teil einer Pauschalreise ist. Auch der Veranstalter hat die Pflicht, schnellstmöglich für eine Ersatzbeförderung zu sorgen.
Erst, wenn der Flieger mehr als vier Stunden verspätet ist, kann je nach Flugstrecke ein Reisemangel vorliegen. Dann können für jede weitere Verspätungsstunde fünf Prozent des Tagesreisepreises vom Veranstalter zurückverlangt werden.
Wenn durch den Streik Reiseleistungen ausgefallen sind, haben Urlauber die Möglichkeit, nach ihrer Rückkehr den Preis der Reise zu mindern.
"Die gängige Ansicht ist: Wenn andere Branchen das schaffen, dann strengt ihr euch wohl nicht genug an und macht zu wenig Druck", beschreibt ein führender Lufthansa-Mitarbeiter die Anleger-Gespräche. Als einfachsten Weg hierzu erscheinen die Pilotengehälter. Die rund 5400 Flugzeugführer verdienen schließlich mit bis zu 255.000 Euro im Jahr mehr als mancher Manager eines Investmentfonds. Dazu ist die gängige Meinung: Und wenn die wehrten Damen und Herren Flugzeugführer trotz der vielen Technik, dank der eine Maschine fast allein starten und landen kann, nicht mehr fliegen können, kriegen die zu allem Überfluss bis zur Rente 60 Prozent vom Lohn ohne was dafür tun zu müssen.
Wer mit Piloten redet, bekommt natürlich ein etwas anderes Bild. Das beginnt beim Gehalt. Sicher, die Flugzeugführer der Lufthansa sind keine armen Leute wie die Fahrer manches Express-Paketdienstes. Sie verdienen gut und unter dem Strich mehr als viele ihrer Passagiere, die sie dieser Tage an den Boden verbannen.
Kern-Streitpunkt Altersvorsorge
Doch der Eindruck täuscht ein wenig. Nicht nur, dass lediglich ein paar Hundert die Viertelmillion Euro im Jahr bekommen – und etwa zwei Drittel bekommen weniger als die Hälfte. Der – immer noch üppige Betrag – übersteigt oft die tatsächlichen Lebensverhältnisse. Das reale Einkommen ist am Ende oft deutlich niedriger – und nicht nur, weil viele Flugzeugführer in Scheidung leben, weil sie ihrem Ehepartner zu lange unterwegs waren und dabei Versuchungen nachgegeben haben, wie viele lästern. Da die Piloten für Versicherungen gegen Berufsunfähigkeit zahlen müssen, entsprechen etwa die 110.000 Euro brutto eines besseren Co-Piloten am Ende nur einem Gehalt von gut 80.000 Euro.
Der noch größere Streitpunkt ist die Altersvorsorge. Für Piloten ist die körperliche Belastung höher als in anderen Jobs, wie selbst viele führende Lufthanseaten zugeben, die sich öffentlich über die Streifenhörnchen aufregen, wie die Damen und Herren im Cockpit intern wegen ihrer Rangabzeichen am Ärmel heißen.
Um die Flugzeuge und ihre Besatzung möglichst ohne große Leerzeiten zu beschäftigen, schickt die Einsatzplanung sie kreuz und quer über den Erdball. Dabei kommt es häufig vor, dass ein Pilot zunächst in Richtung Asien fliegt, wo der Tag bis zu acht Stunden früher beginnt. Nach einer Nacht vor Ort, dem Rückflug und einem Tag Erholung geht es dann gen Westen, wo der Tag acht Stunden später anfängt. Der Rückflug folgt einen Tag später. „Das ist, als wenn man zwei Mal die Woche eine Nacht durchmacht, und dann einen Tag schlecht schläft“, sagt ein Pilot. „Das geht an die Substanz.“ Darum haben die Piloten eine besonders großzügige Übergangsversorgung ab dem Zeitpunkt, an dem sie ein Fliegerarzt aus dem Cockpit holt, bis zum Beginn der offiziellen Rente.
Dazu dürfen sich weder die Lufthansa noch ihre Investoren wundern, dass die Flugzeugführer so stur sind. Es ist Teil der Ausbildung, dass sich ein Flugzeugführer im Alltag kompromisslos um Sicherheit kümmert und bestenfalls begrenzt um Dinge wie Kosten und Wirtschaftlichkeit. „Da darf es keinen überraschen, wenn den Damen und Herren Piloten die Gewinn- und Verlustrechnungen auch in Tarifverhandlungen nicht so wichtig sind“, sagt ein Pilot.
Schließlich nehmen die europäischen Fluglinien ihren Piloten die Möglichkeit, sich ihr Gehalt aufzubessern - etwa durch den Wechsel zu einer anderen Fluglinie. Wer als Pilot die Lufthansa verlässt, müsste bei Air France oder British Airways wieder als Co-Pilot anfangen. Nur wer zu einer Fluglinie am Golf oder nach Asien geht, und dabei auf Dinge wie Mitbestimmung und Kündigungsschutz verzichtet, kann weiter als Kommandant fliegen.
Beide Seiten könnten besser agieren
Streik an deutschen Flughäfen - Lufthansa streicht fast 600 Flüge
Doch auch die Piloten machen es sich mit ihrer Haltung etwas einfach. Ein Kritikpunkt ist, dass die Lufthansa mit ihrem Beschluss in diesem Jahr wieder Dividende zu zahlen, die Investoren auf Kosten der Beschäftigten beglückt. Das ist purer Unsinn. Denn will die Lufthansa auch künftig wachsen und in neue Flieger und Sitze investieren, muss sie so viel verdienen, dass ihre Geldgeber und Aktionäre eine Rendite auf ihr Geld bekommen. Das kann sie aber bereits bei den heutigen Kosten kaum, weil ihr Billigflieger und die Fluglinien vom persischen Golf nicht zuletzt dank niedrigerer Arbeitskosten die Kunden mit Kampfpreisen abjagen.
„In ein Papier mit der Rendite eines Sparbuchs, aber dem Risiko eines Windparks, würde ich natürlich auch nicht investieren“, gibt ein Pilot zu. Das bedeutet, dass die Piloten sich künftig höhere Gehälter oder Sozialleistungen durch längeres oder produktiveres Arbeiten verdienen müssen. Da mag sich mancher Pilot nun betrogen fühlen. Aber wer den Job seit dem Jahr 2000 begonnen hat, konnte sich die Entwicklung leicht ausmalen.
Somit müssen sich beide Parteien bald annähern – wenn auch erst, nachdem sie gegenüber der Gegenseite eine für ihre eigenen Extremisten überzeugende Härte gezeigt haben. Doch klar ist, erstmal müssen die Piloten Abstriche machen. Das haben viele bereits erkannt. Immerhin laufen die aktuellen Runden zur Gehaltserhöhung bereits zwei Jahre, ohne dass die Piloten gestreikt hätten.
Doch auch die Fluglinie könnte besser agieren. „Die Lufthansa sollte auch mal anerkennen, dass andere Gewerkschaften wie die IG Metall oder Verdi bei einem offenen Tarifvertrag keine zwei Jahre ruhig geblieben wären“, sagt ein Pilot.
Dazu muss sich auch die Lufthansa bei der Altersvorsorge bewegen, weil nun mal mit jedem Jahr länger im Cockpit das Risiko der Berufsunfähigkeit steigt. Dazu sollte sie Kompromisse aus Pilotensicht etwas früher und offener anbieten. „Und zwar auch am Verhandlungstisch, bevor wir einen Streik verkünden und nicht nachher und nur in Pressemitteilungen“, heißt es bei der Pilotengewerkschaft.
Denn egal, worauf sich die Kontrahenten in absehbarer Zeit einigen, sie sehen sich bald wieder. Die gegenwärtig umkämpfte Lösung regelt nur die Zeit bis zum Rentenalter 65 Jahre. Über die Folgen der beschlossenen Rente mit 67 haben die Seiten noch gar nicht geredet.
Es ist also zu befürchten, dass die Rituale gegen die eigenen Radikalen noch ein paar Jahre weitergehen. Und das zu Lasten der Kunden, vor allem derer, die noch nicht abgewandert sind zu Konkurrenten, bei denen – wie bei Emirates aus Dubai – nicht mit Streiks zu rechnen ist.