
Im Hochtief-Halbjahresbericht stecken womöglich gravierende und bewusst vorgenommene Fehleinschätzungen. Drei Spitzenmanager der Offshore-Sparte des Essener Baukonzerns Hochtief werfen der Geschäftsführung des übergeordneten Bereichs Hochtief Infrastructure (HTI) vor, für den Halbjahresbericht Zahlen geschönt zu haben. Dies belegt ein Hochtief-internes Mail vom 30. Juni, das der WirtschaftsWoche vorliegt.
Die Geschäftsleiter des Offshore-Bereichs, Martin Rahtge, Stefan Woltering und Gerd Kroll, behaupten in dem Mail an HTI-Finanzchef Jörg Laue, es seien „auf Weisung der Geschäftsführung HTI nunmehr auch per 30.6. erhebliche Vorgriffe vorgenommen“ worden. Die Mail-Autoren distanzieren sich: „Die Geschäftsleitung des Geschäftsbereichs Offshore trägt die Entscheidung der Geschäftsführung nicht mit.“
Die Hochtief-Dokumente zum Download
Vier interne Hochtief-Schreiben belegen massive Probleme innerhalb des Europa-Geschäfts unter dem Namen Hochtief Solutions. Angeprangert werden geschönte Zahlen im Offshore-Bereich, die den Halbjahresbericht und am Ende die Bilanz verfälschen, massiver Verlust an Know-how durch Kündigungen wichtiger Fachkräfte, Durcheinander und sinnlose Bürokratisierung nach der umstrittenen Solutions-Umstrukturierung. Einst loyale Führungskräfte wollen das offenbar nicht mehr mitmachen. Sie schreiben interne Brandbriefe, um gegenzusteuern und vermutlich auch, um sich selber vor möglichen rechtlichen Folgen zu schützen.
In diesem Mail geht die Geschäftsleitung Offshore auf maximale Distanz zu ihren Vorgesetzten. Die Offshore-Experten beziffern genau, welche Verluste die beiden Offshore-Projekte, die Hochtief baut, bis zum 30. Juni gemacht haben. Und sie behaupten, die Geschäftsführung der übergeordneten Hochtief Infrastructure habe für die Projekte bewusst andere Zahlen und sogar Gewinne ausweisen lassen.
Mitte 2013 warnte die vierköpfige Geschäftsleitung des Bereichs Infrastructure Solutions den Vorstand vor der inzwischen durchgeführten Umstrukturierung. Unter den Adressaten war auch Hochtief-Vorstandschef Marcelino Fernandez. Weil etwa die bisher spezialisierten Niederlassungen künftig die gesamte Palette von Hoch- und Tiefbau anbieten sollten, fürchteten die Manager „einen erheblichen Know-How-Verlust“ durch Kündigungen. Die Briefschreiber haben Hochtief inzwischen verlassen.
Das Rundschreiben des aktuellen Geschäftsleiters von Hochtief Infrastructure Europe North/West an die Niederlassungsleiter der Region belegt, dass die Lage des Bereichs ein halbes Jahr nach beginn der Umstrukturierung von Solutions desolat ist. Um operativen Aufgaben überhaupt noch gerecht werden zu können, verbietet der Manager etwa die Durchführung der von oben geforderten Audits in den Niederlassungen. Niederlassungsabschlüsse sollen im Juli und August schlicht entfallen.
Der Geschäftsleiter von Hochtief Infrastructure Europe North/West erläutert die Maßnahmen nochmals in einem Brief an die Mitarbeiter. Er klagt, angesichts administrativer Aufgabe bleibe nicht genug Zeit, „um an der tatsächlichen Ergebnisverbesserung zu arbeiten, die wir uns vorgenommen haben“. Die Bereitschaft der Führungskräfte zu einem Arbeitseinsatz bis an die Grenze der Gesundheit sei „deutlich abnehmend“, und er selber findet das „nachvollziehbar“.
Die Offshore-Manager beziffern das Ist-Ergebnis des Ostsee-Windparkprojekts Baltic II zum 30. Juni mit minus 0,5 Millionen Euro seit Baubeginn und das des Nordsee-Pendants Global Tech I mit minus 2,0 Millionen Euro. Übernommen in die Halbjahres-Gewinn-und-Verlustrechnung wurden aber, so die drei Offshore-Geschäftsführer, „weisungsgemäß“ positive Erträge von knapp 4,4 Millionen Euro für Baltic II und von rund 6,1 Millionen für Global Tech I. Die Abweichung liegt demnach bei fast 13 Millionen Euro.
Hochtief lehnte eine Stellungnahme zu den bisherigen Ergebnissen der Offshore-Bauaufträge ab: „Wir berichten nicht über Ergebnisse auf Projektebene.“
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Der Ende Juli veröffentlichte Halbjahresbericht suggeriert, dass der Verlust der europäischen Bausparte von 13,2 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2013 auf 6,5 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2014 sank. Hätte Hochtief die von Rathge, Woltering und Kroll für richtig gehaltenen Zahlen verwendet, wäre der Verlust des Bereichs gegenüber dem ersten Halbjahr 2013 jedoch gestiegen.
Der Aktienrechtler Oliver Maaß von der Kanzlei Heisse Kursawe in München, der Hochtief seit der feindlichen Übernahme durch den spanischen ACS-Konzern 2011 beobachtet, hält eine Überprüfung des Vorgangs durch die Finanzaufsicht BaFin sowie durch deren vorgelagerte Instanz, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung in Berlin, für unvermeidlich: „Sollten die im Halbjahresbericht genannten Zahlen nicht vertretbar sein, geht es hier um den Vorwurf der fehlerhaften Rechnungslegung, der Bilanzfälschung und des falschen Bilanzeids. Dies alles wäre strafbar und ein Fall für die Staatsanwaltschaft.“
Zwei der drei Offshore-Geschäftsleiter, Rahtge und Woltering, haben inzwischen gekündigt, bestätigte Hochtief gegenüber der WirtschaftsWoche.