Tauchsieder

Kaufen! Kaufen! Kaufen?

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Die Bedürfnisse Aller sind gestiegen

Dahinter steckt nicht nur das böse Vermutung, dass eine Mehrheit vom technologischen Wandel nicht profitieren wird. Sondern auch die Idee einer Sozialisierung des Konsums, um die Privatisierung der Gewinne nicht zu gefährden. Anders gesagt: Der ordnungspolitische Staat der Zukunft soll künftig nicht mehr faire Wettbewerbsbedingungen garantieren. Sondern Digitalmonopolisten dabei helfen, das Konsumniveau zu erhalten.

Der Konsument als Subventionsadressat des Sozialstaates - es wäre vor allem eine Niederlage des Kapitalismus. Zur Erinnerung: Zu einem ökonomischen Faktor stieg der Konsument erst im Laufe des 19. Jahrhunderts auf. Die schottischen Ahnherren der Nationalökonomie (Thomas Malthus, David Ricardo, Adam Smith) argumentieren vorher, dass es sich bei der proletarischen Armut um ein inevitable law of nature handelt. Lohnerhöhungen für die less fortunate würden nicht den Lebensstandard heben, sondern nur dazu führen, dass die Arbeiter mehr Kinder in die Welt und dadurch das Überleben aller aufs Spiel setzten. Sie erblicken in der Arbeit die Quelle des Wohlstands und sind der Auffassung, dass Investitionen das wirtschaftliche Rad in Schwung halten - weshalb der Lohn der Arbeit gerade so hoch sein soll, dass der Arbeiter davon leben und eine Familie grünen kann.
Erst später verstanden Kapitalisten, dass nur solvente Proletarier ausreichend Waren kaufen können.

Verstanden Wirtschaftswissenschaftler, dass der Preis einer Ware nicht nur von der Arbeit abhängt, die in ihr steckt – sondern auch davon, welchen Wert ihr ein Konsument beimisst. Tatsächlich war die Promotion des ausgebeuteten Arbeiters zum Arbeitnehmer und Kunden das eigentliche Wunder der industriellen Revolution: „Die Bedürfnisse Aller sind gestiegen“, stellte der sozialreformerische Ökonom Gustav Schmoller bereits 1864 fest: „Selbst die untersten Klassen können sich Genüsse erlauben, an die sonst kaum Fürsten und Könige denken konnten.“ Der Rest ist Konsumexpansion, sind Waschmaschine, Zweitauto und Computer, sind Kaufhäuser, Versandhändler und Werbeversprechen. Mit dem Unterschied, dass Bedürfnisse heute weniger denn je gedeckt, vielmehr geweckt werden müssen.

Auf dem Spiel des Digitalkapitalismus steht daher nicht zuletzt die mit sich selbst identische Figur des „Staatsbürgers“, „Arbeitnehmers“ und „Verbrauchers“, die auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft tüchtig Geld verdient und ausgibt - eine zunehmend homogene „Mittelschicht“, die am Ideal der Arbeit und an der Prämierung von Leistung Stabilität gewann. Wenn der „Massenkonsum“ der Zukunft so organisiert ist, dass wenige Digitalkonzerne für die Bedarfsweckung zuständig sind und der Staat für die Bedarfsdeckung - dann bliebe dabei vor allem der Markt auf der Strecke.

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