Tauchsieder
Quelle: imago images

Die Humoristen von ARD und ZDF

Das Zweite verlangt mehr Geld, um sein „Qualitätsniveau“ zu halten. Das Erste droht: Geld her oder Verfassungsklage! Alles Selbstironie? Oder doch Satire? Die Diskussion um den Rundfunkbeitrag nimmt Fahrt auf.

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Seit Jahren schon plädiere ich für einen ebenso stattlichen wie staatlichen Mindestlohn, der Redakteuren in Zukunft gezahlt werden soll. Das ist nur dreiviertelwegs satirisch gemeint. Denn dieser Mindestlohn in Höhe von, sagen wir: 10.000 Euro brutto wäre an zwei Bedingungen gekoppelt. Erstens an den Nachweis ausreichender und vorzüglicher Arbeit - jeder Redakteur müsste eine bestimmte Menge Inhalt in einer bestimmten Zeit in einer bestimmten, von Maschinen nicht kopierfähigen Qualität abliefern, sonst drohen empfindliche Abzüge; man könnte die Bedingung neudeutsch minimum-quality-limit nennen. Zweitens bekäme jeder Redakteur für jede überflüssige Zeile und jeden überzähligen Satz, für jedes Klischee, jede Phrase, jedes Füllwort einen Abzug in Rechnung gestellt; man könnte diese Bedingung neudeutsch maximum-quantity-limit nennen.

Die Vorteile eines so gestalteten Mindestlohnes liegen auf der Hand, vor allem für Medienkonsumenten: Kein Spiegel-Reporter könnte uns mehr Märchen auftischen. Keine Magazin-Geschichte würde uns mehr Zeit (als nötig) rauben. Jede Kolumne, jeder Kommentar wäre eine Perle journalistischer Stilsicherheit, Lakonie und Prägnanz. Im Sinne einer (gleichsam) institutionalisierten Textoptimierung wäre außerdem darüber nachzudenken, Leser am Ende eines jeden Stückes über die gefühlte quality-time-ratio abstimmen zu lassen: Hat sich die Zeit-Investition (für sie) gelohnt oder nicht?

Ich persönlich könnte mir einen solchen response-factor auch als dritte Säule der Gehaltslimitierung vorstellen. Denkbar wäre schließlich, viertens, dass Leser ihren Artikelkonsum entlang ihrer Präferenzen individualisieren, etwa indem sie wahlweise den Gebrauchswert eines Stückes oder aber seinen Genusswert stufenlos hochregeln. Der WirtschaftsWoche-Redakteur der Zukunft würde dann mit Hilfe von Algorithmen mehrere Versionen seines Stückes anfertigen, für Analytiker und Ästhethen, Verstandes- und Gefühlsmenschen. Nicht schlecht, oder?

Sie sehen: Der Journalismus ist (mächtig) in Bewegung und arbeitet (unverdrossen) an seiner Vervollkommnung: eine schrumpfende Branche voller Ideen und Innovationskraft. Allein bei ARD und ZDF soll sich bitteschön nichts ändern, von den Gebühren einmal abgesehen: Erst hat ZDF-Intendant Thomas Bellut am Donnerstag eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags angemahnt. Dann hat tags darauf der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm gedroht, eine Beitragsanpassung im Wege der Verfassungsklage durchsetzen zu wollen, sollten die Landtage nicht spuren und die Forderungen der Journalisten erfüllen. Man könnte das gerade angesichts eines Weihnachtsprogramms, in dem man kanalübergreifend Filme aus den Fünfzigerjahren besichtigen konnte und Moderatorennarren, die sich in Quizshows stundenlang zum Affen machen, für einen Versuch in Selbstironie halten, wenn man es denn so gemeint wäre. Ist es aber nicht. Den Fernsehmachern ist es ernst. Und das ist frech. Und das wird auch nicht weniger frech dadurch, dass der sofort anschwellende Vorwurf rechtsradikaler Claqueure und der implizite Vergleich mit unfreien Medien in autoritativen Staaten („Staatsfernsehen“, „Fake News“, „Systempresse“, „Mainstream-Medien“…) absurd ist.

Machen wir es kurz. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat das politisch Nötige gesagt: „Der Rundfunkbeitrag müsste nicht erhöht werden, wenn die Sender sich auf den Kern des Programmauftrags konzentrier(t)en…“ Ins Indikative und Wutbürgerliche übersetzt heißt das: Erst wenn ARD und ZDF aufhören, ihre Felder mit Unterhaltungsgülle zu bewirtschaften und etwa ihre „Tagesthemen“ mit selbstproduzierten „Nachrichten“ aus Randsportarten zu verstopfen; erst wenn sie sich auf ihren Bildungsauftrag beschränken, uns etwa mit Soap-Trash, Morgenmagazin-Tralala und Schlagermarschmusik verschonen; erst wenn sie nur noch Journalisten dafür bezahlen, uns zu informieren statt Talk-Show-Selbstvermarkter und sprechende Aufsteller dafür, uns zu zerstreuen und zu verblöden - erst dann und nur dann sollte die Politik über eine „Anpassung“ des Beitrags nachdenken.

Niemand braucht die Öffentlich-Rechtlichen für etwas anderes als Nachrichten, Kultur, Bildung - seit Netflix und Amazon, Facebook und Twitter weniger denn je - und unbedingter denn je zugleich: Das ist die „neue Qualität“ der digitalen Revolution. Es geht für ARD und ZDF also nicht darum, lieber Herr Bellut, das „Qualitätsniveau“ zu halten. Sondern darum, sich ihm Schritt für Schritt (wieder) anzunähern, sagen wir: auf das Niveau von Arte, 3Sat und des Nachtprogramms - und gern auch, zur Schonung der Pensionslasten, mit minimum-quality- und maximum-quantity-limits. Viel Erfolg.

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