Die Dauerpatientin Air Berlin bekommt schon wieder den nächsten Chef. Wenn der bisherige Lufthansa-Manager Thomas Winkelmann im Februar das Steuer bei Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft übernimmt, ist er der mittlerweile vierte Vorsitzende seit Ende 2011, der die hoch verschuldete Airline in eine stabilere Zukunft führen soll. Vorgänger Stefan Pichler hat es nicht geschafft - und wird trotzdem mit warmen Worten verabschiedet.
Warum sollte dem ehemaligen Germanwings-Chef Winkelmann gelingen, was vor ihm keiner hinbekommen hat? Oder wird das doch der Anfang vom Ende von Air Berlin?
Nichts ist mehr so, wie es einmal war im internationalen Luftverkehr. Die Branche ist in Zeiten zunehmender Touristen- und Handelsströme zwar weiter ein Milliardengeschäft. Doch die Verteilung der Gewinne hat sich grundlegend verändert. Etablierte Großkonzerne wie Lufthansa, Air France-KLM, British Airways oder eben Air Berlin geraten unter Druck, während sich die einst belächelten Billigheimer Ryanair oder Easyjet immer größere Marktanteile sichern.
Spätestens seit ihrem Börsengang im Jahr 2006 hatte sich Air Berlin mit den Wachstumsfantasien ihres Gründers Joachim Hunold hoffnungslos verzettelt. Ob die Fluglinien dba und LTU, die österreichische Niki oder die Schweizer Belair: Unter Hunold kaufte Air Berlin jede heimische Airline, derer sie habhaft werden konnte.
Die immensen Gehälter der LTU-Piloten waren genauso wenig ein Hindernis wie hohe Mieten für 14 Jets, die Air Berlin seit Jahren vom Ferienflieger geleast hat. Folge: Die Verluste wurden immer größer, der Schuldenberg überschritt zuletzt eine Milliarde Euro.
Das zusammengestückelte Geschäftsmodell aus Ferienflieger, Billigfluggesellschaft und Netzwerk-Airline erwies sich als Fehlgriff. Trotzdem hielten Hunolds Nachfolger Hartmut Mehdorn und Wolfgang Prock-Schauer an allen Bereichen fest. Ohne den Einstieg der arabischen Fluglinie Etihad 2012, die seither weitere Finanzspritzen nachschob, hätte Air Berlin wohl längst den Betrieb einstellen müssen.
Doch auch deren Geduld ist inzwischen nun zu Ende - und damit der Gemischtwarenladen Air Berlin. 38 Airbus-Mittelstreckenjets sollen ab 2017 samt Besatzung für den Lufthansa-Konzern und vor allem dessen Billigtochter Eurowings an den Start gehen. Die österreichische Tochter Niki wandert zu Etihad und bildet mit der deutschen Fluglinie Tuifly einen neuen Ferienflieger. Die geschrumpfte Air Berlin soll dann mit 75 Maschinen vor allem auf der Lang- und Mittelstrecke eine profitable Zukunft finden - während für dieses Jahr noch ein neuerlicher Rekordverlust von rund einer halben Milliarde Euro droht.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Dass mit Winkelmann bei Air Berlin ein viel gelobter Lufthansa-Manager an den Start geht, könnte nicht von ungefähr kommen. Nicht nur Air Berlins Chefkontrolleur Hans-Joachim Körber lobte Winkelmanns Fähigkeiten, auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr nannte den 57-Jährigen in einem konzerninternen Statement einen „exzellenten Manager“, den man jetzt verliere.
Aber angesichts der vielen Air-Berlin-Jets, die bald samt Besatzung für den Kranich-Konzern starten, haben die Frankfurter großes Interesse daran, dass der neu gewonnene Berliner Partner nicht zusammenbricht. Hatte Etihad am Ende die Geduld mit Pichler verloren? Offiziell zollt der Großeigner dem Manager Anerkennung für dessen „erfolgreiche strategische Lösung“.
Mit der faktischen Zerschlagung Air Berlins in drei Teile hat sich die von Pichler 2015 angekündigte „Schlag auf Schlag“-Sanierung ganz anders bewahrheitet als damals erwartet. Der 59-Jährige will nun zurück nach Australien gehen. Es wäre sein zweiter Rückzug aus Deutschland. Bereits nachdem man ihn 2004 als Chef des Reiseveranstalters Thomas Cook vom Hof gejagt hatte, hatte er beschlossen, nicht mehr nach Deutschland zurückzukommen. Auch Air Berlin dürfte ihm nicht als erfolgreiche Zeit in Erinnerung bleiben.