Wenn Lufthansachef Carsten Spohr das zu Ende gehende Jahr 2016 mit einem Wort zusammenfassen sollte, dann wäre dies „Überraschungen“. Neben den wieder aufgeflammten Streiks der Piloten und den Ausständen des eigentlich befriedet geglaubten Kabinenpersonals gab es Terroranschläge und den unerwartet starken Ansturm der Billigflieger in Deutschland.
Wahrscheinlich deshalb wollte Spohr das Jahr bei der Berufung des neuen Eurowings-Chefs das Jahr unbedingt mit einer positiven Überraschung beenden. Wenn Karl Garnadt im April die Leitung des konzerneigenen Billigfliegers (und des Geschäfts außerhalb der Fliegerei wie Catering und Wartung) abgibt, soll ihm Thorsten Dierks nachfolgen. Der 53-Jährige leitet bislang das Deutschland-Geschäft des spanischen Telekom-Riesen Telefonica mit der Hauptmarke O2.
Die Überraschung ist Spohr gleich auf zwei Arten gelungen.
Die offensichtliche davon: Dirks ist der erste Vorstand im Fluggeschäft, der außer seinem Vielfliegerrang bisher gar nichts mit dem Betrieb von Jets zu tun hatte. Zwar hatten Aufsichtsräte und hochrangige Manager vorher schon durchblicken lassen, dass kein Lufthanseat auf den Billig-Posten rutscht. Doch dass es jemand ohne Erfahrung mit branchentypischen Eigenheiten – wie schwer berechenbare Gewerkschaften und jeder Menge staatlich subventionierter Mitspieler – ist, wirkt auf den ersten Blick doch etwas kühn.
Das Vorbild ist Easyjet
Auch wenn Spohr seine Logik hinter der Berufung noch nicht erklärt hat: Insider sehen in dem Schritt die Hoffnung auf eine Entwicklung wie bei Easyjet. Bei der am Londoner Flughafen Luton ansässigen Discount-Linie hat die ehemalige Medienmanagerin Carolyn McCall seit ihrer Berufung vor fünf Jahren den bis dahin vor allem für knallige Farben und Kampfpreise bekannten Billigflieger zu einem innovativen Markenartikler gedreht.
Grundlage war vor allem, dass sie viele unverrückbare Glaubenssätze des Fluggeschäfts infrage stellte und um sich ein Team Branchenfremder aufbaute. Damit sorgte sie für eine in der Branche bis dahin ungewohnte Innovationskultur und den konsequente Schwenk von einem auf Marktanteile fixierten Wachstumskurs hin zu einem kühlen Portfolio-Management, bei dem eine Strecke nur dann geflogen wird, wenn sie nach Abzug aller Kosten Geld bringt.
Skytrax-Ranking: Die besten Airlines der Welt
Hainan Airlines
Vorjahr: Rang 12
Etihad Airways
Vorjahr: Rang 6
Lufthansa
Vorjahr: Rang 10
EVA Air
Vorjahr: Rang 8
Cathay Pacific
Vorjahr: Rang 4
Emirates
Vorjahr: Rang 1
ANA All Nippon Airways
Vorjahr: Rang 5
Singapore Airlines
Vorjahr: Rang 3
Qatar Airways
Vorjahr: Rang 2
Das soll Dirks nun ähnlich gut hinbekommen. Die Zeit drängt, denn Eurowings steht gerade in einer Umbau-Phase. Die Billiglinie sollte – so Spohrs Versprechen gegenüber dem Aufsichtsrat – bis 2018 zum drittgrößten Billigflieger des Kontinents werden, mit mindestens 180 Flugzeugen und einem europaweiten Netz. Um mit den führenden Flugdiscountern wie Ryanair sowie deutlich effizienteren Neulingen wie Norwegian oder Vueling aus dem British-Airways-Konzern IAG mitzuhalten, sollten die Kosten um 40 Prozent sinken. Dazu sollte ein neues Partnerschaftsmodell mit fliegenden Franchisenehmern für die nötige Größe sorgen.
Doch davon ist Eurowings noch weit entfernt. Der komplexe Aufbau mit drei Eurowings-Gesellschaften und der Widerstand in der Belegschaft gegen die nötigen Sparrunden lassen das Ziel in weite Ferne rücken. „Hier könnte Dirks als neuer Mann für die nötige Aufbruchsstimmung sorgen“, so ein Konzernkenner.
Spohrs zweite Überraschung beim Engagement seines neuen Billig-Chefs ist, dass er keinen klassischen Markenartikler berufen hat. Dirks ist ein Telekom-Manager und Digitalisierungsexperte, der die Einstellung offensiv nach außen zeigt. Auf seinem offiziellen Pressebild trägt er nicht nur – wie Spohr – eine nicht nur eine modische Brille mit dickem Rand, sondern verzichtet auch auf die Krawatte, sowie es das Easyjet-Führungsteam tut.
Die Digitalisierung ist noch immer auf dem Nebengleis
Dahinter steckt laut Unternehmenskennern keine Kopie der britischen Billiglinie, sondern eine klare Logik.
Zum einen haben Flug und Handys zwei grundlegende Dinge gemeinsam. Ob Lufthansa oder Deutsche Telekom: die langjährigen Marktführer stehen unter wachsendem Druck von effizienteren schlankeren Neulingen und können sich angesichts verschwindender Unterschiede beim Produkt nur noch über Preise, Billigtöchter und minimale Serviceneuerungen profilieren. Dazu verdienen beide Branchen immer weniger Geld mit dem klassischen Geschäft aus dem Netz, sondern aus zusätzlichen Diensten neben dem Ticket oder dem Telefonanschluss.
Immer wieder Streiks bei Lufthansa und ihren Töchtern
Flugkapitäne der Lufthansa legen mehrmals die Arbeit nieder. Von dem Premieren-Streik sind mehrere tausend Verbindungen betroffen. Am Ende erstreitet die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) ihren ersten Tarifvertrag.
Das Boden- und Kabinenpersonal der Lufthansa streikt fünf Tage lang. Mehrere hundert Flüge fallen aus. Die Gewerkschaft Verdi und das Unternehmen einigen sich am Ende auf höhere Gehälter.
Die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo verursacht den bis dahin größten Ausfall an einem einzigen Streiktag in der Geschichte der Lufthansa. Rund 1000 Flüge werden gestrichen, es trifft über 100.000 Passagiere. Beide Seiten beschließen eine Schlichtung.
Ein Warnstreik des Bodenpersonals legt den Flugverkehr der Lufthansa in Deutschland fast lahm. Der Airline zufolge sind rund 150.000 Passagiere betroffen. Im Mai verabreden Verdi und der Konzern anschließend gestufte Entgelterhöhungen und einen Kündigungsschutz.
Start einer Streikserie von mittlerweile 13 Runden der Lufthansa-Piloten. Anfangs fallen rund 3800 Flüge aus. Es geht um Übergangsrenten, Gehalt, Altersvorsorge und im Hintergrund auch immer um die Billigtochter Eurowings.
Die Piloten erklären die im Mai begonnene Schlichtung für gescheitert. Drei Wochen später bieten sie Lufthansa Einsparungen von über 400 Millionen Euro an, um Job-Verlagerungen zu verhindern.
Vorerst letzte Etappe des Pilotenstreiks: 16 Stunden Ausstand auf der Langstrecke sowie am folgenden Tag auch auf den Kurz- und Mittelstrecken. Das Landesarbeitsgericht Hessen erklärt den Ausstand für unrechtmäßig, weil tariffremde Ziele verfolgt würden. Seit April 2014 sind wegen der Pilotenstreiks mehr als 8500 Flüge ausgefallen, wovon rund eine Million Passagiere betroffen waren.
Die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo startet einen einwöchigen Ausstand des Lufthansa-Kabinenpersonals. Der Konflikt wird schließlich vom SPD-Politiker Matthias Platzeck geschlichtet.
Ufo ruft bei Eurowings und Germanwings das Kabinenpersonal zu einem 24-stündigen Streik auf. Der Konflikt dauert an.
Nachdem Verhandlungen über die Vergütung von rund 5400 Piloten der Kerngesellschaft Lufthansa und der Tochter Germanwings gescheitert sind, ruft die VC erneut zum Streik auf. Die Gewerkschaft fordert - über fünf Jahre - ein Plus von 22 Prozent.
Diesen Geist soll Dirks als Ex-Chef eines Angreifers in Eurowings und den Rest des Kranich-Konzerns tragen. Dabei ist die Hoffnung, dass es etwas besser läuft als die von Dirks verantwortete recht holprige Fusion zwischen O2 und E-Plus. „Beim Zusammenführen von Netz, IT und Belegschaft gab es deutlich mehr Pannen als erwartet“, so ein Kenner der IT-Branche
Ebenso wichtiger ist, dass die Lufthansa dringend einen Chefdigitalisierer braucht. Ihr fehlt, wie der ganzen Flugbranche, ein Mittel gegen Datenriesen wie Google, denn durch sie drohen dramatischere Veränderungen als durch Billigflieger und Golf-Airlines. Die werden zwar wie Wohnungsvermittler AirBnB durch überlegene Konkurrenten wie Booking.com unter wachsenden Druck gesetzt. „Doch wenn sie es richtig anstellen, machen sie herkömmliche Fluglinien schlicht überflüssig“, so ein führender Lufthanseat.
Die Gefahr hat Spohr zwar erkannt. Doch aller Bekenntnisse zum Trotz ist das Thema Digitalisierung immer noch eher auf dem Nebengleis. So musste Spohr im November einen Digitaltag absagen, weil seine Planern eine Parallelveranstaltung zu einem ähnlichen Thema nicht auf dem Schirm hatten. Nun soll Dirks die bislang von einem Manager des Lufthansa-Wartungsgeschäfts im Nebenjob verantwortete Digitalisierungswelle vorantreiben. Gleichzeitig soll er helfen, die Flugbranche im IT-Dachverband Bitkom als neue Sparte zu etablieren.
Das wird freilich nicht ganz leicht. „Denn so groß die Herausforderungen durch die Digitalisierung auch sind, die aktuellen Probleme bei Eurowings sind mindestens ebenso groß“, so ein Konzernkenner. „Und wenn er das Billiggeschäft nicht auf die Kette kriegt, sidn die Lufthansa-Probleme bald so groß, dass das mit der Digitalisierung dann auch nicht mehr alles rettet.“