
Als Muriel im britischen Erfolgsfilm "The Best Exotic Marigold Hotel" ihr Zimmer in der indischen Stadt Jaipur bezieht, wird die Lage ungemütlich. "Da ist ein Inder drin", flüstert die spröde, rassistisch gepolte Dame, gespielt von Maggie Smith, die sich in Rajasthan die Hüfte machen lässt. Inder in indischen Hotels? "I’m in hell", sagt Muriel. Des einen Hölle, des anderen Paradies: Inder in Hotelzimmern sind heute die größte Freude jedes Hospitality-Managers auf dem Subkontinent. Das Land mit gut 1,2 Milliarden Einwohnern und einem Bevölkerungswachstum von etwa 15 Millionen jährlich erlebt zurzeit den dynamischsten Hotelbettenboom der Welt. "Der Wandel ist gewaltig", sagt Biswajit Chakraborty, der in Bangalore vor Kurzem das erste Hotel des Schweizer Mövenpick-Konzerns in Indien gestartet hat, "vor allem in den vergangenen zehn Jahren, nachdem Indien sich ernsthaft geöffnet hat." China habe zwar "15, 20 Jahre Vorsprung" - aber das mache den indischen Hotelmarkt nur umso interessanter.





Treibsatz dieses Booms sind die sportlichen Wachstumsraten der indischen Wirtschaft, die noch immer - trotz einzelner Dämpfer in der jüngeren Vergangenheit - im mittleren einstelligen Prozentbereich liegen. Dieses Wachstum bringt zum einen Geschäftsreisende in die Städte. Dank steigender Einkommen erlaubt es zum anderen der rasch expandierenden Mittelschicht, Fernweh und Ferienlust zu befriedigen, oft mit der gesamten Familie, oft zum ersten Mal. Halb Indien geht auf Entdeckungstour - nicht anders als die Deutschen, die im Wirtschaftswunder der Fünfzigerjahre erstmals im eigenen VW über die Alpen nach Italien fuhren und die Ferne entdecken wollten.
Im indischen Wirtschaftswunder stehen allerdings einheimische Städte und Landschaften weit oben auf der Liste der Wunschziele, beispielsweise Goa an der Westküste, Kaschmir im Norden, Kerala im Südwesten und die Kaffee- und Gewürzregion Coorg im Südzipfel Karnatakas. "Hier ist der indische Markt die treibende Kraft", sagt die aus Schwäbisch Gmünd stammende Birgit Zorniger, Generaldirektorin des Hotels Taj Lands End in Mumbais hippem Stadtteil Bandra. Indien habe "eine Basis von 500 Millionen Menschen der Mittelschicht, die anfangen zu reisen - sei es von der Firma aus oder weil sie eigenes Geld haben".

Dieser halben Milliarde - zuzüglich der 6,6 Millionen ausländischen Touristen im Jahr 2012 - standen nach Angaben des Beratungsunternehmens HVS in den indischen Städten zuletzt insgesamt 84 313 Hotelbetten zur Verfügung. Das sind auf den ersten Blick eine ganze Menge und mehr als doppelt so viele wie fünf Jahre zuvor – aber immer noch weniger als in mancher Weltstadt. "New York hat mehr Hotelzimmer als ganz Indien", sagt Chakraborty. "Singapurs Tourismusbranche ist größer als alles zusammengenommen, was wir in Indien haben." Das Wachstum der Hotelbranche scheint angesichts dieser Zahlen programmiert. Bis 2017 sollen in Indiens Großstädten nach heutiger Schätzung mehr als 90.000 neue Zimmer gebaut und eingerichtet werden, davon allein 11.000 in Mumbai und 10.000 in der IT- und Technologiemetropole Bangalore im Bundesstaat Karnataka. Das entspricht einer weiteren Verdoppelung der Kapazität binnen fünf Jahren.