Tourismus Wie Friedrich Joussen bei TUI aufräumt

Der Tourismus-Riese TUI steckte in der Krise. Doch Vorstandschef Friedrich Joussen will die Wende schaffen. Wie er Europas größten Tourismuskonzern saniert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ex-Vodafone Manager Friedrich Joussen macht bei TUI gute Stimmung Quelle: dpa

Gut 293 Meter lang, knapp 36 Meter breit, 15 Decks hoch, 1250 Kabinen, zumeist mit Balkon – der Kreuzfahrtriese, der Mitte Juni in Hamburg auf den Namen Mein Schiff 3 getauft wurde, ist ein Superlativ. Elf Restaurants und Bistros, zwölf Bars, Fitnesscenter und Spa, Theater und Freilichtkino beherbergt der blaue Musikdampfer mit seinen weißen Aufbauten. Hinzu kommen Highlights, die kein anderes Traumschiff weltweit zu bieten hat: ein High-Tech-Konzertsaal, das sogenannte Klanghaus, ein maritimes Museum und ein 25 Meter langer Außenpool.

Was in dieser Woche, mit 2500 Passagieren und 1000 Besatzungsmitgliedern an Bord voll ausgebucht, durch das westliche Mittelmeer kreuzt, ist nicht nur der erste vom Kiel bis zur Mastspitze selbst konzipierte Neubau von TUI Cruises, der Kreuzfahrtsparte der TUI. Der neue Edeldampfer markiert zugleich eine wichtige Etappe eines mehrstufigen Plans, mit dem TUI-Vorstandschef Friedrich Joussen den größten europäischen Tourismuskonzern seit seinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren nach langem Zickzackkurs wieder auf Vordermann bringt. „Die TUI ist auf einem guten Weg, der Aktienkurs hat sich deutlich erholt“, lobt Edgar Kreilkamp, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Tourismusmanagement an der Leuphana-Universität Lüneburg, Joussens Sanierungskurs.

Wie TUI wachsen will

Als der ehemalige Vodafone-Deutschland-Chef im Februar 2013 Amtsvorgänger Michael Frenzel nach 19 Jahren ablöste, war der Konzern eine Dauerbaustelle in desolatem Zustand. Zweigeteilt in die TUI AG in Hannover als Holding mit Hotels und Kreuzfahrtschiffen und die britische 54-Prozent-Tochter TUI Travel Plc, bei der das Veranstaltergeschäft gebündelt war, dümpelte das Gebilde mit seinen sieben Fluggesellschaften und einer kaum überschaubaren Zahl großer und kleiner Veranstalter- und Hotelmarken seit Jahren margenschwach und ineffizient vor sich hin.

Erstmals wieder eine Dividende für Aktionäre

Mit einem rigiden Sparprogramm leitete der neue TUI-Vormann die Wende ein: Joussen senkte die Kosten und steigerte den Gewinn, sodass die Aktionäre im vergangenen Frühjahr erstmals wieder eine kleine Dividende kassierten. Weitere Projekte zur Verbesserung der Ertragslage wurden angeschoben.

Die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt
Foto der Disney Dream Quelle: REUTERS
Foto der Carnival Dream Quelle: dpa
Platz 8: MSC Fantasia / Splendida / Divina / PreziosaGewicht: 137.936 BRZ Kabinen: 1637 Die vier Schiffe der Reederei MSC Kreuzfahrten sind vor allem auf dem Mittelmeer unterwegs. Als die MSC Fantasia 2008 in Dienst gestellt wurde, war sie  das größte Passagierschiff einer europäischen Reederei überhaupt. Mittlerweile haben andere aufgeholt. Quelle: PR
Foto der Voyager of the Seas" Quelle: dpa
Foto der Royal Princess Quelle: Creative Commons
Foto der "Norwegian Breakaway" Quelle: dpa
Foto der "Queen Mary 2" Quelle: AP

Joussens jüngster Erfolg ist die in der vergangenen Woche erzielte Einigung mit dem TUI-Travel-Management über die vollständige Übernahme der britischen Tochter. Die Zweiteilung des Touristikgeschäfts war eine Folge der chronisch leeren Kassen. Als TUI im Frühjahr 2007 den britischen Wettbewerber First Choice Travel übernehmen wollte, reichte das Geld nicht. Frenzel musste sich mit gut der Hälfte begnügen. First Choice wurde in TUI Travel umfirmiert, die restlichen 46 Prozent der Aktien blieben bei den früheren Aktionären der britischen TUI-Tochter.

Wie ein Klotz am Bein hing an der Holding in Hannover zudem eine Minderheitsbeteiligung an der Containerreederei Hapag-Lloyd. Der 28-Prozent-Anteil ist der traurige Rest eines von Vorgänger Frenzel angeschobenen, später aber wieder verworfenen Plans, dem Urlaubskonzern mit der Frachtschifffahrt ein zweites Standbein zu verpassen. „Die Ära Frenzel war auf der Zielgeraden durch einen ständigen Strategiewechsel geprägt, der den Kapitalmarkt nicht überzeugen konnte, die Mitarbeiter des Unternehmens aber schwer verunsichert hat“, kritisiert Peter Schütz, Professor für Marketing an der Hochschule Hannover.

Auch der Chef bringt Opfer

Erste Amtshandlung Joussens war der Start des Sanierungsprogramms oneTUI. Damit setzte er den Abbau von rund 100 Arbeitsplätzen in der AG-Zentrale in Hannover durch und kündigte sämtliche Sponsorenverträge, etwa den mit dem Fußballclub Hannover 96, der vier Millionen Euro pro Jahr kostete. Als geschickter Schachzug zur Durchsetzung der wenig populären Einschnitte erwies sich dabei eine Maßnahme, die zwar wenig Einsparungen, dafür aber viel Goodwill in der Belegschaft brachte: der Verkauf des TUI-eigenen Firmenjets, mit dem Vorgänger Frenzel samt Stab gern zu wichtigen Terminen gedüst war. „Das zeigte uns, dass der neue Chef bereit war, auch selbst ein Opfer zu bringen“, erinnert sich ein Mitarbeiter.

„Wir hatten das Problem, dass von den 80 Millionen Euro Dividende, die TUI Travel an die AG gezahlt hat, am Ende ein Minus von 120 Millionen blieb, weil in der Zentrale die Kosten und Zinsen zu hoch waren“, begründete Joussen den Sparkurs. „Die Folge war ein dramatischer Vertrauensverlust, bei Investoren und Anlegern galt die TUI als Wertvernichter.“ Mit dem Sparprogramm sanken die Kosten der Zentrale von 73 auf knapp 45 Millionen Euro, durch Umschuldung spart die Holding im laufenden Geschäftsjahr weitere 100 Millionen Euro Zinsen.

Die Entwicklung wichtiger Kennzahlen bei TUI. (Für eine vergrößerte Ansicht bitte klicken)

Zugleich brach der neue Chef mit einer alten Regel: Er veröffentlichte erstmals die Margen einzelner Geschäftsbereiche. Die Robinson-Clubs etwa verdienten eine Eigenkapitalrendite von nur sechs Prozent, deutlich weniger als die Zielmarke von mindestens elf Prozent. Die fünf kleinen Luxusdampfer von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten fuhren rote Zahlen ein, TUI Cruises dagegen schaffte bereits in der Anlaufphase acht Prozent Rendite.

Moodys stuft TUIs Rating auf

Der Druck der Öffentlichkeit zeigte Wirkung. „Robinson ist sehr gut unterwegs, die Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung und Effizienzsteigerung werden konsequent umgesetzt“, freute Joussen sich bei Vorlage der letzten Quartalszahlen Mitte August, „der Geschäftsverlauf von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten war erfreulich.“ 2015 dürfte auch die zweite Kreuzfahrtmarke den Turnaround schaffen.

Mit seinem sanften Pranger förderte der neue Boss nicht nur den Wettbewerb innerhalb des Konzerns und steigerte so die Spartenergebnisse, auch das Gesamtergebnis legte zu. „Im dritten Geschäftsquartal konnte die TUI AG das operative Ergebnis nahezu verdoppeln, gegenüber dem Vorjahreszeitraum verbesserte sich das bereinigte Ergebnis um 89 Prozent auf 163 Millionen Euro“, freut sich der Konzernchef. „Joussen handelt konsequent und fokussiert, dabei setzt er nicht nur auf Kostensenkung, sondern auch auf renditestarke Wachstumsfelder“, lobt Marketing-Professor Schütz. Zugleich verbesserte sich die Position des Unternehmens auf dem Kapitalmarkt. Gerade erst hat die US-Ratingagentur Moody’s die Bonität der TUI AG von B3 auf B2 heraufgesetzt.

Die gute Stimmung verschafft Joussen den nötigen Freiraum, um die nächsten Etappenziele in Angriff zu nehmen. Schon in Arbeit ist die Zusammenführung der sieben Konzern-Airlines unter einem Dach mit gemeinsamem Einkauf und gemeinsamer Wartung. Im kommenden Jahr sollen außerdem die restlichen Hapag-Lloyd-Anteile verkauft werden.

Joussen bleibt der Gewinner

Das mit Abstand wichtigste Einzelprojekt ist jedoch die Übernahme der restlichen 46 Prozent an der in der Nähe von London residierenden Konzerntochter TUI Travel und die anschließende Verschmelzung der Doppelstrukturen. Bei der Zusammenführung beweist Joussen diplomatisches Geschick: Im ersten Jahr will er sich den Vorstandsvorsitz mit dem bisherigen TUI-Travel-Chef Peter Long teilen, anschließend übernimmt er allein die Spitze, Long wechselt in den Aufsichtsrat und wird damit formal zu Joussens Chef.

Unter Insidern gilt Joussen dennoch als klarer Sieger im TUI-internen Machtpoker. „Diese Lösung erleichtert aber die Integration der beiden Unternehmen. Eine Doppelspitze würde auf Dauer nicht funktionieren“, meint Hochschullehrer Schütz.

Zahlen zu Vergleichsportalen der Reiseanbieter

Rund 35 Millionen Euro wird die Integration kosten, etwa für Abfindungen, wenn das Sanierungsprogramm oneTUI auch in der bisherigen TUI-Travel-Zentrale durchgezogen wird. Sparen könnte die neue TUI dadurch in den kommenden drei Jahren aber fast 200 Millionen Euro, haben Joussens Controller ausgerechnet. Hinzu kommen steuerliche Vorteile: auf Basis des letzten Geschäftsjahres rund 35 Millionen, entsprechend mehr, wenn Umsatz und Gewinn steigen.

Auf Wachstumskurs

Das Geschäft auszubauen und neu auszurichten ist Joussens langfristiges Ziel. „Bisher konzentriert sich das Unternehmen zu stark auf das Massengeschäft und konkurriert dort mit Online-Buchungsplattformen wie TripAdvisor oder Booking.com ausschließlich über den Preis“, kritisiert Tourismus-Experte Kreilkamp. „Die TUI muss für ihr Angebot Alleinstellungsmerkmale schaffen und ihr Produkt-Know-how nutzen, um höhere Preise durchzusetzen als die Wettbewerber.“

Dabei hat die Durchforstung des Markenwildwuchses höchste Priorität. „Die TUI hat durch die vielen Zukäufe in der Vergangenheit zu viele Marken im Portfolio“, warnt Marketing-Professor Schütz. „Aber Joussen kommt als ehemaliger Vodafone-Chef aus der Ein-Marken-Welt und ist der richtige Mann, um das Portfolio zu straffen.“ Gleichzeitig sollen die starken konzerneigenen Hotelmarken und das Kreuzfahrtangebot ausgebaut werden: Bei der TUI-Hotel-Marke RIU sollen pro Jahr drei bis fünf neue Häuser dazukommen, bei den TUI Hotels & Resorts insgesamt bis zu 60, Robinson plant 16 neue Clubs, und die „Mein Schiff“-Flotte von TUI Cruises, dem 50:50-Joint-Venture mit der US-Reederei Royal Caribbean, soll von derzeit drei auf sechs bis acht Dampfer wachsen.

Joussens Vision ist ein integrierter Tourismuskonzern, der an allen Gliedern der Wertschöpfungskette mitverdient: mit eigenen Flugzeugen, Hotels und Schiffen, durch Service-Leistungen am Ferienort, mit eigenen Veranstaltern, die diese Einzelleistungen zu Urlaubspaketen zusammenschnüren, und durch eigene Reisebüros, in denen die Reisen gebucht werden. „Die meisten Touristen organisieren ihren Urlaub immer noch selbst“, sagt Kreilkamp, „wer diese Individualreisenden mit dem richtigen Angebot erreicht, erschließt sich ein Riesenpotenzial.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%