Karin Hildur Ollongren begann ihre Amtszeit als geschäftsführende Bürgermeisterin von Amsterdam im September mit einem Geheimprojekt. Nur ein kleines Team und Teile des Stadtrats wussten Bescheid, als die 50-Jährige am vergangenen Freitag dem Stadtparlament ein einschneidendes Gewerbeverbot vorlegte: Ab sofort darf im Zentrum der 800.000-Einwohner-Metropole kein neues Geschäft für Touristen mehr öffnen, kein Andenkenlädchen, keine Fressbude und keine der quietschbunten Nutella-Stores, in denen fröhliche Angestellte Kuchen und Eis in die Nusscreme für die Besucher tunken. „Die Lage im Stadtzentrum macht solche harten Maßnahmen nötig“, sagte Ollongren, als sie die Pläne vorstellte. Sonst würden noch mehr Fachgeschäfte den Touristenläden weichen, die Innenstadt mit ihren herrlichen Grachten noch mehr von ihrem Charme verlieren.
Manche verulkten die Aktion prompt als „Operation Nutella“. Juristen zweifelten die Verfassungsmäßigkeit an. Doch mit dem Stopp der Budenflut wehrt sich die Bürgermeisterin nur gegen die größte Herausforderung, die die Urlaubsbranche weltweit seit Langem plagt: viel zu viele Gäste.
Die Herbstferien haben begonnen, und nun sitzen die Deutschen wieder in ihren Fliegern, zu Städtetrips nach Lissabon und zum Sonne-auftanken nach Mallorca. Gut zehn Millionen Herbsturlauber brachen allein im vergangenen Jahr in die Ferne auf. Und die Deutschen sind bei ihrem Reisefieber nicht mehr allein. Von Osteuropa bis Ostasien buchen immer mehr Menschen immer mehr Reisen, dank Globalisierung kann es sich jetzt eine weltweit wachsende Mittelschicht leisten. Hinzu kommt: Online erhöhen Bettenportale wie Airbnb das Übernachtungsangebot – und das stündlich.





Und so drängt sich in diesen Tagen die größte Massentourismusbewegung aller Zeiten wieder an Grachten in Amsterdam vorbei, quetscht sich in Gondeln in Venedig, schubst sich vor der Mona Lisa im Louvre in Paris herum und zieht ihre Rollkoffer über Berliner Kopfsteinpflaster. Schön ist das nicht nur für die Touris nicht. Auch die Anwohner leiden.
Die Branche hat sich für das Problem schon einen Fachbegriff ausgedacht: Overtourism. Aber anders als die entschlossene Bürgermeisterin aus Amsterdam halten die Touristikkonzerne derzeit still. Es wird kleingeredet, Verantwortung auf die bösen Angreifer aus dem Internet geschoben. Ideen, Lösungsansätze gar? Fehlanzeige. „Es ist eine kleine Herausforderung“, war alles, was Fritz Joussen, Chef des weltweit größten Reiseveranstalters der Welt, TUI, kürzlich dazu sagte. Doch damit dürfte er danebenliegen: Bewegt sich die Branche nicht bald, wird sie sich an der Überdosis vergiften.
Freizeitparks voller McDonald's
„Das Phänomen gefährdet die Wachstumsziele der ganzen Branche“, warnt etwa Karl Born, ehemals TUI-Vorstand und nun Honorarprofessor für Tourismuswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode. Denn sind die Kunden unzufrieden, zahlen sie womöglich bald weniger für ihren Urlaub – oder bauen sich ihre Ferien gleich selbst im Internet zusammen.
Das Thema betrifft alle in der Nahrungskette: Vom Veranstalter über Hotelketten bis zu den Fluglinien ächzen alle über die Touristen. „In diesem Jahr haben mehr Kunden ihre Reise weniger gut bewertet als früher“, sagt etwa Georg Hesse, Chef des Bewertungs- und Buchungsportals Holidaycheck. „Überfordertes Personal“ oder „Gedränge bei Sehenswürdigkeiten“ stoße messbar mehr Gästen auf als in den Vorjahren.