Tourismusforscher Harald Zeiss Warum die Reisebranche die Proteste gegen Touristen so fürchtet

Harald Zeiss ist Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz in Wernigerode. Er befasst sich vor allem mit nachhaltigem Tourismus. Bis 2016 war er Leiter Nachhaltigkeitsmanagement beim Reisekonzern TUI Deutschland. Quelle: Christian Wyrwa

Der „Overtourism“ könnte Reisende und Gastgeber entfremden und das Geschäftsmodell der Tourismusindustrie gefährden, meint der Tourismusforscher und ehemalige TUI-Manager Harald Zeiss.

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Plötzlich gibt es in Europa ein „Feindbild Tourist“. Touristen sind etwa in überfüllten Reiseorten wie Barcelona oder auf Mallorca Ziel von Attacken geworden sind. Wie sieht die Reisebranche das Thema?
Harald Zeiss: Die Sorge ist groß, dass das Bild entsteht, dass Touristen in den Urlaubsregionen nicht mehr willkommen sind. Sollte das kippen, könnte es sein, dass Reisende und Gastgeber nicht mehr zusammenfinden – dass die Menschen ihre Urlaubsform ändern und lieber Campingurlaub an der Ostsee machen. Dann verdienen die großen Reiseveranstalter nicht mehr an ihnen. Das wäre eine drastische Veränderung des Status Quo.

Auf welche Sparten der Tourismus-Industrie wirkt sich die Debatte um „Overtourism“ besonders stark aus?
Das Geschäftsmodell der Kreuzfahrtunternehmen ist besonders betroffen. Die Zahl der Häfen, die die Schiffe anlaufen können, ist begrenzt. Unter großem Druck sind Barcelona, Venedig und Dubrovnik. Das Schiff legt an, öffnet die Pforten – und dann können im Maximalfall 5000 Gäste rausströmen – mitten in der Stadt.

Wer muss Ihrer Meinung nach die Initiative ergreifen: die Reiseunternehmen oder die Politiker in den betroffenen Städten?
Unternehmen wie TUI oder Thomas Cook verkaufen in der Regel Pauschalreisen. Die Touristen liegen am Pool oder am hoteleigenen Strand und nehmen niemandem die Wohnung weg. Das Problem in den Städten hängt ja gerade damit zusammen, dass die Menschen immer individueller reisen wollen und keinen Reiseveranstalter mehr brauchen. Das führt dann dazu, dass die Städte überquellen. Dagegen können nur die lokalen Politiker etwas tun.

von Rüdiger Kiani-Kreß, Volker ter Haseborg

Warum tun sich die Städte damit so schwer?
Es wäre ein Leichtes, Venedig für die Kreuzfahrt zu schließen, nur ein Beschluss im Stadtrat. Ich finde es heuchlerisch von den Städten, auf die Touristen zu zeigen. Man erhöht die Liegegebühr, und das erste Schiff kommt schon nicht mehr. So kann man sofort Fakten schaffen. Aber das können nur lokale Politiker. Die trauen sich aber nicht. Weil Touristen sehr viel Geld in die Städte bringen.

Was können Städte gegen die Überfüllung tun?
Man kann die Attraktivität einer Stadt kanalisieren. In Mallorca wurde vor zwei Jahren die Öko-Taxe erhöht, der Urlaub wird dadurch teurer. Im Reisebüro entscheiden sich preisbewusste Touristen dann beispielsweise gegen Mallorca und für Bulgarien. Zusätzlich kann die Insel Einkommen generieren, die der Allgemeinheit zugutekommen: der Wasserversorgung, der Aufwertung von Umweltschutzgebieten. Amsterdam versucht Attraktionen im Umland durch Marketing spannender zu machen.

Sind Sie trotzdem optimistisch?
Auf jeden Fall. Die Lösungen sind da. Es braucht einen politischen Willen, sie zu nutzen.

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