Touristik Das Dilemma der Urlaubsmacher

Die Deutschen buchen schon wieder deutlich weniger Reisen. Der Rückgang betrifft dabei nicht nur den aktuellen Winter, wo die Veranstalter nur rund 30 Prozent ihres jährlichen Umsatzes machen. Quelle: imago images

Die wieder steigenden Coronazahlen beenden die Erholung der Reisebranche abrupt. Deren größte Hoffnung ist nun eine Entspannung im Januar. Sonst drohen noch mehr Last-Minute-Buchungen, die allen das Geschäft erschweren.

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In der schnelllebigen Reisebranche können schon zwei Tage einen großen Unterschied machen. Noch bis Anfang der Woche waren fast alle Veranstalter optimistisch, dass sie in der kommenden Urlaubssaison nach zwei mauen Jahren wieder gute Geschäfte zu machen. „Die Reiselust ist ungebrochen“, freute sich Stefan Baumert, Chef der Tui für Deutschland und Mitteleuropa als er am vergangenen Montag das Angebot von Europas größtem Reiseunternehmen vorstellte. Angesichts guter Buchungszahlen erwartete er „ganz oder annähernd eine Rückkehr zu 2019“, verkündete der Manager des Marktführers. Auch die aktuell steigenden Coronazahlen, so die Botschaft, könnten das Fernweh der Deutschen nicht bremsen. 

Doch als dann am Mittwoch Ingo Burmester als Chef des DER Touristik genannten Mitteleuropageschäfts sein Programm vorstellte, klang sein Ausblick deutlich gedämpfter. „Mit der veränderten Corona-Lage und den neuen Maßnahmen haben sich die Buchungseingänge seit einigen Tagen etwas abgeschwächt“, so der Vorstand von Deutschlands zweitgrößtem Reiseunternehmen vorsichtig. Da sind andere deutlicher. „Die Zahl der Neubuchungen sinkt spürbar“, sagt Markus Orth, für klare Worte bekannter Chef der Agenturkette Lufthansa City Center. 

Der Rückgang betrifft nicht nur den aktuellen Winter, wo die Veranstalter nur rund 30 Prozent ihres jährlichen Umsatzes machen. Die Zurückhaltung trifft auch die Hauptreisezeit im Sommer, wo derzeit deutlich weniger Interesse herrscht als in der vorigen Woche. Da hatte die Branche deutlich mehr Buchungen als zuvor. Alltours-Inhaber Willi Verhuven jubelte: „Unsere Buchungszahlen überschreiten teils sogar das Vorkrisenniveau vom Oktober 2019.“ Er führte das nicht zuletzt auf den verregneten Sommer zurück.

Überrascht hat die Branche vor allem, dass die Kundschaft nicht länger nur in Europa unterwegs sein wollte. „Selbst Fernreisen, die während der Pandemie wie Blei in den Regalen lagen, wurden zuletzt wieder stark nachgefragt“, so Orth. Auf die Langstreckenferien, allen voran Trauminseln wie die Malediven, entfiel gar jede dritte Buchung, obwohl vor der Krise nicht mal jeder zehnte deutsche Urlauber Überseeferien buchte. Unter den näheren Zielen boomten die Kanaren. „Die Buchungseingänge für Ägypten waren doppelt so hoch und für Dubai entschieden sich bis vor wenigen Tagen dreimal mehr Gäste als zum selben Zeitpunkt vor Corona“, lässt DER-Touristiker Burmester ausrichten. 

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz am Mittwochmorgen mit 281,8 angegeben. Außerdem haben sich Einreiseregeln nach Deutschland geändert. Die Corona-News im Überblick.

Das konnte die Branche gut brauchen. Denn im ersten Coronajahr sackte bei fast allen der Umsatz im Vergleich zum letzten gesunden Jahr 2019 auf weniger als ein Viertel. Und trotz aller Öffnungen im vergangenen Sommer erreicht die Branche auch in diesem Jahr nur gut 30 Prozent des 2019er-Wertes. 

Doch jetzt ist es mit der Erholung erst mal vorbei. „Das liegt an den steigenden Inzidenzwerten, der Homeoffice-Pflicht und den lokalen Lockdowns“, so Orth. „Die Verunsicherung der Menschen ist riesengroß.“  

Noch hält die Branche den Einbruch nicht für Besorgnis erregend. „Im November sinkt die Zahl der Buchungen immer“, heißt es bei Tui. Entscheidend sei vielmehr, wie lange sich die aktuelle Zurückhaltung hinzieht. Man setzt auf einen Nachholeffekt. Hoffnung macht den Urlaubsmachern das Geschäft mit den Kreuzfahrten, hier gab es eine Delle, nachdem das Auswärtige Amt Mitte des Monats eine Warnung vor den Schiffurlauben ausgesprochen hat. Jetzt sind die Seeferien wieder gesucht. Allerdings bucht der Kundschaft in der Regel neun Monate oder länger vor Beginn. 



Entscheidend wird im Geschäft mit dem Pauschalurlaub der Januar. „Das war bisher der Monat mit den meisten Buchungen. Vor allem durch Familien“, so Tui-Manager Baumert. Damit das auch Anfang 2022 wieder so wird, setzen die Anbieter vermehrt auf Buchungsanreize. Auch wenn Experten in Deutschland die Inflationsrate bald bei sechs Prozent sehen und das Flugbenzin fast doppelt so teuer ist wie vor zwölf Monaten, wollen die Touristiker bei der Teuerung nicht nachziehen. „In der Gesamtbetrachtung entwickeln sich die Preise stabil“, verspricht DER Touristik. Selbst gefragte Ziele wie die Türkei, Griechenland oder Italien sind dort wohl nur zwei bis drei Prozent teurer als vor der Krise. 

Doch die Hoffnung der Veranstalter ist offenbar gering, damit viele urlaubsreife Deutsche frühzeitig in die Reisebüros oder auf die eigenen Internetseiten zu locken. Wohl deshalb rechnet etwa Burmester mit „einem sehr positiven Eingang ab April.“ 
Denn er weiß: ob Frühbucherrabatt oder Sommer-Special, das Gros der Kundschaft entscheidet sich später denn je. Dafür sorgt gerade die Erfahrung in den vergangenen zwei Jahren. Es war nicht nur schwer vorherzusagen, wann welches Urlaubsziel mit welchen Bedingungen Ferienreisende ins Land lässt. Am Ende gab es doch genug und vor allem günstige Angebote. „Rund 70 Prozent der Urlaube werden erst sechs bis acht Wochen vor Abreise im Reisebüro gebucht“, weiß Reisemanager Orth. Noch kurzfristiger sind im Schnitt reine Onlinebuchungen, die zudem zunehmend statt über Veranstalter direkt über Fluglinien, Hotelketten oder Vermittlern wie Booking.com, Opodo oder Expedia laufen. 

Spät statt früh buchen setzt das Geschäftsmodell der Veranstalter unter Druck. Vor der Krise lebten sie davon, dass die Kundschaft nach der Buchung bis zu 25 Prozent des Reisepreises anzahlte. Damit konnten sich Tui und Co. in den Ferienregionen die besten Hotels und die nötigen Flüge dahin sichern. „Künftig wird es wie bei Booking.com und anderen Hotelportalen deutlich mehr flexible Buchungen geben, die Kunden gegen einen relativ geringen Aufpreis oder auch kostenlos kurzfristig stornieren können“, beschreibt Ina zur Oven-Krockhaus, Professorin für Tourismusmanagement der IU Internationale Hochschule in Hannover, das Dilemma. 

Deshalb werden Veranstalter künftig notgedrungen wie Tui mehr eigene Hotels aufbauen und sich nur noch besonders begehrte Hotels durch Garantien sichern. Den Rest holen sie sich über Bettenbanken genannte Großhändler. „Doch mit jedem exklusiven Angebot weniger sinkt für einen Veranstalter der Vorteil zu den Onlineanbietern“, so ein Tourismusmanager. 

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