Trendziel Heimat Die Deutschen buchen wieder Urlaub

Die Nachfrage nach Übernachtungen für den kommenden Sommer steigt wieder. Quelle: imago images

Die Lockerung der Reisebeschränkungen beschert den deutschen Urlaubsanbietern eine höhere Nachfrage nach Übernachtungen für den Sommer. Wo die Deutschen Urlaub machen wollen – und wie begehrt Kreuzfahrten noch sind.

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Wer jüngst mit Kennern der Tourismusbranche über die Folgen der Corona-Pandemie sprach, bekam meist ein düsteres Bild gezeichnet. Angesichts der drohenden Rezession und der Risiken einer Infektion werde das Reisegeschäft schrumpfen, später nur zögernd zulegen und sich am Ende spürbar ändern, erwartete etwa Jürgen Schmude. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft und Professor an der Universität München schob nach: „Besonders das Kreuzfahrtgeschäft wird leiden und Nachhaltigkeit wichtiger werden.“

Jetzt wo die Regierungen bundesweit die Reisebeschränkungen lockern, wird klar, dass es Veränderungen gibt. Aber die fallen zumindest vorerst anders aus, als es viele Experten angenommen haben. Nicht nur, dass die Nachfrage bei den ersten Anzeichen von Liberalisierung schnell angezogen hat. Die Buchungsvorlieben ändern sich bislang weniger als erwartet.

Das deutlichste Plus gibt es – zumindest so lange die Grenzen geschlossen sind – beim Urlaub in Deutschland. Das Wachstum liegt dabei über den Erwartungen. Eine aktuelle Statistik der größten deutschen Übernachtungsdatenbank DS Destination Solutions, die für globale Anbieter wie Booking.com oder Expedia die Angebote zwischen der deutschen Küste und den Alpen bündelt, zeigt Erstaunliches. Bis in die Frühphase der Coronazeit Mitte März lagen die Buchungen um bis zu zehn Prozent über dem Vorjahr. Im April stürzten die Zahlen der gebuchten Übernachtungen auf 70 bis 90 Prozent der Vorjahreswerte ab. Doch in der vergangenen Woche konnten wieder mehr als doppelt so viele Reservierungen wie im gleichen Zeitraum in 2019 verzeichnet werden. Den größten Run bemerkt die Tochter des Kölner HRS-Konzerns derzeit bei Ferienwohnungen an der deutschen Küste. Dabei buchen Urlauber nicht nur öfter als bisher. Sie bleiben im Schnitt auch länger vor Ort.

Im Vergleich zu 2019 etwas weniger gefragt sind derzeit Ferien in Hotels. Das liegt aus Sicht der Branche daran, dass vielerorts strenge Auflagen für Betriebe gelten. So dürfen in beliebten Regionen die Häuser oft nur begrenzt Gäste aufnehmen. Niedersachsen etwa gibt eine maximale Auslastung von 50 Prozent vor und in Mecklenburg-Vorpommern sind es 60 Prozent. „Dazu komm der Vorstoß einzelner Bundesländer, das zwischen jedem neuen Gast ein Zimmer sieben Tage nicht genutzt werden darf“, klagt Thomas Willms, Chef der Steigenberger-Hotels.

Doch es gibt Ausnahmen in der Tristesse, vor allem bei Häusern von Ketten, die mit strengen Hygienekonzepten werben. „Unsere Betriebe in Fleesensee oder auf Sylt sind stellenweise bereits ausgebucht“, heißt es bei TUI. Der Reisekonzern hatte Mitte der Woche ein umfassendes Coronaschutz-Programm vorgestellt. Auch kleinere Gruppen spüren eine stärkere Nachfrage. „Als die Lockerungen für den Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht wurden, sind bei unseren dortigen Hotels innerhalb von nur 24 Stunden über 400 Buchungsanfragen eingegangen“, sagt Daniel Eickworth, Geschäftsführer der Ferienhotelgruppe Travel Charme. „Besonders stark nachgefragt sind die kommenden Sommermonate. Die Menschen möchten am liebsten morgen anreisen.“ Experten rechnen damit, dass die Hotelbranche den Ferienhäusern bald in der Erholung folgt. „Wir gehen davon aus, dass bald auch viele Hotels in touristischen Regionen einen Buchungsanstieg merken“, so HRS-Chef Tobias Ragge.

Lufthansa und Eurowings planen deutlich mehr Flüge

Die Lufthansa etwa will ihren Corona-Notflugplan hinter sich lassen und im kommenden Monat wieder deutlich mehr Flüge anbieten. Im Laufe des Juni werde das Angebot schrittweise auf mehr als 1800 wöchentliche Verbindungen gesteigert, teilte die Airline-Gruppe am Donnerstag mit. Insgesamt rund 130 Ziele, davon mehr als 20 Interkontinental-Verbindungen, sollen wieder angeflogen werden.

Auch die Tocher-Fluggesellschaft Eurowings baut ihr Angebot auf die spanische Insel Mallorca ab dem kommenden Wochenende wieder aus. Neben der nie unterbrochenen Verbindung von Düsseldorf kommen ab Freitag (15. Mai) Flüge aus Hamburg und Stuttgart hinzu, wie ein Sprecher am Donnerstag berichtete. Köln und München folgen dann am Wochenende wie auch Flüge zu weiteren touristischen Zielen im Mittelmeer-Raum wie Neapel, Catania und Olbia in Italien oder Kavala in Nord-Griechenland.

Derzeit verlangen die spanischen Behörden bei einer Einreise eine zweiwöchige Quarantäne, die aber für bestimmte Gruppen auch ausgesetzt wird. Zudem besteht eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes bis Mitte Juni. Eurowings rechnet damit, dass auch normale Reisen auf die vom Virus weitgehend verschonte Insel Mallorca sehr früh wieder möglich werden.

Kreuzfahrten stark gefragt

Den überraschendsten Aufschwung spüren derzeit die Kreuzfahrtreedereien. „Die Vorausbuchungen liegen schon zweistellig über dem Vorjahr“, sagt Tim Krätke vom Kreuzfahrtportal E-Hoi. Diese Aufträge sind lediglich zur Hälfte Umbuchungen von Reisen, die wegen der Coronakrise abgesagt wurden. „Die andere Hälfte davon sind echte Neubuchungen“, so Krätke. Ein etwas geringeres Plus meldet die TUI.

Das überrascht. Bei keinem Teil der Ferienbranche traf der Coronavirus die Gäste so hart. Schreckensmeldungen gingen um die Welt. Auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess der weltgrößten Reederei Carnival erkrankten bei einer Asienreise gut 700 Passagiere am Virus, zehn von ihnen starben. „Wir fühlten uns wie in einer Petrischale“, kommentierte ein Passagier laut Presseberichten das unbeholfene Carnival-Krisenmanagement. Zehntausende Reisende kamen bei anderen Schiffen nicht von Bord, weil diese wegen Coronaverdachts keinen Hafen mehr anlaufen durften. Sie irrten, ähnlich wie in der Sage vom Fliegenden Holländer, über die Meere.

Für den Sinneswandel bei den Kreuzfahrt-Fans sorgen das zuletzt aufgestockte Angebot an Abfahrten aus deutschen Häfen sowie die Versprechen, die Putz- und Hygiene-Maßnahmen zu verbessern, weniger Passagiere aufzunehmen und Abstandsregeln an Bord einzuführen.

Seit die EU-Staaten über Grenzöffnungen sprechen, wächst das Interesse an Mittelmeerkreuzfahrten wieder. Hier liegt der Schwerpunkt der Buchungen anders als bei den Ferienhäusern Buchungen in den Jahren 2021 und 2022.

Das Buchungsplus sorgt bei TUI-Chef Fritz Joussen für Optimismus hinsichtlich weiterer Reiseziele. Den Anfang dürfte Österreich machen, nachdem sich das Land mit Deutschland wieder auf offene Grenzen einigte. Danach erwartet Joussen ähnliche Schritte mit anderen Ländern wie Kroatien und am Ende eine Freigabe des Flugverkehrs in kaum von Corona belastete Reiseziele wie Griechenland oder Regionen wie Mallorca.

Das Interesse der Deutschen an den Ferienklassikern dürfte dann kaum geringer ausfallen als an der Ostseeküste, lässt Joussen durchblicken. „Spätestens 2022 haben wir wieder den Stand vor der Krise“, so der Konzernchef.

Mehr zum Thema
Veränderter Konsum: Stephan Grünewald hat sich in seiner Forschung mehrfach mit der Psyche der Deutschen auseinander gesetzt. Im Interview spricht der Chef des Marktforschers Rheingold über die veränderten Konsumgewohnheiten nach der Coronakrise, das lange Leiden der Fluggesellschaften – und die neue Lust auf Urlaub in der Heimat.

Aktualisiert mit Material von dpa und Reuters.

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