Tresorchirurgie Der König der kleinen Schlösser

Wer vor einem Tresor steht und nicht rankommt, schaut selten glücklich. Bei Lars Jelonnek ist das anders. Der Mann knackt jedes Schloss - und das legal.

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Tresordoktor Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche

Er strahlt und stochert dann mit dem Pickzeug, Metallstäbchen, fein wie das Werkzeug eines Zahnarztes, im Schloss. Wenn es ein 200 Jahre alter Tresor mit wunderschönen floralen Verzierungen ist, dann drückt er hier fest auf eine Niete, zieht dort vorsichtig an einer Dekoleiste. Und wenn er nur geduldig und feinfühlig genug war, die Ohren gespitzt, dann macht es plötzlich leise „klong“ und irgendwo aus dem Dekor, unerkennbar zuvor, ragt eine kleine Schublade mit dem ersten von zwei nötigen Schlüsseln.

So dechiffriert Lars Jelonnek uralte Trickverschlüsse. Seine Dienste sind aber auch begehrt, wenn Erben ratlos vor verschlossenen Wertschränken mit einem so genannten Gedankenschloss stehen, dessen Zahlenkombi auf keinen Geburtstag, keinen Hochzeitstag, einfach überhaupt nicht reagiert. Oder Jelonnek wird gerufen, um stundenlang die Überreste eines glücklos gesprengten Geldautomaten zu knacken. Wohlgemerkt im Auftrag der Bank, nicht der Panzerknacker. Der Kölner Metallbaumeister gilt als einer der besten Schlosser und Spezialist für schwierige Schlösser im Land.

Das will etwas heißen in einer Branche mit einigen schwarzen Schafen. Immer wieder machen unseriöse Schlüsseldienste mit Wucherpreisen von sich reden. Da kostet die schnelle Öffnung eines Standardschlosses schnell mal 500 Euro. Tausende Anbieter, die sich in lokalen Telefonbüchern drängen, gelten als nicht existent, sondern als Trick eines weit entfernten Anbieters, der sich dann noch zum Wucherhonorar eine hanebüchene Anfahrtspauschale bezahlen lassen will.

So arbeitet der Tresorchirurg
186 Stunden Arbeit stecke Lars Jellonek in sein Meisterstück hinter Glas. Er baute detailgenau ein Kapellenschloss aus dem 16. Jahrhundert nach. Das Original wird im Deutschen Schloss- und Beschlägemuseum in Velbert ausgestellt. Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche
So filigran ist das Meisterwerk von innen aufgebaut. Von außen ahnen das nur Fachleute. Jedes einzelne Teil des Renaissanceschlosses – auch so kann eines aussehen - baute Jelonnek nach. Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche
Jelonneks Werkstatt hängt voller Sammlerstücke. Diese Schlüssel stammen aus dem 18. Jahrhundert. Jeder ist fast so lang wie eine Frauenhand und ein ganzer Bund wiegt schwer. Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche
Jelonnek demonstriert an einem übergroßen Stiftschloss, wie kompliziert es ist, bis alle Stiftsäulen soweit durch den Schlüssel in das Gehäuse gedrückt werden, dass es sich öffnet.  Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche
Selbst für Panzerknacker gibt es Europameisterschaften. 2016 machte Jelonnek beim Wettbewerb „Lock on“ den ersten Platz beim Öffnen eines komplizierten Schlosses. Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche
Mancher Kunde meint es gut, und schickt Jelonnek gleich selbst die erdachte Bauanleitung für seinen Schlüssel-Auftrag mit. Viel Arbeit, aber nicht immer hilft das auch dem Fachmann. Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche
Der grüne Innenhof der Schlosserei in Köln-Ehrenfeld steckt voller Schmiedekunst wie dieser mannshohe Kerzenleuchter. Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche

Mit solchen Usancen hat Jelonnek nichts zu schaffen. In der weit zerfaserten Branche - Schätzungen reichen bis zu mehr als 100 000 Anbietern, die sich oft nicht mangels Qualifikation einmal Handwerker nennen dürfen - gehören kaum ein Dutzend Kollegen zu den Experten für die richtig schwierigen Fälle. Selbst die Tresorhersteller verweisen ihre Kunden bei Problemen an diese Experten, von denen Lars Jellonek einer ist. Macht er sich auf, um einen besonders schwierigen Tresorfall zu knacken, fällt auch sein Honorar samt Vorarbeit und Anfahrt mal vierstellig aus. Rund 80 Prozent seiner Aufträge kommen von Banken und Herstellerfirmen, in 20 Prozent gilt es knifflige historische Tresore zu knacken. Immer so, dass die Wertschränke hinterher wieder zu verwenden sind.

Die meisten Herausforderungen kommen harmlos daher: „Guten Tag, ich habe einen Tresor, der ist grau und der Schlüssel weg. Ein Typenschild ist nicht dran. Kriegen Sie den auf?“

So ein Auftrag ist aber auch eine Übung in Menschenkenntnis. Denn woher will Jelonnek immer wissen, dass der freundliche Kunde tatsächlich berechtigt ist, den verschlossenen Tresor öffnen zu lassen? „Ich hab da so meine Rückfragen“, sagt der Experte. Verraten will er sie nicht. Expertenwissen eben. „Juristisch heikel wird es zum Beispiel, falls Waffen im Tresor lagern“, erzählt er. „Fairerweise muss man auch sagen: Der Kunde muss ja auch immer mir vertrauen.“ Soll heißen: Schließlich weiß jetzt auch der sympathische Herr Jelonnek, wie sich der Tresor in Zukunft öffnen lässt.

Einen beschrifteten Firmenwagen fährt Jelonnek übrigens nicht: Es soll ja aus Kundensicht nicht jeder wissen, dass sich im Haus, vor dem er parkt, offensichtlich Wertvolles befindet. Den Kölner treibt seine Passion und nicht eine verbotene Gewinnmaximierung an. Warum bloß interessieren ihn ausgerechnet Schließmechanismen so sehr, dass sich sein Leben seit Jahrzehnten um sie dreht?

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„Schon als Fünfjähriger habe ich in der Schlosserei meiner Eltern – einem uralten Betrieb von 1860 - alle sorgfältig aufgehängten Schlüssel umsortiert“, lacht Jelonnek. „Ich glaube, gelegentlich habe ich ganz schön genervt. Wenn die vier Fräsmaschinen, die auf einem langen Tisch von einem Transmissionsriemen angetrieben wurden, alle gleichzeitig rappelten und alles vibrierte, das war ein Krach! Super!“ Während andere Jungs ihre Fahrräder zerlegten und zusammenbauten, schnappte sich der kleine Lars Schlösser und lernte: Drücken, drehen, schieben sind die Grundtechniken. Und zerstörungsfreies Öffnen dank der präzisen Rekonstruktion des Schlüssels ist die Königsdisziplin für legale Panzerknacker.

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Meister Jelonnek wohnt und arbeitet in Köln-Ehrenfeld, in einem grünen Innenhof voller rostiger Schmiedekunst. Man würde sich nicht wundern, schickte eine hippe Interieur-Zeitschrift einen Fotografen vorbei. Schon in der Zufahrt, hinter dem schweren Tor, baumelt ein mächtiger Metallleuchter von der Decke. Dann öffnet sich der Hof zur verschachtelten Schlosserei samt proppenvoller Lagerhalle und kleinem Tresormuseum. Über der Werkstatt liegt das Zuhause der Familie. Während einer Freistunde steckt Tochter Hanna (16) schnell mal den Kopf bei Papa in die Werkstatt, kurz Hallo sagen. Leben und Arbeiten sind im Ehrenfelder Innenhof eins.

Jelonnek demonstriert an einem übergroßen Stiftschloss, wie kompliziert es ist, bis alle Stiftsäulen soweit durch den Schlüssel in das Gehäuse gedrückt werden, dass es sich öffnet.  Quelle: Anke Henrich für WirtschaftsWoche

Jelonnek, von kräftiger Statur, lehnt sich in dem kleinen Raum neben seiner Werkstatt an einen mächtigen, mannhohen Tresor an, wie andere Männer an einen Tresen. Über die Jahre hat er sich ein kleines Museum zusammengesucht. Dort steht er gerade umzingelt von 250 Jahre alten Tresoren, manche 500 Kilogramm und mehr schwer.

Ein holländischer Brandkasten von 1850 ist auch dabei. Von außen ein schön verziertes Exemplar. Das Besondere an ihm sind die inneren Werte. Früher setzten Ofenbauer, die nach dem Winter viel Zeit hatten, im Sommer solche Kästen als Innenleben eines Tresors zusammen. Ihre Expertise war begehrt, denn unter den reetgedeckten Dächern ihrer Häuser fürchteten sich die Bauern berechtigterweise vor einem Feuersturm, der all ihr Geld und ihre Dokumente vernichten könnte. So brannte in Holland manches Haus ab, aus dessen glimmender Asche anschließend doch der unversehrte Brandkasten ragte.

Aber auch alte Schlüsselbünde hängen im kleinen Museum noch an der schmalsten Wand und unüberschaubar viele Mini-Schlösser füllen akribisch aufgereiht die Glasvitrinen. Den Gegenwert eines Autos steckte er vor einigen Jahren allein in den Aufkauf einer fremden Sammlung.

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Aber ein bisschen jeck muss der Kölner wohl sein – jedenfalls schwärmen nicht viele Menschen so hingebungsvoll von Sperrfederschlössern, Buntabart-, Chubb-, Scheiben-, Stift- oder Doppelbartschlössern. Nicht zu vergessen elektromechanische Schlösser mit Knock-Code-Technologie oder dem digitalen Schließzylinder.

Jelonnek arbeitete sich gründlich an der nötigen Ausbildung zum Metallbauer und den Gesellenjahren im elterlichen Betrieb ab. 1994 legt er vor der Handwerkskammer Köln seine Meisterprüfung ab. Selbstverständlich hat sein Meisterstück, konzipiert als ein großes, kompliziertes und sehr kunstvoll geschmiedetes Renaissance-Schloss aus dem 16. Jahrhundert, einen Ehrenplatz im kleinen Museum – unter Glas, die Dokumentationsmappe liegt davor. Es ist ein Kapellenschloss, was aber nichts mit einer Kapelle zu tun hat, wie die Besucherin lernt. 186 Stunden Feinarbeit hat es ihn gekostet. Man muss sich Jelonnek als einen glücklichen und geduldigen Mensch vorstellen. Eine klare Haltung hat er auch: „Kaltschmiede kommen in die Hölle!“ So drohten Schmiede und Schlosser schon im Mittelalter den Drückebergern ihrer Branche, die die mühsamere Arbeit mit dem heißen Eisen scheuten. Bei Jelonnek würden sie dort noch immer schmoren.

Der Vater hatte es sich wohl anders erhofft, aber der Sohn wollte die Nachfolge im elterlichen Metallbaubetrieb nicht antreten. „Das war damals alles nicht ganz einfach“, macht es der Handwerker bei diesem Thema kurz. Der Alte will’s so, der Junge will’s anders. Ab 2005 baut sich Jelonnek Junior, damals 35 Jahre alt, seine eigene Werkstatt auf. Über die Jahre erarbeitet er sich einen Ruf als Experte für schwierige Fälle. Erst im Rheinland, dann bundesweit, inzwischen bis ins Ausland. Ein Schweizer Museum schickte jüngst nach ihm, ein Exponat ließ sich nicht öffnen.

Jelonnek packte inzwischen auch sportlich der Ehrgeiz. Jedes Jahr messen sich die besten Tüftler auf der „Lock Con“ – einer Art Europameisterschaft für Schlossfreaks. Im September 2016 belegte Jellonek in einer Kategorie den 1. Platz. „Mein ärgster Konkurrent, ein Spanier war auch gut, aber ich war schneller“, freut er sich immer noch.


Aber die Kollegen arbeiten auch zusammen. „In Deutschland sind wir zu sechst und wenn ein schwieriger Auftrag ansteht, hole ich mir auch mal im Netzwerk einen Tipp.“ Scheint zu klappen. „Bisher habe ich noch jeden Tresor aufbekommen“, sagt er nach einigem Nachdenken. Aber er gibt zu: „Bei manchem hatte ich vorher eine schlaflose Nacht, weil es so schwierig war“. Dann baut er sich ein mutmaßlich baugleiches Schloss, um daran erst mal so lange zu probieren, bis es sich endlich öffnen lässt. Komplizierte Fälle brauchen so auch mal einen Vorlauf von zwei bis drei Wochen. Das wird teuer.

Deshalb seien Jelonneks Worte allen Tresorbesitzern, ob sie ein Schließfach in der Bank oder ein einbetoniertes Monstrum im eigenen Keller haben, eine Warnung: „Der Originalschlüssel ist das Höchste, was zählt!“ Soll heißen: Aufpassen wie ein Luchs.

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