Trifft es nach Air Berlin die nächste Fluglinie? Warum Germania so schwer zu retten ist

Germania in Not: Warum die Airline so schwer zu retten ist Quelle: imago images

Nach fünf Krisenjahren wird bei Deutschlands letzter unabhängiger Fluglinie das Geld knapp. Die Aussicht auf eine baldige Besserung bei Germania sind schlecht. Die Probleme im Überblick.

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In Deutschland hat die Flugkrise ihr Zentrum im Nordwesten Berlins im Büropark am Saatwinkler Damm. Gleich neben einer großen Kleingartensiedlung und dem Fleischhersteller Baha Döner nahe des Flughafens Tegel residierte bis vor knapp einem Jahr die insolvente Air Berlin. Jetzt ist die Krise ein Haus weiter gezogen in den Riedemannweg zum Hauptsitz der Fluglinie Germania.

Am Dienstagabend gestand die Airline, dass das Geld knapp wird. Man prüfe „aktuell mehrere Optionen einer Finanzierung, um den kurzfristigen Liquiditätsbedarf zu sichern“, hieß es. Laut den Recherchen des Branchenportals Aero Telegraph hat Germania zum Jahresende rund 20 Millionen Euro gebraucht, um weiter fliegen zu können.

Die Zahlen waren schon in der Vergangenheit rot: Die letzte veröffentlichte Bilanz für 2016 listet knapp acht Millionen Euro Verlust und ein Minus beim Eigenkapital von gut 13 Millionen Euro auf. Die Mitteilung vom Dienstag legt den Schluss nahe, dass das Minus eher größer als kleiner geworden ist.

Angesichts von Fehlbeträgen in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro in den vergangenen Jahren, so Aero Telegraph, sei die Lage so dramatisch, dass auch ein Verkauf der ganzen Unternehmensgruppe möglich sei. Das Unternehmen selbst und ihr Alleineigentümer Karsten Balke wollen sich zu diesen Zahlen bislang nicht äußern.

Für Wettbewerber und Großkunden wie Reiseveranstalter ist der Alarmruf von Germania keine große Überraschung. „Die Warnzeichen gab es seit längerem“, sagt ein führender Touristiker. „Und seit dem Ende vor Air Berlin schauen alle besonders genau hin.“ Damals gelang es Reiseveranstaltern nur mit Einschränkungen, Ersatzflüge für ihre Urlauber finden. Sie blieben auf hohen Mehrkosten sitzen.

Doch wieso steckt Germania in der Krise?

Da sind zum einen externe Faktoren, die auf die Zahlen drücken. Germania selbst nennt „massive Kerosinpreissteigerungen … bei gleichzeitiger Abwertung des Euros gegenüber dem US-Dollar“ als ausschlaggebend für die schlechte Lage. In der US-Währung bezahlen Airlines ihre Spritrechnung. Die war zuletzt deutlich teurer als erwartet.

Doch neben dem inzwischen wieder deutlich gefallenen Kerosinpreis lasten auf Germania noch ein paar zusätzliche Probleme. Anders als die Tankrechnung sind diese zumindest teilweise hausgemacht.

So gesteht die Linie, dass ihr im Laufe des Jahres mehrmals Flugzeuge fehlten, weil neue Maschinen verspätet kamen und andere länger in die Werkstatt mussten als erwartet. Ebenso sehr dürfte der aktuelle Umbau der Flotte das Unternehmen belasten. Zum Jahresende standen 25 Bestellungen über Mittelstreckenjets im Wert von rund zwei Milliarden Dollar in den Büchern des Flugzeugbauers Airbus. „Angesichts der offenbar recht schwachen Bilanz dürften die Finanzierungskosten über dem Schnitt liegen“, vermutet der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Im Klartext: Germania zahlt mehr als große Konkurrenten wie Lufthansa.

Auch bei den Betriebskosten hat die Linie einen Nachteil gegenüber den Marktführern. Hier profitiert die Linie zwar von ihrer schlanken Verwaltung und den Personalkosten „am unteren Ende der Skala“, wie es ein führender Gewerkschafter ausdrückt. Doch am Ende sorgen die Vorteile aus einer größeren Flotte sowie Mehreinnahmen dank eines größeren Flugnetzes und der bekannteren Marke dafür, dass bei Billiggrößen wie Easyjet pro Flug deutlich mehr hängen bleibt als Germania.

Das konnte Germania lange durch ihr Geschäftsmodell wettmachen. Hier hatte die Linie lange eine Alleinstellung. Der frühere Eigentümer Hinrich Bischoff ließ das Gros seiner zuletzt 44 Maschinen vor allem für andere Linien starten. Das gelang ihm laut Schilderung von Branchenkennern durch eine geschickte Mischung aus Verhandlung sowie der Drohung mit seinen niedrigen Kosten möglichen Mietern Konkurrenz zu machen und ein paar Monate die Preise zu verderben. Angesichts der möglichen Verluste der damals noch deutlich teurer fliegenden Traditionslinien mieteten Tui, Air Berlin und sogar die amerikanische Delta Airlines Maschinen bei Bischoff.

Davon ist fast nichts mehr übrig.

Germania: „Wir sind in Deutschland die einzige Alternative“

Auch wenn führende Manager des Unternehmens jeden Vergleich mit Air Berlin weit von sich weisen, gibt es ein paar unbequeme Parallelen. Germania ist wie der insolvente Ex-Nachbar trotz seiner geringen Größe mit 37 Flugzeugen in mindestens drei Geschäftsfeldern tätig: Städteverbindungen, Urlaubsverkehr und Flüge im Auftrag von Reiseveranstaltern. Als ergänzendes Mini-Modell betreibt Germania seit 2011 den Werksverkehr des Flugzeugherstellers Airbus zwischen Hamburg und der Zentrale im südfranzösischen Toulouse.

Die Städteflüge und die Vollcharter genannten Dienste für einen Reiseveranstalter erscheinen noch vielversprechend. „Da sind ein paar schlaue Routen dabei“, sagt Luftfahrtexperte Großbongardt. Dazu zählen vor allem Verbindungen in schwer erreichbare Städte im Mittleren Osten, für die Passagiere auch mal höhere Preise zahlen. Allerdings hat die Zahl der möglichen Ziele abgenommen, weil einst sehr profitable Routen wie nach Syrien oder den Norden von Iran und Irak wegen der politischen Spannungen und kriegerischen Konflikte in der Region aufgegeben werden mussten.

Damit stieg der Anteil von Urlaubsflügen zu weniger profitablen Zielen, die auch andere im Programm haben. Germania versucht die Schwäche wettzumachen, indem sie wie Air Berlin in ihrer Glanzzeit statt von großen Flughäfen wie Düsseldorf abseits der Ballungsräume in Erfurt, Dresden oder Bremen startet. „Hier sind zwar die Kosten durch den vergleichsweise hohen Verwaltungsaufwand etwas höher als in den Metropolen. Doch dafür ist es den Kunden dort einen Aufpreis wert, nicht zu einem Groß-Airport wie Frankfurt, Hamburg oder München reisen zu müssen“, so ein führender Manager eines Konkurrenten. Doch am Ende ist die Zahl der Flüge zu klein, so dass Germania auch in den Großflughäfen gegen die überlegenen Konkurrenten antreten muss.

von Angela Hennersdorf, Henryk Hielscher, Rüdiger Kiani-Kreß, Jürgen Salz, Christian Schlesiger, Martin Seiwert

Zur Last wird für Germania insgesamt der im Augenblick extrem hohe Wettbewerb der Branche. Mochten im vorigen Jahr Flugzeuge auch knapp gewesen sein, in diesem Jahr gibt es eher zu viele Maschinen. Dafür sorgen zum einen die vielen neuen Jets, die Analyst Daniel Roeska vom New Yorker Brokerhaus Bernstein als „Flut an Flugzeugen“ bezeichnet. Zudem lassen sich viele ältere Maschinen heute fast so günstig wie neues Gerät betreiben. Denn deren im Vergleich recht hohe Finanzierungskosten machen den Vorteil beim niedrigeren Verbrauch mehr als wett. Das sorgt für teilweise abenteuerliche Preise. So berichtet Gerald Kassner, Chef des Duisburger Veranstalters Schauinsland, dass Ryanair den Reiseunternehmen die Sitze teilweise für neun Euro für Flüge anbietet und das sogar auf die Kanarischen Inseln, wo allein die reinen Betriebskosten pro Passagier bei gut 100 Euro liegen. Selbst wer Ryanair nicht stärken wolle, müsse da zugreifen, so Kassner. „Denn sonst sichert sich ein Konkurrent die Kontingente und unterbietet uns.“

Nun droht Germania in eine Abwärtsspirale zu geraten. Zwar betont die Linie in ihrer Krisenmeldung: „Beim Flugbetrieb gibt es keine Einschränkung, alle Germania-Flüge finden planmäßig statt.“ Doch das gilt nur, wenn die Kunden weiter Tickets kaufen. Hier versichern Unternehmensinsider, dass die Vorausbuchungen über dem Vorjahr seien und auch Veranstalter Treue geschworen haben. Ob das von Dauer ist, bleibt fraglich. „Wenn erste Kunden zweifeln, kann sich die Stimmung schnell ändern“, sagt ein führender Touristiker.

Wie genau es weiter geht, dazu will sich das Unternehmen angesichts der unklaren Lage nicht äußern. Man glaube aber fest daran, weitermachen zu können. „Unsere Gespräche mit potentiellen Investoren, die uns finanziell unterstützen wollen, verlaufen positiv“, zitiert die Touristik-Fachzeitschrift „fvw“ am Donnerstag aus einem Schreiben von Germania-Chef Karsten Balke von Mittwochabend an die Mitarbeiter.

Die Führung um Eigentümer Balke hofft offenbar auf eine Rettung – etwa durch Investments der Tourismusunternehmen. Immerhin hatte Schauinsland-Chef Kassner die Linie zuletzt als „guten, zuverlässigen Partner“ bezeichnet. DER-Touristik-Flugeinkäufer Jörgen Bongartz bezeichnete die Linie gegenüber der Fachzeitschrift FVW als „wichtig für Randflughäfen.“

„Wir sind in Deutschland der letzte Mittelständler und die einzige Alternative zu Billiglinien wie Ryanair oder Konzerngesellschaften wie Eurowings oder Tuifly“, sagt ein Insider. „Wollen besonders die kleinen Veranstalter sich wirklich von denen abhängig machen oder dass wir für etwas mehr Konkurrenz sorgen?“

Einen Verbündeten hat Balke jedenfalls in der FDP-Fraktion im Berliner Senat. Die forderte, Germania in der Hauptstadt zu halten. Die Fehler von 2017, als Air Berlin von Regierungschef Michael Müller (SPD) vorschnell der Lufthansa angedient worden sei, dürften nicht wiederholt werden.

Ob das am Ende zu einer Staatshilfe führt, ist keineswegs sicher.

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