Trotz Coronakrise Klimafreundliche Mobilität braucht wirksame Anreize!

Die Bahnindustrie leidet unter der Coronakrise: Der Umsatzrückgang im Schienengüterverkehr betrug zeitweise fast 20 Prozent, Passagierzahlen sind teilweise um 90 Prozent und mehr eingebrochen. Quelle: dpa

Corona hat Klimaprobleme in den Hintergrund gedrängt. Wenn Europa aber die Ziele des Pariser Abkommens noch erreichen soll, darf der emissionsfreie Schienenverkehr nicht kaputtgespart werden. Ein Gastbeitrag.

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Mehr als 200 Unternehmen der deutschen Bahnindustrie bilden ein Ökosystem, das die reibungslose Nutzung unserer kritischen, alternden Infrastruktur sicherstellt. Die Bahnindustrie ist Zukunftsbranche für nachhaltige Mobilität. Aber wenn die politisch Verantwortlichen in Europa nicht endlich eine Agenda 2040 für „Clean Mobility“, einen Ordnungsrahmen mit Weitblick für Innovation, Wachstum und Wertschöpfung schmieden, prophezeie ich den schleichenden Niedergang in internationale Bedeutungslosigkeit.

Vielleicht erscheint die Bahnindustrie in Deutschland manchem als Selbstläufer, mit ihren zwölf Milliarden Euro Umsatz und 54.000 Beschäftigten. Vielleicht engagiert sich der Staat auch einfach lieber bei der Rettung traditionell fossiler Industrien. Aber als Unternehmerin einer Generation, die unsere Neuverschuldung maßgeblich mitzutragen hat, meine ich: Unsere Steuergelder sollten gerade jetzt in zukunftsträchtige Branchen und unsere Infrastruktur investiert werden.

Die Bahnindustrie leidet unter der Coronakrise: Der Umsatzrückgang im Schienengüterverkehr betrug zeitweise fast 20 Prozent, Passagierzahlen sind teilweise um 90 Prozent und mehr eingebrochen. Bahnausrüster rechnen für 2021 mit Exporteinbußen. Trotz Covid dürfen wir aber die Klimawende nicht vergessen. Eine Minderung der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030 ist EU-weit vereinbart. Mit dem aktuellen Kurs allerdings verfehlen wir die Ziele des Pariser Abkommens. Dabei ist die Schiene ökologisch unschlagbar, bei konkurrenzfähigen Kosten, Fahr- und Lieferzeiten. Sie ist ein Wachstumsmotor für unsere Volkswirtschaft.

Doch die öffentliche Beschaffung bleibt bürokratisch und träge. Im Bereich Werkstattausrüstung wurde bis Ende September 2020 nicht einmal 25 Prozent des Auftragsvolumens von 2019 vergeben. Klimaschutz und ein nachhaltiges Preis-Leistungs-Verhältnis spielen bei Ausschreibungen weiterhin eine viel zu kleine Rolle. Nicht-europäische Staatskonzerne, üppig subventioniert, können Europa mit Billigstpreisen aufrollen – zulasten europäischer Zukunftsindustrien. Und am Ende kostet das Bahnticket von Berlin nach München immer noch mehr als der Flug.

So kann die EU den Kampf für Klimaschutz nicht gewinnen: Das Stopfen alter Löcher löst unser Problem nicht! Nachhaltige Mobilität bedarf nicht irgendwelcher Steuergelder irgendwo, sondern braucht einen wirksamen Ordnungsrahmen.

Innovationen aus Deutschland sind Treiber der Klimawende. Gerade hier ansässige Unternehmen zeichnen sich durch intelligente Lösungen aus, die Wachstum und Klimaschutz fördern und global konkurrenzfähig sind. Die Bahnindustrie Deutschlands ist weltweit führend – Systemhäuser, Mittelstand und Start-ups. Unsere Industrie ist etwa Weltmarktführer für Bremsen, die mit künstlicher Intelligenz Hindernisse im Rangiervorgang erkennen und Bahnfahren sicherer machen. Übergangssysteme zwischen Zugteilen aus Deutschland zum Beispiel erhöhen Transportkapazitäten und verbessern den Reisekomfort – in fast 80 Prozent aller Züge weltweit. Emissionsfreie Antriebsmodule für Arbeitsfahrzeuge machen den Bau und die Instandhaltung auch älterer Schienennetze klimafreundlich. Innovative Werkstattausrüster bringen Züge schneller wieder auf die Schiene.



Viele Hidden Champions zwischen Kiel und Konstanz liefern wichtige Innovationen für Wandel und Wachstum. Entscheidend ist dabei immer die Qualität. Durch den Werterhalt von Schiene und rollendem Material ließen sich Ressourcen schonen. Dies erreicht unsere Industrie durch Ingenieurskunst über die gesamte Wertschöpfungskette: von recyceltem Stahl aus dem Elektrostahlwerk für Radsätze und Reifen bis zu der Werkstattausrüstung zur Instandhaltung der Flotte. Außerdem investieren deutsche Unternehmen auch in den Service über den gesamten Lebenszyklus hinweg – anders so mancher außereuropäische Staatskonzern, der nach Auslieferung den Kunden aus den Augen verliert.

Damit die Technik aus Deutschland auch zum Einsatz kommt, brauchen wir Impulse für saubere Mobilität. Beschaffungspolitik sollte langlebige und emissionsfreie Konzepte priorisieren und Investitionen entsprechend vergüten. Der Preis als alleiniges Vergabekriterium fördert innovative, umweltfreundliche Produkte nicht! Deutschland braucht Mut, die Beschaffung progressiver auszurichten. Finanzierungskonditionen sollten etwa kleinere Unternehmen berücksichtigen: Großkonzerne mögen vorfinanzieren können, der Mittelstand häufig nicht.


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Die Bahnindustrie benötigt die Unterstützung der Politik, damit der Schienenverkehr attraktiver werden kann. Anreizsysteme sollten sich auf die Förderung klimafreundlicher Mobilität über die gesamte Wertschöpfungskette fokussieren. In Europa müssen endlich für alle Bieter, auch für Nicht-EU-Staatskonzerne, gleiche Regeln gelten. Fairer Wettbewerb für alle! Auch die Förderung der Zusammenarbeit stärkt das Wachstum – das 4. Europäische Eisenbahnpaket sollte konsequent umgesetzt werden und verhindern, dass jedes europäische Land seine eigenen Vorschriften zum Netzzugang formuliert. So können wir uns über eine deutsche Zukunftsindustrie freuen: Stärkt den Klimaschutz durch Anreize für die klimafreundliche Bahnindustrie!

Mehr zum Thema: Seit Jahrzehnten fahren Nachtzüge durch Europa. Doch plötzlich steht die rollende Schlafkabine vor einer Renaissance – vor allem aus einem Grund.

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