TUI Das peinlichste Projekt des Reiseriesen

Castelfalfi Quelle: PR

TUI-Chef Fritz Joussen in Sorge zu versetzen, müsste eigentlich ziemlich schwer sein. Denn seit der 55-Jährige bei Europas größtem Reisekonzern vor rund fünf Jahren das Ruder übernahm, hat er so ziemlich alle Probleme gelöst - und das notorisch renditeschwache Unternehmen bei Kennzahlen wie Gewinn oder Eigenkapitalrendite zum Vorbild der Branche gemacht. Tatsächlich reicht aber das Wort 'Castelfalfi', um den 55-Jährigen zumindest resigniert seufzen zu lassen.

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Denn hinter dem klangvollen italienischen Begriff steckt zwar kein dunkles Geheimnis, aber eine sorgengeplagte noble Ferienanlage der TUI in der Toskana mit zwei Golfplätzen, zwei Hotels und vielen Ferienimmobilien. Obwohl das kleine Dorf südlich von Florenz und Pisa für das Unternehmen mit seinen 18,5 Milliarden Euro Umsatz nur wie ein Randaspekt erscheint, ist es 'ein Albtraum', wie ein TUI-Insider beschreibt. Denn Castelfalfi wiedersetzt sich seit dem Start im Jahr 2006 unbeugsam praktisch allen Anstrengungen, Gewinn zu machen. 'Wir würden so etwas nie wieder machen', gelobt der für Hotels zuständige TUI-Vorstand Sebastian Ebel.

Das gilt mehr denn je. Denn nun drohen auch noch prominente Unternehmer, die von der TUI teure Feriendomizile gekauft haben, mit Klagen wegen nicht eingehaltener Verpflichtungen. Wenn die Millionäre Ernst machen, dürfte der toskanische Traum für Konzernchef Fritz Joussen zum Trauma werden.

Dabei ist das Leid bereits ohne den neuerlichen juristischen Ärger groß genug. Seit dem Start hat ihr Ausflug in die Toskana TUI wohl mindestens 300 Millionen Euro gekostet. TUI bestätigt Investitionen beim Baustart in Höhe von 250 Millionen Euro. Der Betriebsverlust beträgt nach WirtschaftsWoche-Informationen mindestens 80 Millionen Euro, dazu nimmt der Konzern nicht Stellung.

Die in den Geschäftsberichten ausgewiesenen Abschreibungen belaufen sich zudem auf mindestens 50 Millionen Euro. Von alldem war keine Spur zu sehen, als der damalige TUI-Chef Michael Frenzel und sein Vorstand das Projekt 2006 starteten. Frenzel war damals zwölf Jahre Vorstandschef und hatte eine bestenfalls durchwachsene Bilanz. Der Konzern verdiente fast nichts, der Aktienkurs dümpelte seit Jahren auf einem Drittel des Höchststandes vom Jahr 2000 und die Kommentare von Medien und Anteilseignern waren hämisch, auf Hauptversammlungen gab es gar 'Frenzel raus'-Chöre. Trotz ständiger Strategiewechsel und Umbauten hatte TUI kein richtiges Feld, das Wachstum und höhere Gewinne versprach.

Rettungsanker Toskana Auf dem Papier wirkte Castelfalfi wie die Rettung aus allen Nöten. Am besten beschreibt eine Vorlage für die Sitzung des Vorstandes der TUI am 20. Februar 2006 Frenzels Vision. Auf einem 1100 Hektar großen Grundstück sollten vier Hotels entstehen: ein Robinson-Club mit 220 Zimmern, ein Dorfhotel mit 180 Appartements, ein Iberotel für Golfer mit 150 und ein kleines Boutiquehotel mit 30 Zimmern. Dazu zwei 18-Loch-Golfplätze und rund 450 Villen und Appartements, sowie 28 zu renovierende Farmhäuser. Und das war erst der Anfang. 'Bereits heute sind ein 430-Betten-Hotel und weitere 40 Appartements in der Planung der zuständigen Gemeinde (...) enthalten', jubelte die Präsentation.

Die schönsten Chalet-Hotels
Im Halbrund spiegelt sich die Bergwelt, die sich auch aus dem Freiluft-Whirlpool eine Etage tiefer beobachten lässt. Ein Chalet des Almhof Roswitha in Tirol.Copyright Jan Hanser, Almhof Roswitha Quelle: PR
Das Chaletresort-Tirol trägt den Zusatznamen "LaPosch" - der sich vom Nachnamen des Betreibers ableitet. Es liegt des weiten Talkessels Biberwier – Ehrwald – Lermoos liegen unsere exklusiven Almhütten mit fantastischem Blick auf die Tiroler Bergkulisse. Und manches davon spiegelt sich im Wasser vor einem der Chalets. Quelle: PR
Holzhütte gleich Waschzuber und kaltes Wasser? Mitnichten, so wie in der Luxuslodge in Österreich, sind in vielen Chalets großzügige Bäder und häufig sogar Saunen verbaut. Quelle: PR
Colorado ist groß, Telluride weit von Denver – und wer dann noch eine Weile Auto fährt, kommt in dem ehemaligen Städtchen Dunton Hot Springs an. In den Bergen, fernab vom Schuss, hoch gelegen - und dennoch jeder Komfort. Wahlweise in Zelten oder den Holzhütten. Quelle: PR
Raus aus dem Haus, rauf auf die Alm - im Almhotel Valsegg Chalets in Südtirol begegnen sich Tiere und Menschen ständig. Quelle: PR
Die 7sentido in Bischofsmais hebt sich deutlich ab von den Chalets typischer Art in Bayern oder Österreich. Moderner, bunter - und "Casitas" statt Chalets. Und nur für Erwachsene. Quelle: PR
Reichlich Holz in den Hütten - das Baumaterial ist nicht nur außen, sondern auch in den Innenräumen allgegenwärtig. Quelle: PR

Für den Erfolg sollten drei Dinge sorgen: Die Toskana galt als Wachstumsmarkt. Italien ist bis heute eines der drei beliebtesten Auslandsreiseländer für Europäer und Nordamerikaner. Und für die knapp 40 Millionen Besucher im Jahr ist die Toskana das beliebteste Ziel im Land, gerade im stark wachsenden Geschäft mit Luxus und authentischem Naturerlebnis. Doch in der Region waren überwiegend Familienbetriebe aktiv. Die Gegend 'schrie förmlich danach, endlich von einem großen Reisekonzern mit weltweiter Präsenz entwickelt zu werden', so ein Ex-TUI-Manager.

Zudem sollte das Projekt von Anfang an hoch profitabel sein. Die Gesamtinvestition lag laut Vorlage zwar bei stattlichen 376 Millionen Euro - mehr als der Konzern je zuvor in ein Projekt gebuttert hatte und fast so viel wie das ganze Reisegeschäft im Jahr 2005 vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen verdient hatte. Doch der Umsatz aus dem Verkauf der Villen, Appartements und Farmhäuser belaufe sich 'vorsichtig ermittelt auf 347 Millionen Euro'. Dazu sollten die Hotelerträge für einen hohen Gewinn sorgen. So versprach die Vorlage auf der letzten Seite unter ROIC (Rendite auf das eingesetzte Kapital) Margen von acht Prozent noch in 2006 und knapp 19 Prozent in 2010 - gut das Doppelte dessen, was der Konzern damals erreichte.

Und zu guter Letzt sollte Castelfalfi das durch den Massentourismus und seine umweltbelastenden Nebenwirkungen angekratzte Image der TUI verbessern. 'Mehr an Nachhaltigkeit als das, was wir vorhaben, gibt es nicht', hieß es da in einer Pressemitteilung.

Reihenweise Fehleinschätzungen

Leider lief bei dem Projekt fast alles anders als geplant. 'Es beruhte von Anfang an auf dem Prinzip Hoffnung', meint Michael Lidl, geschäftsführender Partner der Münchner Hotelberatung Treugast.

Das TUI-Management sah sich hier als Opfer. 'Aufgrund der politischen Verhältnisse vor Ort wurde - nach dem Erwerb des Grundstücks - relativ schnell klar, dass das ursprüngliche Masterplan-Volumen keine Chance auf Genehmigungsfähigkeit haben würde', beklagt ein führender Manager 2013 in einem internen Schreiben an Vorstand Sebastian Ebel. Tatsächlich hat die Misere ihren Ursprung nicht nur in höherer Gewalt, sondern zumindest ebenso in reihenweisen Planungsmängeln und Fehleinschätzungen.

Hotel-Fachleute hielten einen schnellen Erfolg in Castelfalfi von Anfang an für fast unmöglich. Eine 'Mission Impossible' nannte es selbst Stefan Neuhaus, der das Projekt von 2012 bis 2017 als CEO leitete, in Presseberichten. 'Die Verantwortlichen haben da offensichtlich die Risiken unter- und ihre Fähigkeiten überschätzt', so ein ehemaliger TUI-Manager. Denn sie betraten in gleich dreierlei Hinsicht ein für sie völlig ungewohntes Geschäftsfeld. Statt wie bisher bestehende Häuser für Pauschalreisende zu füllen oder bestenfalls in bekannten Urlaubsgebieten mit Partnern neu zu bauen, wollte der Konzern Ferienhäusern errichten und vermarkten. Und das ganz oben, im Segment Fünf Sterne aufwärts, wo die TUI wenig Erfahrung hatte. Das Ganze bauten die Hannoveraner zu schlechter Letzt in einer Region, die für Veranstalterreisen erst noch entwickelt werden musste.

Das Leid begann nachdem die TUI im März 2006 mit dem Mailänder Immobilieninvestor Virginio Battanta den Kaufvertrag über das mittelalterliche Dörfchen abgeschlossen und das Geld überwiesen hatte. Zuerst stieg nach der letzten Tranche der Kaufpreis von 110 auf knapp 130 Millionen. Denn auf den ursprünglich vereinbarten Betrag wurde überraschenderweise Mehrwertsteuer fällig. Dann regte sich Unmut bei den Anwohnern in der Gemeinde Montaione, zu der Castelfalfi gehört. Sie fürchteten angesichts der gewaltigen Baupläne einen Ausverkauf an den Massentourismus.
TUI hat das überrascht. Kenner der Region nicht. Denn so strukturschwach die Gegend auch war: Seit der Jahrtausendwende hatte sich die Stimmung gegen neue Tourismusprojekte gewendet. 'Da hätten die in Hannover einfach mal ein paar regionale Zeitungen lesen müssen', sagt ein Insider. Im süd-toskanischen Monticchiello hatte eine Bürgerinitiative erfolgreich eine neue Ferienwohnungssiedlung verhindert. In der Nähe des gut 20 Kilometer entfernte San Gimignano wurde Mitte Mai eine Siedlung beschlagnahmt. 'Wir haben das strengste Baurecht Italiens', brüstete sich seinerzeit der Präsident der Region, Claudio Martini. 'Auf unseren Hügeln soll nur noch das Notwendigste gebaut werden.'

Darum und wegen einiger Planungsfehler verzögerte sich die versprochene Einigung mit der Gemeinde über die Nutzung des Geländes vom in der Vorlage für Anfang 2007 zugesagten Termin um vier Jahre bis März 2011. Dazu fiel die Convenzione genannte Baugenehmigung der zuständigen Gemeinde Montaione strenger aus als erwartet. Statt der erhofften vier Hotels durfte TUI jetzt bestenfalls zwei neue bauen. Doch selbst das Erste kam nicht recht voran. TUI wollte unbedingt einen von der Gemeinde strikt abgelehnten Robinson Club bauen und stellte das Konzept mehrfach abgewandelt auch als 'Hotel di Arte e Cultura' vor. Doch Montaione blieb hart. Am Ende gab TUI auf und eröffnete unter der völlig neuen Marke TUI Blue - nicht wie in der Vorstandsvorlage versprochen im März 2008, sondern erst neun Jahre später im März 2017.

Dazu gab es Ärger mit Geschäftspartner Battanta. Der hatte zwar beim Kauf die rund 18 Millionen Euro Mehrwertsteuer kassiert, aber nicht wie vereinbart an den italienischen Fiskus abgeführt. Stattdessen spielte er mit den Behörden gekonnt Katz und Maus, bis denen die Kragen platzte. 'Da hielt sich der italienische Fiskus offenbar lieber an einem solventen deutschen Konzern schadlos, statt dem Geld in Battantas Firmengeflecht nachzujagen', so ein Insider. 'Daraufhin wurde die TUI AG vom italienischen Fiskus dafür in Anspruch genommen', beklagt die TUI auf Anfrage.
So empfing dann im Sommer 2012 auf einmal die bewaffnete Finanzpolizei Guardia di Finanza das lokale TUI-Management in den Büros von Castelfalfi und beschlagnahmte im großen Stil Unterlagen. Notgedrungen zahlte die TUI die Mehrwertsteuer ein zweites Mal - inklusive Zinsen und sicherheitshalber direkt an die Behörden. Das rechtswidrig von Battanta einbehaltende Geld hat sie bisher nicht wiedergesehen. 'Ein Rechtsstreit über die Rückerstattung durch den Käufer beziehungsweise seine Erben ist anhängig', so die TUI.

Keine Hoffnung auf Gewinn

Derweil bröckelte auch die Hoffnung, durch den Verkauf der Ferienhäuser und Appartements die Lücken zu stopfen. Die TUI durfte laut der Convenzione nur einen Bruchteil der ursprünglich geplanten Häuser errichten. Doch selbst das waren offenbar noch zu viele. Zwar wurde der Konzern die kleineren Appartements komplett los. Und er ist stolz, im Borgo genannten alten Ortskern von Castelfalfi noch ein paar zusätzliche Wohnungen entdeckt und verkaufsfertig gemacht zu haben. Doch von den besonders einträglichen gut 40 Villen und aufwendig restaurierten Bauernhäusern mit eigenem Pool zum Preis von bis zu acht Millionen Euro konnte der Konzern leider nur rund die Hälfte verkaufen. Selbst die engagierten Edelmakler Engel & Völkers fanden trotz aufwendiger Anzeigen kaum Käufer.

Also versuchte die TUI Castelfalfi komplett loszuschlagen. Doch das lief noch schlechter. Den exklusiven Auftrag dazu erhielt um das Jahr 2010 herum unter anderem die amerikanische Investmentbank Lazard. 'Trotz einer Vielzahl von Investorenkontakten konnte kein Käufer identifiziert werden', beklagte eine interne TUI-Unterlage vom Frühjahr 2013.

Fast schon mitleiderregend endete ein späterer Versuch mit der der britischen Fondsgesellschaft Almus Capital, die seit April Cedar Capital heißt. Die Investoren aus London, die laut eigenen Angaben Hotels und andere touristische Aktivitäten im Wert von mehr als drei Milliarden Euro übernommen haben, prüften im Spätsommer 2017 den Einstieg in der Toskana. Laut Insidern stand dabei ein Gebot in Höhe von rund 50 Millionen Euro im Raum. Doch daraus wurde nichts. Am 11. Oktober 2017 teilt Almus-Manager Giovanni Forni unter dem Betreff 'Project Leonardo' seinen TUI-Gesprächspartnern mit, er könne das Angebot nicht mehr aufrecht erhalten, weil in Castelfalfi fast kein Bereich Hoffnung auf Gewinn biete.

Darum hat TUI den Verkauf offenbar aufgegeben. 'Es gibt keine Absicht, Castelfalfi zu verkaufen. Im Gegenteil, die Eröffnung des neuen Fünf-Sterne-Hotels in Castelfalfi ist ein klares Bekenntnis für das Projekt. Es werden keine Investoren gesucht. Anderweitige Gerüchte sind erfunden', erklärte die TUI trotzig ein halbes Jahr nach dem Schreien der Briten. Die letzte verbliebene Hoffnung der TUI ist nun das Luxushotel TUI Blue. Das lobt der Konzern bereits ein Jahr nach der verspäteten Eröffnung als großen Erfolg. 'Die durchschnittliche Zimmerrate liegt bei 250 Euro pro Nacht. Die zu erwartende Auslastung liegt bei 70-80 Prozent. Damit erzielen wir gerade auch für Italien hervorragende Werte'. Gerade habe man wegen der hohen Nachfrage die Kapazitäten im Restaurant aufgestockt.

Das verwundert Fachleute. Zum einen ist das Haus drei Monate im Jahr geschlossen. 'Da müsste es für drei Viertel Auslastung im Rest der Zeit ständig komplett ausgebucht sein', so ein Hotelfachmann. Doch wer das Hotel etwa diese Woche in den deutschen Pfingstferien besuchte, bekam einen anderen Eindruck. Denn statt Scharen von Nobeltouristen gab es eher eine spürbare Leere und die wenigen sichtbaren Gäste des Fünf-Sterne-Hauses wirkten mehr wie Schnäppchenjäger in Badeschlappen und Jogging-Shorts.

Darum ist Immobilienspezialist Lidl unsicher, ob und wann die TUI mit dem Haus Geld verdient. 'Bei einem Fünf-Sterne-Haus an einem touristisch kaum entwickelten Standort halten sich selbst sehr erfahrene Investoren normalerweise extrem zurück, denn selbst wenn alles nach Plan läuft werfen solche Projekte in der Regel frühestens nach zehn Jahren echte Rendite ab.'

Und selbst die bescheidenen Erfolge sind nun in Gefahr. Denn im bislang erfolgreichsten Teil rebellieren nun die Investoren und drohen auf Rückabwicklung ihrer Käufe zu klagen. 'Da wirkt das ganze Gelände schnell wie eine Bauruine und dann will auch keiner mehr in die Hotels', meint ein Insider.

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