Tui in der Coronakrise Warum der Reiseveranstalter die Staatsmilliarden braucht

Das aktuelle Geschäftsjahr beendet die TUI mit einem Milliardenverlust Quelle: dpa

Das aktuelle Geschäftsjahr beendet die Tui mit einem Milliardenverlust – und am Rande der Insolvenz. Dabei zeigt die neue Bilanz nicht einmal das ganze Ausmaß der Krise. Warum der Reisekonzern dringend Hilfe benötigt.

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Bei seinen öffentlichen Auftritten gibt sich Tui-Chef Fritz Joussen zumeist so optimistisch, wie es sich für einen Reisemanager nun einmal gehört. Beim virtuellen Kongress der touristischen Fachzeitschrift FVW im September räumte er zwar kurz ein, wie schlimm sein Geschäft derzeit läuft. Gleich darauf erklärter er aber, seine Buchungen für kommenden Sommer seien „wieder sehr stark“ und lägen „im normalen Korridor.“ Und kurz zuvor warb er damit, dass er keinen großen Geldmangel habe, denn die Kredite der Bundesregierung stellten, so Joussen, „ausreichend Liquidität sicher, um die saisonalen Schwankungen im Winter 20/21 abzudecken.“

Wenn Joussen nun die Zahlen für sein aktuelles Geschäftsjahr vorstellt, dürften ihm die positiven Töne schwerer fallen. Nicht nur, dass Joussen vergangene Woche die Rettungsgelder des deutschen Staats in einer dritten Runde um bis zu weitere 1,3 Milliarden Euro aufstocken musste. Das Eigenkapital ist trotz aller Hilfen von gut 4 Milliarden Euro auf gefährlich niedrige 218 Millionen Euro abgeschmolzen. Für seine Zwölf-Monats-Bilanz schreibt der Konzern gut drei Milliarden Euro Verlust. Ohne eine dritte Runde an staatlichen Krediten hätte Tui Ende September nur noch 700 Millionen an liquiden Mitteln gehabt. „Das wäre schon in normalen Zeiten nicht viel gewesen, aber definitiv zu wenig, um einen Krisenwinter wie diesen zu überstehen“, so ein Manager eines Konkurrenten.

Dabei hat die Tui bei dieser Bilanz sogar noch Glück. Weil der Reiseriese seine Bücher jedes Jahr bereits kurz nach Ende der Sommersaison schließt, bilanzierte er im Geschäftsjahr 2020 nur sieben Krisenmonate und noch fünf Monate mit Normalgeschäft. In denen lief sogar alles auf ein neues Rekordjahr mit rund einer Milliarde Euro Gewinn zu.

Für den dramatischen Einbruch der Zahlen sorgt vor allem die Coronakrise. „Das Unternehmen ist davon mit am stärksten betroffen“, so Analyst Richard Clarke vom New Yorker Brokerhaus Bernstein . Weil Urlaubsreisen seit März zuerst ganz verboten und später mit wie ein Verbot wirkenden Auflagen belegt waren, sackte der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stellenweise auf nur noch zwei Prozent. Gleichzeitig liefen die Ausgaben für Personal, Hotels, Flugzeuge und Schiffe in Höhe von zunächst bis zu 700 Millionen pro Monat weiter. Und obwohl im Sommer das Reisegeschäft wieder anzog und zumindest weite Teile der deutschen Belegschaft Kurzarbeitergeld bezogen, fehlten am Ende jeden Monat 200 bis 300 Millionen Euro in der Konzernkasse.

Dazu hat Tui in der Coronakrise besonders optimistisch agiert und früh das Geschäft hochgefahren. „Sie wollte durch ein möglichst großes Angebot nicht nur ein Aufbruchssignal für die Branche und ihre Geschäftspartner in den Urlaubsregionen geben“, so ein Konzernkenner. „Tui wollte auch ihren Investoren zeigen, dass sie als cleverer Konzern den Markt besser einschätzen und bedienen kann, als der Rest der Branche mit den aus Tui-Sicht vergleichsweise vorsichtigen Mittelständlern.“

Um Tui eine sanfte Landung aus der Coronakrise zu ermöglichen, hat der deutsche Staat mehr als eine Milliarde freigemacht, um den Reisekonzern abzusichern. Nun darf das Geld auch fließen, denn die EU-Kommission stimmte dem Vorhaben am Dienstagabend zu. Zugelassen sind deutsche Staatshilfen bis zu 1,25 Milliarden Euro für von der Coronakrise getroffenen Konzern, teilte die EU-Kommission in Brüssel mit.

Tui: Diese Fehler rächen sich in der Krise

Doch so sehr die Coronakrise auch das katastrophale Tui-Ergebnis prägen. „Sie ist nur der wichtigste, aber nicht der einzige Grund für die Probleme der Tui“, sagt Torsten Kirstges, Touristikprofessor an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven. Dass Tui mehr leidet als andere Touristikunternehmen, rührt auch aus dem Geschäftsmodell und nur unzureichend behobenen Fehlern der Vergangenheit.

Die wohl größte Schwäche der Tui ist derzeit ihre breite Aufstellung. Während sich andere Urlaubsmacher wie Alltours oder das Touristikgeschäft des Handelskonzerns Rewe mehr oder weniger komplett auf die Vermittlung von Ferienreisen beschränken, bietet Tui die ganze Wertschöpfungskette. Zum Konzern gehören der Vertrieb in Form von Reisebüros, Urlaubsinhalte von der Fluglinie über Hotels bis zu Kreuzfahrtfahrtschiffen und auch die in der Branche Zielgebietsagenturen genannten Reiseleiter samt Bussen am Urlaubsort.

In normalen Zeiten ist das ein Vorteil, weil das Unternehmen an allen Stufen des Geschäfts verdient und so seinen Kunden leichter eine hohe Qualität garantieren kann. Darum stammten im Vorkrisenjahr 2019 rund 85 Prozent des operativen Gewinns aus Hotels und Schiffen, wogegen die Pauschalreisen nur 15 Prozent des Ergebnisses lieferten.

Doch in der Krise lief es genau anders rum. Nun stammt der weit überwiegende Teil der Verluste aus den früheren Renditebringern. Denn anders als beim reinen Schnüren der Ferienpakete laufen besonders bei Hotels und Schiffen die Kosten weiter, allen voran Kapitalkosten und Abschreibungen, aber auch Teile der Personalkosten in Ländern, in denen eine Kurzarbeiterregelung fehlt.

Ein weiteres Problem der Tui sind die Lasten der Vergangenheit. Das beginnt bei der Größe und der Ausrichtung der einzelnen Unternehmensteile. So gilt die Tuifly genannte Fluglinie als vergleichsweise groß. Ihre Flottengröße ist an einem Mittelwert des ganzjährigen Bedarfs ausgerichtet. Besser wäre es, nur so viele Flugzeuge zu haben, wie der Konzern das ganze Jahr beschäftigen kann – und dann in Spitzen etwas dazu zu mieten, sagen Kenner des Flugmarktes.

Zudem gilt die Verwaltung als vergleichsweise groß. Denn Tui leistet sich nicht nur Hauptstellen in Deutschland und Großbritannien. Besonders am Hauptsitz gilt die Administration als recht üppig, weil die auf zwei Seiten der Karl-Wichert-Allee beheimateten Führung von Konzern und Tui Deutschland eher zögernd integriert wurden. Ebenso ungeklärt ist die Frage, ob nun die Veranstalter oder die Bausteine Flug und Hotel bestimmen, wie das Reiseprogramm konkret aussieht.

Diese Probleme ist Joussen eher zögerlich angegangen. „Statt mal organisatorisch richtig die Ecken auszufegen, hat Fritz den Krach mit dem Betriebsrat gescheut“, so ein Ex-Manager über seinen früheren Konzernchef. Stattdessen hat die Tui-Spitze lieber auf Digitalisierung und Wachstum gesetzt. „Das lag Fritz als ehemaligem Manager der Telekom-Branche auch näher, als in die Tiefen des Reisebürovertriebs mit seinen Empfindlichkeiten einzutauchen“, so ein Insider.

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Das rächt sich in der Krise. Die deutlich komplexere Arbeitsweise sorgt nicht nur für höhere Kosten. „Dass in die Führung vermehrt Ex-Vodafone-Leute statt Touristiker sitzen, hat zu stellenweise unglücklichen Reaktionen auf die Krise geführt“, so ein Unternehmenskenner. Das gilt offenbar vor allem für den Umgang mit den Reisebüros, die immer noch für den größten Umsatz im Reisemarkt sorgen. Der Fokus auf den Digitalvertrieb habe nicht wenige so verärgert, dass sie ihre Kundschaft nun in der Krise vermehrt auf andere Anbieter lenken wollen, heißt es.

Darum wird auch das laufende Geschäftsjahr aus Sicht vieler Beobachter für Tui nicht viel besser als das aktuelle. Zwar dürfte der Verlust sinken, wenn ab dem Frühjahr mehr Menschen geimpft sind und darum viele Länder die Reisebeschränkungen lockern. Ob das Geschäft wirklich, wie von Joussen versprochen, wieder auf 70 bis 80 Prozent des Rekordjahres 2019 kommt, bezweifeln Beobachter.

Selbst wenn das so käme, wäre das Ergebnis deutlich unter dem von 2019. Denn nun wird das ungewöhnliche Geschäftsjahr anders als in diesem Jahr vom Vor- zum Nachteil. „Wenn das Geschäft ab Ostern wieder anzieht, hat Tui in der Bilanz eben bestenfalls sechs Monate Erholung, aber auch sechs Monate Lücke durch den Lockdown“, so ein Manager eines Wettbewerbers.

Mehr zum Thema: Die 700 Millionen Euro schwere Beteiligung des Bundes am angeschlagenen Reisekonzern Tui wirkt unverständlich. Doch ist sie in der gegenwärtigen Lage unvermeidlich – und dürfte sich am Ende für den Staat auszahlen.

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