




Über Beschäftigten, die Kollegen in einem Arbeitskampf in den Rücken zu fallen, hatte die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit bislang eine ähnliche Meinung wie der Abenteuer-Schriftsteller Jack London. „Ein Streikbrecher ist ein Verräter an seinem Gott, seinem Land, seiner Familie und seiner Klasse!!“, hatte der Autor von „Der Seewolf“ und „Lockruf des Goldes“ einst geschrieben.
Doch am Donnerstag zur Mittagessens-Zeit versprach der in der Branche VC genannte Verbund eine Art Streikbruch. Ab sofort wollten seine Mitglieder mit Überstunden die Folgen mildern durch die streikähnlichen Flugausfälle bei der im Auftrag von Air Berlin fliegenden Tuifly.
Aus gutem Grund: Denn das fliegende Personal der TUI-Tochter testet die Solidarität ihrer Kollegen – besonderes die in der Flugzeugkanzel.
Zwar verstehen viele den Ärger der Tuifly-Kollegen darüber, dass sie quasi ohne Vorwarnung in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Air Berlin und deren Hauptaktionär Etihad aus Abu Dhabi landen sollen. Doch das rabiate Vorgehen zu Beginn der Herbstferien geht fast allen gegen den Strich.
Ein weiterer Buchungsrückgang träfe Air Berlin hart
Zum einen erinnern die im Branchenjargon „Sick out“ genannten gruppenweisen Krankmeldungen in letzter Sekunde an unangekündigte wilde Streiks. Organisiert haben das die bis zu an den Steiks beteiligten 500 Crew-Mitglieder nach Informationen der Fachzweitschrift FVW über die sozialen Netzwerke Facebook und WhatsApp. Von solchen mehr oder weniger illegalen Aktionen lassen die deutschen Gewerkschaften traditionell die Finger, weil das meist auf Jahre hinaus das Verhältnis zwischen Unternehmen und Belegschaft vergiftet.
Dazu verunsichern die vielen Flugausfälle bei der am Arbeitskampf eigentlich nicht beteiligten Air Berlin die durch den angekündigten Konzernumbau verschreckten Kunden der Linie noch weiter. Das gefährdet den bereits wackeligen Umbau der Berliner inklusive der Rettung mehrerer Tausend Arbeitsplätze bei der zutiefst angeschlagenen Fluglinie. Denn der angeschlagenen Fluggesellschaft könnte ein weiterer Buchungsrückgang endgültig den Garaus machen.
Fluggastrechte - Der Weg zur Entschädigung
Ein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn der Kunde aufgrund von Überbuchung oder eines gestrichenen Fluges seine Reise nicht antreten kann oder das Reiseziel mit mindestens dreistündiger Verspätung erreicht. In diesen Fällen gilt laut EG-Fluggastverordnung die Entschädigungspauschale von 250 bis zu 600 Euro. Ab Ende des Jahres, in dem der Flug angetreten wurde, haben Passagiere drei Jahre zeit, ihren Anspruch geltend zu machen.
Quelle: Verbraucherzentrale / Stiftung Warentest
Wer sich dazu entschließt, eine Beschwerde bei der Fluggesellschaft einzureichen, hat drei Möglichkeiten: diese selbst einreichen, den Fall an einen Anwalt übergeben oder auf Dienstleister und Schlichtungsstellen zurückzugreifen, die dabei helfen, Entschädigungen zu erwirken. Stiftung Warentest rät, sich im ersten Schritt an die Airline selbst zu wenden. Ist diese nicht kooperativ, können im zweiten Schritt Schlichter, Anwälte oder Inkassodienste zu Rate gezogen werden.
Dei Verbraucherzetralen helfen Fluggästen mit einer kostenlosen Ersteinschätzung. Die zuständige Zentrale finden Sie unter www.verbraucherzentrale.de/home
Seit dem 1. November 2013 können sich Passagiere außergerichtlich an die private Schlichtungsstelle für den öffentlichen Nahverkehr (SÖP) wenden, wenn deren Rechte von den Fluglinien ignoriert werden. Die Inanspruchnahme der SÖP ist kostenfrei, aber auch unverbindlich.
Viele Fluggäste sind nicht gewillt, den Streit auf eigene Faust anzugehen und übergeben den Fall an einen Anwalt. Die Anwalts- und Gerichtskosten werden für Passagiere mit Rechtsschutz von der Versicherung getragen. In vielen Fällen ist allerdings ein Selbstbehalt von 150 Euro festgelegt. Ohne entsprechenden Rechtsschutz und im Falle einer gerichtlichen Niederlage muss ein Großteil der Kosten für das Verfahren vom Fluggast selbst übernommen werden.
Firmen wie EUclaim, Flightright, Fairplane und refund.me bieten Fluggästen die Möglichkeit, sie bei Entschädigungsforderungen zu unterstützen. Sie erheben - anders als Anwälte - keine Kosten, wenn die Klage erfolglos bleibt. Im Erfolgsfall erhalten sie eine Provision.
Quelle: Stiftung Warentest
„Ich kann meine Mitarbeiter erstmal nicht mehr Air Berlin fliegen lassen“, spricht der Chef eines norddeutschen Hightech-Unternehmens vielen Managern aus der Seele.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Und was Leute wie ihn am meisten ärgert: „Das alles geschieht aus purem Eigennutz“, so ein Pilot der Air Berlin. Nicht nur, dass von einem Job-Abbau im neuen Verbund Air Berlin//Etihad/Tuifly noch keine Rede ist. Im Vergleich zu Air Berlin und erst Recht zum Lufthansa-Billigableger Eurowings gehören besonders die Tuifly-Flugzeugführer zu den Privilegierten der Branche. „Die haben nach der Lufthansa die besten Gehälter, weil sie anders als Leute bei anderen Airlines trotz anhaltend roter Zahlen noch keine ernsthafte Sanierung mit größeren Abstrichen durch machen mussten“, so ein Kenner des Tui-Fluggeschäfts.
Leisten konnte sich das der Tui-Konzern nicht zuletzt dank Air Berlin, wenn auch unfreiwillig. Aus Geldmangel nahm die Berliner Linie vor Jahren der Tui weite Teile des einst als HLX betriebenen Billiggeschäfts ab. Air Berlin bekam damals eine ordentliche Überweisung der Tui. Doch seitdem muss sie überhöhte Leasingraten für die 14 Maschinen mit Besatzung zahlen. „Mit uns verdient die Tui jedes Jahr bis zu 15 Millionen Euro“, sagt ein Air-Berlin-Insider.
Wann das am Ende dazu führt, dass die verdächtigen Krankmeldungen der Tui-Besatzungen nachlassen, bleibt abzuwarten. „Doch nicht zuletzt die kritische Stimmung der Kollegen aus der Branche und deren aktive Hilfe für Air Berlin sollte bald die Gesundung fördern“, so ein Pilot.