WirtschaftsWoche: Herr Kotil, Ihr Unternehmen hat zehn Jahre lang stark zugelegt. Nun sank der Umsatz im ersten Quartal, die Rendite fällt, und mit der Rezession in der Türkei lahmt ihr wichtigster Wachstumstreiber. Ist die Party vorbei?
Kotil: Nein, sie fängt erst richtig an. Wir werden bis 2023 auf die doppelte Größe wachsen mit dann 120 Millionen Passagieren und 25 Milliarden Dollar Umsatz.
Die aktuellen Zahlen vermitteln einen anderen Eindruck.
Das täuscht. Der Umsatzrückgang im ersten Quartal in unserer internationalen Bilanz in Dollar rührt vor allem aus der stärkeren US-Währung, was unsere Einnahmen in türkischer Lira kleiner wirken lässt. Die Schwäche der türkischen Wirtschaft spüren wir und werden 2015 bei der Passagierzahl statt 18 Prozent im vorigen Jahr (blättert in einer Präsentation) nur gut 15 Prozent wachsen (lacht). Aber im Ernst: Im zweiten Quartal liegt unser Umsatz wieder über Vorjahresniveau, so dass wir am Jahresende wohl zehn Prozent Wachstum und eine Rendite vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen von 18 Prozent schaffen. Mit solchen Werten können wir praktisch unendlich lange zweistellig zulegen und neue Flugzeuge finanzieren.
Zur Person
Kotil, 55, leitet seit 2005 Turkish Airlines. Der in den USA promovierte Maschinenbauingenieur war Professor der TU Istanbul und wurde 2003 Chef des Turkish-Wartungsgeschäfts.
Wann erreichen Sie Ihr altes Ziel, die größte Fluglinie in Europa zu werden?
Die größte europäische Linie zu werden ist bei unserem Wachstum ja fast unvermeidlich (lacht). Und in gewisser Hinsicht sind wir das sogar schon. Wir fliegen fast 230 Flughäfen außerhalb unseres Heimatlandes an, mehr als jede andere Fluglinie. Dazu verbinden wir über unsere Drehkreuz Istanbul (blättert) mehr als 25.000 Städte. Doch am Ende ist es nicht wichtig, wie groß wir sind. Wir wollen die türkische Wirtschaft fördern durch das stärkste Drehkreuz der Welt und dabei über Jahrzehnte gesund wachsen, so wie die Mammutbäume in den USA.
Dabei drohen Sie gelegentlich zu stolpern. Sie hatten jüngst mehrere Sicherheitsprobleme, vor allem mit gefährlichen Starts und Landungen. Sind Sie zu schnell gewachsen?
Nein. Wenn wir das geringste Anzeichen für ein Problem sehen, schauen wir, was wir besser machen können, egal was es kostet.
Die Erfolgsfaktoren von Turkish Airlines
In den vergangenen zehn Jahren war Turkish Airlines die am schnellsten wachsende Fluglinie Europas außerhalb des Billigflugsektorts. Wächst die Airline weiter so schnell ist die Linie binnen einer Dekade so groß wie der Lufthansa-Konzern, der seinen aktuellen Vorsprung nur durch Zukäufe wie Swiss oder Austrian Airlines gehalten hat. Dabei werden die Türken allen - sogar Emirates - Marktanteile abnehmen, besonders bei lukrativen Geschäftsreisenden und in der First und Businessclass zwischen Europa und Asien. Dafür sorgt ein Geschäftsmodell, das allen Wettbewerbern zumindest in Teilen überlegen ist. "Turkish vereint die Vorteile europäischer Linien wie Effizienz mit denen der Golf-Airlines wie gutem Service und der Nähe zu Wachstumsmärkten wie Indien", urteilt Christoph Brützel, Professor für Luftverkehrsmanagement an der Fachhochschule Bad Honnef und selbstständiger Berater. Dazu packt die an der Istanbuler Börse notierte Linie ein paar eigene Stärken drauf.
Die 1933 gegründete Linie vereinte noch zur Jahrtausendwende alle Laster einer Staatslinie: kaum Wachstum, hohe Verluste sowie ein unberechenbarer Service an Bord und Boden. Bei Vielfliegern stand die offizielle Abkürzung THY für "They hate you" (Englisch für: Die hassen euch). Auch als Temil Kotil Chef wurde, blieb das Bild, er stammte aus dem rückständigen Nordosten des Landes und ließ sich zu Beginn seiner Amtszeit als Mekkapilger fotografieren, ein in der säkularen Türkei unübliches Bekenntnis zum Glauben.
Um die Beamtenmentalität zu brechen spielte Temil Kotil als neuer Chef die nationale Karte. "Die Modernisierung des Unternehmens war ein Mittel, die Türkei größer zu machen", erzählt der Insider. "Und so einer nationalen Aufgabe kann sich doch kein patriotischer Staatsdiener widersetzen." Wer trotzdem nicht mitzog, fiel am Ende kaum auf unter den Motivierten und Neulingen, die Turkish wegen des kräftigen Wachstums einstellte.
Einen Passagier einen Kilometer weit zu fliegen, kostet Turkish halb so viel wie die Lufthansa. Dafür sorgen niedrigere Löhne sowie politische Hilfen wie niedrige Landegebühren oder rund um die Uhr geöffnete an den Flughäfen sowie schlanke Strukturen, dank denen auf einen Mitarbeiter im Durchschnitt rund ein Drittel mehr Passagiere kommen als bei Lufthansa. "Wir fliegen günstiger als Billigflieger wie Easyjet", sagt Kotil.
Der Service ist laut Skytrax, dem wichtigsten Marktforscher der Flugbranche, der beste in Europa und sogar besser als der von Emirates - aber relativ preiswert. Der Sitzkomfort ist kaum anders als bei der Konkurrenz. Doch beim Essen punktet Turkish mit vier Gängen und der Wahl zwischen drei warmen Hauptgerichten in der Businessclass auf den gut zwei Stunden Flug zwischen Deutschland und Istanbul. Der Unterschied zwischen einem Glas Wasser und einer echten Mahlzeit liegt bei weniger als drei Euro pro Passagier, sagt Kotil.
Wo Emirates Personal aus aller Welt mühsam auf eine gemeinsame Kultur schult, beschäftigt Turkish Leute aus den türkischen Gemeinden in aller Welt. Das vermittelt Gästen aus den Zielländern ebenso Heimatgefühl wie Kunden aus der Türkei. Dazu hat Turkish dank der vielen türkischen Gemeinden überall potenzielle Kunden, die Freunde und Verwandte bisher nur auf Umwegen besuchen konnten und für den schnellen Weg via Istanbul einen Aufpreis zahlen. Damit braucht es oft nur eine Handvoll Geschäftsreisender pro Tag, die nach Istanbul oder zu einem der anderen Ziele wollen.
Dazu hilft die lange Zeit kräftig boomende Wirtschaft des Landes. Dank der zentralen Lage hat das Land starke enge Verbindungen in seine die Nachbarländer. Das rührt auch daher, dass Staatschef Erdogan das Land mangels Hoffnung auf eine baldige EU-Mitgliedschaft zunehmend als Mittler zwischen Ost und West aufbaut. Je mehr die Wirtschaft im Land und in der Nachbarschaft wächst, umso mehr wächst auch Turkish.
In Istanbuls einfacheren Geschäftsreisehotels logieren Manager aus Staaten wie der Ukraine oder Pakistan. Sie wollen Geschäfte mit dem Westen machen. Doch weil sie keine Chance auf eine für Geschäftsabschlüsse oft unerlässliche kurzfristige Einreise in die USA oder Deutschland haben, machen sie die Deals in Istanbul mit in der Regel türkischen Partnern. Weil viele von Ihnen eine zweite Staatsbürgerschaft oder zumindest ein Dauervisum im Westen haben, können sie frei reisen und die Geschäfte im Westen abschließen.
Turkish erreicht mehr Kunden als besonders seine Wettbewerber vom persischen Golf mit weniger Kosten und Risiko. Die Linie aus Istanbul kann Europa und weite Teile Asiens mit 150-sitzigen Maschinen verbinden, was in den Flotten von Lufthansa oder Emirates nur Langstreckenflieger mit 250 Plätzen und mehr schaffen. Das erlaubt Flüge in kleinere Städte mit knapp 80 Kunden pro Tag, wo die anderen erst bei mehr als der doppelten Kundenzahl wirtschaftlich fliegen.
Bislang stammt fast 90 Prozent ihres Umsatzes aus dem Passagiergeschäft und nur zehn Prozent aus Bereichen wie Fracht oder Wartung. Wollen Sie das ändern?
Ja. Beim starken Wachstum unseres Passagiergeschäfts wächst ja vor allem das Wartungsgeschäft automatisch. Doch wir wollen im nächsten Jahrzehnt in beiden Feldern dort ebenso wichtige Anbieter sein werden wie im Passagierverkehr. Aber wir können uns auch vorstellen mit anderen zusammen zu arbeiten, vorausgesetzt das Unternehmen ist gesund und bekommt keine Subventionen.
Wie viel Wachstum kosten Sie die Fluglinien vom Golf wie Emirates oder Etihad? Die haben eine ähnliche Strategie und dank staatlicher Hilfen deutlich tiefere Taschen als Sie.
Unsere arabischen Freunde können uns weder aufhalten noch bremsen, nur vorübergehend etwas stören.