Um pünktlicher zu werden Deutsche Bahn spielt Fahrgäste gegeneinander aus

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Projekt ist unter Fahrgästen umstritten

Doch das Projekt macht aus einer verspäteten ICE-Fahrt Profiteure und Verlierer gleichzeitig – und ist daher unter Fahrgästen umstritten. Die Bahn nennt ein Beispiel: Ein Zug auf seiner Fahrt von Berlin nach Düsseldorf kommt verspätet in Duisburg an. Dadurch könne die pünktliche Rückfahrt nach Berlin nicht gewährleistet werden. „Hier greift die Maßnahme des 'Vorzeitigen Wendens'“, schreibt die Bahn auf WirtschaftsWoche-Anfrage. Der Zug endet in Duisburg und kann von dort pünktlich eine Fahrt in die Gegenrichtung antreten. „Circa 80 Fahrgäste haben von Duisburg gute Alternativen zur Weiterfahrt nach Düsseldorf. Im Gegenzug haben mehr als 500 Reisende einen pünktlichen Zug aus NRW in Richtung Berlin“, antwortet das Unternehmen „So werden in Summe die Verspätungen für eine Vielzahl an Fahrgästen vermieden und der Zugverkehr insgesamt deutlich stabilisiert.“

Statistisch gesehen kommt die vorzeitige Wende laut Bahn im Schnitt auf der Strecke Berlin – Düsseldorf – Berlin „1,5 Mal pro Woche“ vor. Doch noch spricht das Unternehmen von Pilotphasen in „einem frühen Stadium“. Die Deutsche Bahn sieht „in dem Programm einen zentralen Baustein, um den Qualitätsansprüchen unserer Fahrgäste bei gleichzeitig steigender Fahrgastnachfrage zu begegnen – gerade im Bereich von hoch ausgelasteten Strecken.“ Der P-Turn auf der Schiene könnte bald viel mehr Reisende betreffen. Der Echtbetrieb stehe erst noch bevor.

Pendler und Vielfahrer, die die gesamte Strecke fahren, leiden besonders. Nicht nur, dass Reisende von Berlin nach Düsseldorf etwa in Dortmund, Essen oder Duisburg in einen Nahverkehrszug umsteigen müssen, um an ihr Ziel zu kommen. Sie müssen möglicherweise auch beim geplanten Start ab Düsseldorf zu einem anderen Bahnhof fahren, weil der Zug auf seiner vorherigen Fahrt eben gar nicht bis nach Düsseldorf gekommen ist.

Die Bahn hat ihre Kunden im Oktober wieder häufiger warten lassen. Trotz eines dringenden internen Appells des Chefs bleiben die Pünktlichkeitswerte im Keller. Das Unternehmen nennt einen Grund.

Die Frage ist auch: Wann informiert die Bahn eigentlich über ausgefallene Halte etwa auf bahn.de oder in der App DB Navigator? Man wolle die Fahrgäste „rechtzeitig, jedoch mindestens drei Stunden im Vorlauf, über Auswirkungen informieren“, heißt es offiziell bei der Bahn. Doch das würde bedeuten, dass die Bahn ihre Fahrgäste, die ab Düsseldorf oder Duisburg Richtung Berlin aufbrechen wollten, informieren müsste, wenn der Zug auf dem Hinweg ins Ruhrgebiet noch nicht einmal Hannover erreicht hat. Theoretisch möglich, praktisch unwahrscheinlich.
Ein Blick auf den DB Navigator zeigt bei zahlreichen Verbindungen ab Düsseldorf nach Berlin bis eine Stunde vor Abfahrt (und noch kurzfristiger) jedenfalls pünktliche Abfahrtszeiten. Die Information, dass ein „Halt entfällt“, lief in der Vergangenheit dann oft viel später ein. Ob es sich dabei um die Folge der Pofalla-Wende handelt, bleibt unklar. Beim Twitter-Team der Deutschen Bahn @DB_Bahn, das oft gut informiert ist, reagiert man bei entfallenen Halten oft ahnungslos.

In die Pünktlichkeitsstatistik fließen gestrichene Verbindungen übrigens nicht ein. Dabei gab es laut Fahrgastrechte-Plattform Refundrebel aus Heidelberg in den vergangenen drei Monaten etliche davon. Im Zeitraum von 10. Juli bis Ende September seien allein in Duisburg und Düsseldorf jeweils rund fünf Prozent der ICE-und Intercity-Züge gestrichen worden.

Schwacher Trost für Reisende mit gestrichenen Halten: Wenn Bahn-Vorstand Pofalla in seine Heimat Kleve in Nordrhein-Westfalen fährt, könnte es auch ihn treffen. Die schnellste Verbindung ab Berlin führt über Duisburg oder Düsseldorf.

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