Unwürdiges Geschacher Die Abgründe des Taxi-Gewerbes

Die neuen Taxi-Konkurrenten wie Uber und MyTaxi attackieren eine Branche, in der Schwarzmarktgeschäfte, Strohmänner und Lohndumping zum Alltag gehören. Dagegen hilft eine kontrollierte Liberalisierung.

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Christian Brüggemann Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Christian Brüggmann ist die gute Seele des Hamburger Taxigewerbes. Seit Jahren befördert der gelernte Bankkaufmann Fahrgäste in seinem beigefarbenen Mercedes und bewahrt Kollegen vor Dummheiten. Letztens wollte ein Bekannter, der bald 50 Jahre alt wird, einem Taxiunternehmer dessen Anteil an einer Hamburger Funkzentrale abkaufen, einer Genossenschaft. Damit hätte er von der Leitstelle Fahrgäste im gesamten Stadtgebiet zugewiesen bekommen.

Doch die Sache hatte einen Haken. Für den Anteil an der Funkzentrale wollte sein Besitzer sagenhafte 50.000 Euro. Und das, obwohl Lizenzen für Taxis in der Hansestadt unbegrenzt erhältlich sind und bei der Senatsverwaltung nur 300 Euro kosten.

In diesen Großstädten ist Taxifahren am teuersten

Kümmerer Brüggmann blieb nur, dem Bekannten abzuraten, ein so hohes Eintrittsgeld zu bezahlen, um an Fahrgäste zu kommen. Das sei eine „hochriskante Investition“. Um einen solchen Betrag von den Einnahmen abzweigen zu können, brauche ein einzelner Taxifahrer 20 bis 30 Jahre. Daraufhin gab der Bekannte den Wunsch auf. Denn als „Graupe“ wollte er sich nicht verdingen, wie in der Branche die armen Hunde heißen, die ohne Funk, auf gut Glück oder durch langes Warten am Halteplatz Fahrgäste ergattern müssen.

Grauer Taxi-Markt in Hamburg

Graumarkt nennen Ökonomen gemeinhin solche Gepflogenheiten, die ein Gut indirekt künstlich verknappen, dadurch dessen Preis nach oben treiben und so Marktteilnehmer vom Geschäft ausschließen. Und genau solch einen Graumarkt haben sich die alteingesessenen Taxiunternehmer in Hamburg geschaffen.

Wer in der Hansestadt etwa Mitglied bei der Funkgenossenschaft Hansa-Taxi werden will, die als Marktführer Beförderungsaufträge in Höhe von 70 Millionen Euro pro Jahr vermittelt, ein Drittel des Taxiumsatzes der Stadt, der hat nur eine Chance: Er muss einem der 430 Hansa-Taxiunternehmer dessen Anteil abkaufen. Eigentlich kostet der nominal nur ein paar Tausend Euro. Weil Hansa jedoch niemanden mehr zusätzlich aufnimmt, bewegt sich der Anteilspreis faktisch im dicken fünfstelligen Bereich – es lebe die geschlossene Gesellschaft.

Taxipreise weltweit

Der Hamburger Graumarkt ist nur einer von vielen Abgründen im deutschen Taxigewerbe. Was in der Hansestadt die Abwehr zusätzlicher Genossen, ist anderswo der Strohmann, der sich die Erlaubnis zur Beförderung per Droschke erschleicht, Lohndumping hinterm Steuer oder der Schwarzhandel mit Lizenzen, die es eigentlich für lau gibt, in Wirklichkeit aber zum Luxusgut und somit zum Eintrittsverbot für neue Wettbewerber pervertiert sind.

Angreifer Uber und Wundercar

Hielt das Gewerbe derlei bisher meist unter der Decke, zerren nun Angreifer wie Uber aus den USA oder Wundercar aus Hamburg die dunklen Praktiken ans Tageslicht. Seitdem die neue Konkurrenz auf dem Markt ist, werden die Stimmen lauter, die das verquaste Gewerbe liberalisieren wollen.

Vorschläge etwa der Monopolkommission liegen auf dem Tisch. Von einer kontrollierten Deregulierung, wie das Beratergremium der Bundesregierung sie empfiehlt, würden neue Anbieter, Kunden und Taxifahrer profitieren, sofern sie die Chancen der neuen Freiheit nutzen.

Einnahmen des deutschen Taxigewerbes, Betriebsgröße im deutschen Taxigewerbe, Wie viele Kunden ihre Fahrten mit

Grundlage für das unwürdige Geschacher im deutschen Taxigewerbe ist das Personenbeförderungsgesetz von 1961, das allen voran Uber auszuhebeln versucht, indem das Unternehmen nicht als Taxibetrieb auftritt, sondern nur als Vermittler, der sich dafür von den angeschlossenen Autofahrern bezahlen lässt. Auf diese Weise ignoriert Uber praktisch alle gültigen Regeln.

Taxiaristokraten

Die sollen eigentlich den Verbraucher schützen. So setzen die Kommunen in ihrem Einzugsgebiet einheitliche Tarife fest und schaffen so Markttransparenz. Sie verlangen Nachtfahrten, damit jedermann auch spät nach Hause kommt. Fahrer müssen einen sogenannten Personenbeförderungsschein vorweisen, der ihnen etwa Fahrtüchtigkeit bescheinigt. Und kein Taxifahrer darf die Beförderung eines Kunden ablehnen, so nah das Ziel und damit so unattraktiv für ihn die Fahrt auch sein mag.

Doch wie immer, wenn auf diese Weise gleichzeitig auch der Wettbewerb beschränkt wird, bleibt der Service hinter dem Möglichen, werden Vorschriften mit der Zeit umgangen, sind Preise und Gewinne nicht selten höher als bei der Konkurrenz, bringt es so manch alteingesessener Anbieter mithilfe der Paragrafen und anderer Tricks zum Taxiaristokraten.

In diesen Städten fahren die besten Taxis
BerlinFehlende Hinweise auf die Fahrtarife, schlecht ausgefüllte Quittungen und zu lange Fahrtstrecken sind die größten Mängel, die der ADAC beim Taxi-Vergleich in acht deutschen Großstädten festgestellt hat. In der deutschen Taxilandschaft gibt es mehr als 800 Tarife, die von Stadt zu Stadt unterschiedlich und für Verbraucher nur schwer zu durchschauen sind. So variierte der Fahrpreis beim ADAC-Test für eine sieben Kilometer lange Fahrt inklusive fünf Minuten Wartezeit und ein Gepäckstück von 16,10 Euro in Dresden bis zu 19,90 Euro in Hamburg. Berlin schloss bei drei der fünf Fahrten „gut“ und bei zweien „ausreichend“ ab – ein „befriedigend“ analog zum Schulnotensystem gab es allerdings nicht. Quelle: dpa
DresdenAlle Testrouten wurden im März und April von zwei verschiedenen Testern unter der Woche zweimal nachts und zweimal tagsüber befahren. Start- und Zielpunkte waren dabei stets identisch. Die Tester waren mit Trolley und Business-Kleidung unterwegs, um den Eindruck eines ortsfremden Geschäftsreisenden zu erwecken. Mit einem mitgeführten GPS-Gerät zeichneten sie die jeweils gefahrenen Strecken auf, die im Nachhinein mit den von den Taxizentralen eingeholten Idealstrecken abgeglichen wurden. Dresden kann in diesem Punkt als Vorbild gelten, bei der Routentreue gab es bei allen Fahrten ein „sehr gut“. Zum Teil kräftige Abzüge gab es allerdings teilweise bei Fahrer und Fahrzeug. In vier Fällen reicht es in der Endabrechnung noch für ein „gut“, ein einem aber nur ein „mangelhaft“. Quelle: dpa
Frankfurt am MainIn jeder Stadt waren die ADAC-Tester auf fünf typischen und vergleichbaren Routen unterwegs: Flughafen – Hauptbahnhof, Hauptbahnhof – Hotel (1 bis 2 Kilometer), Zentrum – Stadtrand (3 bis 5 Kilometer), Stadtrand – Sehenswürdigkeit im Zentrum (5 bis 7 Kilometer) und Oper – Restaurant (3 bis 5 Kilometer). Jede der genau definierten Teststrecken wurde von zwei verschiedenen Testern unter der Woche jeweils einmal tagsüber zwischen 6 und 22 Uhr außerhalb der Hauptverkehrszeit (7.30 bis 9 Uhr, 16.30 bis 19 Uhr) und einmal nachts zwischen 22 und 6 Uhr getestet. Start- und Zielpunkt waren dabei immer identisch. Jede der fünf Routen in jeder der acht Städte wurde also vier Mal befahren – macht 160 Einzelfahrten.  In Frankfurt war das Bild sehr geteilt: Zwei Fahrten (Innenstadt – Bornheim und Flughafen – Hauptbahnhof) bekamen sein „sehr gut“, zwei Fahrten fielen mit „sehr mangelhaft“ komplett durch. Auf den Strecken vom Hauptbahnhof zu einem Hotel und von der Alten Oper zu einem Restaurant bekamen sowohl die Fahrer als auch die Routentreue die schlechtmöglichste Note. Die Routentreue fließt zu 50 Prozent in die Bewertung ein, der Fahrer zu 30 und das Fahrzeug zu 20 Prozent. Auszüge aus den Testnotizen: „Unpassend gekleidet und leicht angegammelt fährt er den ADAC-Tester in Frankfurt am Main von der Alten Oper zum Restaurant Carmelo Greco. Die eigentlich rund drei Kilometer lange Strecke dehnt er auf mehr als fünf Kilometer aus und macht damit einen Umweg von satten 73 Prozent. Kein Wunder: er kennt das Fahrziel nicht. Dennoch fährt er los – und hantiert während der Fahrt am Navi. Dabei überfährt er prompt eine rote Ampel.“ Quelle: dpa
HamburgIn Hamburg bekamen alle Fahrtstrecken bei der Routentreue eine „sehr gute“ Bewertung. Insgesamt reicht es aber nur zu „guten“ oder „ausreichenden“ Gesamtnoten. Auch die Fahrzeuge waren größtenteils in Ordnung. Abzüge gab es allerdings, weil sich Fahrer auf der 1,6 Kilometer langen Strecke vom Hauptbahnhof zum Hotel „Alte Wache“ weigerten, die Fahrt anzunehmen: „Die kurze Strecke lohnt sich nicht.“ Auch bei anderen Fahrten war die Kommunikation mangels ausreichender Deutschkenntnisse schwierig oder es lag – nicht wie vorgeschrieben – die Betriebserlaubnis des Taxifahrers aus. Quelle: dpa
HannoverDie vier Kilometer lange Strecke von der Staatsoper zum Restaurant „Die Insel“ bringt Hannover die beste aller Bewertungen ein: Fahrer „ausreichend“, Fahrzeug und Routentreue jeweils „sehr gut“. Besser schneidet keine andere Stecke ab. Zu der erwähnten „sehr guten“ Fahrt kommen drei „gute“ und eine „ausreichende“ Strecke – ergibt das beste Resultat aller bis jetzt aufgeführten Städte. Quelle: dpa
KölnIn Köln lässt es sich gut Taxi fahren. Vier Mal „gut“ und ein „ausreichend“ notiert der ADAC für die Domstadt. Der Grund für das „ausreichend“: Wieder weigerte sich ein Fahrer, die Kurzstrecke vom Hauptbahnhof zum Hotel „Savoy“ (1,3 Kilometer) anzunehmen. Quelle: dpa
MünchenDie bayerische Landeshauptstadt ist – neben Dresden – die einzige Stadt, in der ein Fahrer als „gut“ bewertet wurde, und zwar auf der Strecke von der Bayerischen Staatsoper zum Restaurant „Tantris“. Abgesehen von diesen beiden Ausnahmen gab es bundesweit nur die drei schlechtmöglischten Noten für die Fahrer, ein „sehr gut“ fehlt komplett. Allerdings gab es auch in München bei der Kurzstrecke Fahrer, die die Gäste abwiesen, was mit „sehr mangelhaft“ bewertet wurden. Dafür hielten sich die Fahrer, die den Auftrag annahmen, ausnahmslos perfekt an die kürzeste Route. Insgesamt gab es in München drei „gut“ und zwei „ausreichend“. Quelle: dpa

Marktmacht der Vermittlungszentralen

In Hamburg etwa entscheiden die Vermittlungszentralen, die sich dank ihrer Exklusivität eine Marktmacht verschafft haben, über das Wohl und Wehe neuer Taxiunternehmer. So fahren Taxis mit Funk laut einer Studie der Hamburger Unternehmensberatung Linne+Krause knapp 17 Euro Einnahmen pro Stunde herein, die auf sich allein gestellten „Graupen“ dagegen zwölf Euro. Wer einmal Mitglied einer Funkzentrale ist, hat das große Los gezogen.

Das sei „ganz legal“, beschreibt Thomas Krause, Chef von Linne+Krause, die Methode. „Man kauft sich in ein etabliertes Marketingsystem ein“, so der Hamburger Berater, dahinter stecke dann „ein realer Geschäftswert“.

Doch die 17 Euro pro Stunde sind nur ein kleiner Ausschnitt der Realität. Trotz des Personenbeförderungsgesetzes und vorgeschriebener Tarife hat sich im Taxigewerbe ein Schattenreich des Elends und des Unlauteren etabliert, das der Kunde, der sich auf dem bequemen Rücksitz ans Ziel kutschieren lässt, allenfalls erahnt.

Das zeigen Erkenntnisse, zu denen Experte Krause gelangt ist, indem er im Auftrag von Kommunen die wirtschaftliche Situation der Taxibetriebe überprüfte, die per Gesetz zur Herausgabe ihrer Bilanzen verpflichtet sind.

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