Vegetarische Edel-Restaurants Spitzenküche funktioniert auch ohne Fleisch

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Berlin, die Welthauptstadt der Vegetarier

Es dauerte allerdings mehrere Jahre, bis sich sein gewagtes Konzept durchsetzte. 1996 erhielt Leemann den ersehnten Michelin-Stern – und infolgedessen ein internationales Publikum. Heute reisen die Gäste von weit her an, um Gerichte wie „Nabel der Welt“ (Risotto-Variation), „Reise-Notizen“ (Parmesan-Fondue mit Artischocken, Oliven, Milchschaum und Balsamicoessig) oder „Gong“ (ein mehrschichtiges Dessert im Konservenglas) zu verspeisen. „Es war eine lange Durststrecke“, sagt Leemann rückblickend, „aber ich finde es wichtig, das zu tun, was man in sich spürt. Man sollte durchhalten, auch wenn es schwierig ist.“

Dieses Gefühl kennt auch Paul Ivic, Küchenchef im Wiener Restaurant Tian, dem österreichischen Vorläufer der Münchner Filiale. Als er anfing, waren die 40 Plätze mit 30 Frauen besetzt, die alle einen Salat bestellten. Davon könnte er nicht lange leben. Mittlerweile ist nicht nur das Verhältnis von männlichen und weiblichen Gästen ausgewogen. Die meisten sind keine Vegetarier, sondern neugierige Genussmenschen, die vegetarisch essen gehen.

Mit Gerichten wie Kokos-Curry-Suppe mit Voatsiperifery-Pfeffer aus Madagaskar oder Dreierlei Quinoa auf Urkarottenpüree erkochte er einen Michelin-Stern, für seinen Anspruch auf höhere Weihen stehen neben Stuckdecken, Kronleuchtern und privatem Salon auch mehr als 300 Weine.

Hauptstadt der Vegetarier

Schlagartig Erfolg hatten dagegen Andrew Dargue und seine Frau Donna Conroy, als sie 2008 ihr vegetarisches Gourmetrestaurant Vanilla Black in London eröffneten. Sie profitierten von der Weltoffenheit der britischen Hauptstadt: „Londoner sind offen für kulinarische Experimente“, sagt Conroy, „aber sie sind auch kritisch, der Konkurrenzdruck ist hoch.“

Dazu muss man allerdings wissen, dass das Ehepaar sich noch in einer Luxusposition befindet: Sie haben ein Monopol. Kein anderes Restaurant in London serviert Käse-Soufflé mit geräucherter Kartoffel-Krokette, pochiertem Ei und Ananas-Chutney an weiß gedeckten Tischen.

Würstchen, Leberwurst, Schnitzel - Hauptsache kein Fleisch
Currywurst so ganz ohne Fleisch. Und sogar mit derselben Currysauce wie das Original. Meist werden die Ersatzprodukte aus Soja, Tofu oder Seitan hergestellt. Vegetarisch und nicht vegan ist dieses Produkt deswegen, weil Weizeneiweiß, Hühnereiklar und Milchzucker enthalten ist. Vegetarisch muss aber nicht immer gesünder sein: Der Fett- und Kaloriengehalt liegt bei der vegetarischen Currywurst höher, als bei der fleischhaltigen Originalvariante. Schmecken tuts trotzdem. Quelle: Meica
Es gibt nicht nur vegetarische Bratwürstchen, sondern sogar Veggie-Bratwürste mit Käse. Der Umsatz mit Fleischersatzprodukten ist nach Angaben des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dem Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, in den vergangenen vier Jahren um 88 Prozent gestiegen. Quelle: Meica
Man glaubt es kaum, aber ... Quelle: Alberts
.. Auch das ist kein Fleisch. Es ist sogar ein komplett veganes Produkt aus so genannten Lupinen. Als heimische Alternative zu Soja wurden Lupinen vor einigen Jahren groß gefeiert. Die Produkte aus der eiweißreichen Hülsenfrucht halten allerdings nur zögerlich Einzug in den Supermarkt. Quelle: Alberts
Bockwurst mit Kartoffelsalat ist bei den deutschen sehr beliebt. Diese vegane Variante der Bockwurst ist nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Jedenfalls äußerlich. Quelle: meetlyke
Innerlich besteht diese fleischartige Wurst aus Seitan. Ein Produkt aus Weizeneiweiß aus der traditionellen japanischen Küche. Sozusagen eine Imitation von Fleisch durch Gluten. Quelle: meetlyke
Der Klassiker zur Brotzeit darf natürlich nicht fehlen: Die Fleischwurst. Die vegetarische Variante wartet hier allerdings mit deutlich weniger Kalorien auf als die traditionelle Geflügel-Fleischwurst derselben Marke. Die Veggie-Fleischwurst kommt bei 100 Gramm auf 155 Kilokalorien, wohingegen die Geflügel-Variante auf glatte 238 Kilokalorien pro 100 Gramm kommt.

Und in Deutschland? Glaubt man dem New Yorker Gourmetmagazin „Saveur“, dann ist Berlin die Welthauptstadt der Vegetarier. Dort habe Vegetarismus „eine komplette kulinarische Gleichstellung mit der traditionellen fleischhaltigen Ernährung erreicht“, schrieb die Zeitschrift vor einigen Monaten. Die fleischfreie Küche sei „einzigartig und oft brillant“.

Gut genug für 15 Punkte im Gault Millau ist anscheinend das Cookies Cream in Berlin-Mitte. Das loftartige Lokal mit blanker Betondecke, weiß verputzten Backsteinwänden und himbeerroten Bänken ist in einem ehemaligen Kino untergebracht und nur über einen ebenso versteckten wie rustikalen Hinterhof zu erreichen. Aus der Küche kommen Creme vom Harzer Käse mit Brotchip, Apfel und Gurke oder Parmesanknödel mit Périgord-Trüffel, natürlich serviert mit einer ordentlichen Portion Lässigkeit, die nicht nur für Berlin typisch ist – sondern auch für das frische Selbstbewusstsein der vegetarischen Küche.

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