Die Verbraucherzentralen spüren wachsenden Kundenärger über starke Preissprünge bei Inlandsflügen nach der Pleite von Air Berlin. Derzeit sei „eine deutliche Steigerung der Beschwerden über Ticketpreise“ zu verzeichnen, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, der Deutschen Presse-Agentur. Er begrüßte, dass das Bundeskartellamt mit seinen Möglichkeiten, in Unterlagen einzusehen, die Preisgestaltung beim Branchenprimus Lufthansa überprüfe. „Dann erwarten wir natürlich auch, dass notfalls Konsequenzen gezogen und auch Preise zurückerstattet werden.“
Müller sieht die jüngste Entwicklung kritisch - die Lufthansa hatte zuletzt von normalen Marktmechanismen zwischen Angebot und Nachfrage gesprochen. „Wir sehen, dass viele Menschen hier sehr viel mehr zahlen, als das früher der Fall gewesen ist“, sagte er. „Das übertrifft auch bei weitem das Preisniveau, was man vielleicht Air Berlin gegönnt hätte, um nicht in Insolvenz gehen zu müssen.“ Niemand fordere, dass Fliegen sehr günstig sei. „Aber es darf eben auch nicht so sein, dass die Lufthansa hier Monopolgewinne abschöpft.“
Nach dem Aus von Air Berlin fehlen Zehntausende angebotene Plätze. Das Kartellamt hatte Ende November eine Prüfung bei der Lufthansa angekündigt. Der Konzern betont, die Preisstruktur nicht verändert zu haben. Höhere Durchschnittspreise entstünden durch größere Nachfrage.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Müller sagte, es könne nicht sein, dass die Lufthansa und ihre Tochter den deutschen Markt weitgehend unter sich aufteilten. „Auch andere Wettbewerber sollten hier eine Chance bekommen.“ Mit Blick auf ICE-Züge als Alternative für Inlandsreisen sagte er: „Jede Form von Wettbewerb ist einer der besten Freunde des Verbraucherschutzes und damit auch eine Möglichkeit, dass Preise nicht exorbitant steigen.“
Mehr und pünktlichere Bahnverbindungen seien wünschenswert. „Aber das bedeutet ja leider nicht, dass auf allen Strecken es tatsächlich komfortable und vergleichbare Angebote der Deutschen Bahn gibt.“