
Der Milliardenauftrag mit Siemens ist längst eingetütet, doch erst jetzt schälen sich die neuen strategischen Schwerpunkte der Deutschen Bahn heraus: Geschwindigkeit war gestern, Verlässlichkeit ist heute. Die 220 ICE-Züge, die der Konzern aus Berlin bei den Münchnern vergangenes Jahr bestellte, werden höchstens 250 Kilometer pro Stunde erreichen.
„Ein Zug, der in Deutschland 250 fährt, ist schnell genug“, sagt Rüdiger Grube. Es gebe ohnehin nur zwei Strecken von insgesamt 60 Kilometern, auf denen Züge auf 300 Kilometer pro Stunde beschleunigen könnten: zwischen Köln und Frankfurt sowie Nürnberg und Ingolstadt. Die neue Vorgabe habe „enorme Diskussionen“ ausgelöst, so Grube, „insbesondere mit Vertretern der Fernverkehrssparte“. Doch der Bau entsprechender Trassen ist teuer. Zudem sind langsamere Züge billiger bei Anschaffung und Unterhalt.
Der Bahn-Chef bricht so mit der Tradition seines Vorgängers Hartmut Mehdorn. Der hatte schnelle Metropolenverbindungen zum Mantra erklärt und so die Konfrontation mit Kritikern gesucht, die für den Ausbau von Bahnknoten und Umgehungsstrecken plädierten. Für 40 Prozent der rund 250 ICE-Züge der Deutschen Bahn bedeutet der Schwenk nun eine Drosselung der aktuellen Spitzengeschwindigkeit.





Bis 2020 will Grube seine komplette Flotte im Fernverkehr ersetzen oder modernisieren. Für rund sechs Milliarden Euro kauft die Bahn daher beim Hersteller Siemens 220 Züge, für weitere 80 Schnellzüge gibt es eine Option. Geplant ist, die 59 ICE-Züge der ersten und 44 ICE-Züge der zweiten Generation, die seit Anfang und Mitte der Neunzigerjahre im Einsatz sind, komplett zu ersetzen.
Beide Zugtypen sind derzeit für Höchstgeschwindigkeiten bis 280 Stundenkilometer zugelassen. Vorher sollen ab 2016 die zum Teil 45 Jahre alten 140 Intercity-Züge erneuert und für Geschwindigkeiten bis 230 Kilometer pro Stunde ausgerüstet werden. Als Innovation preisen Bahn und Siemens den modularen Aufbau der künftigen Flotte an: Die Züge sollen sich je nach Nachfrage beliebig verlängern lassen.
Für den Exporterfolg der Züge in Hochgeschwindigkeitsländer wie China dagegen dürfte das auf 250 km/h gedrosselte Tempo dagegen hinderlich sein. Muss doch Siemens auf Deutschland als Referenzland für superschnelle Züge künftig verzichten. In Europa bleiben die Franzosen das Maß der Dinge. Mit ihren TGV-Zügen verbindet die Staatsbahn SNCF Städte wie Paris und Straßburg mit bis zu 320 km/h.
Doch auch SNCF tritt auf die Bremse, unter anderem wegen hoher Trassenpreise. Der Konzern verzichtet vorerst auf die geplante Anhebung der Spitzengeschwindigkeit auf 350 Stundenkilometer.