
Überraschender Rückzug an der Spitze der Deutschen Bahn: Der Infrastruktur-Vorstand Volker Kefer gibt seinen Posten auf. Der Stellvertreter von Vorstandschef Rüdiger Grube reagierte damit auf Kritik an seiner Amtsführung.
Ihm wurde angelastet, den Aufsichtsrat zu spät über Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 informiert zu haben. Der Aufsichtsrat kommt am Mittwoch in Berlin zusammen. Kefer soll dort die jüngste Entwicklung bei Stuttgart 21 darlegen.
Kefer habe den Aufsichtsratsvorsitzenden Utz-Hellmuth Felcht darüber informiert, „dass er für eine Verlängerung seines im September 2017 endenden Arbeitsvertrages nicht zur Verfügung steht“, teilte die Bahn am Dienstagabend mit.
Kefer werde „bis zur Regelung seiner Nachfolge im Amt bleiben und seine Aufgaben weiterhin vollumfänglich wahrnehmen“. Felcht fügte hinzu, der Aufsichtsrat werde nun eine Regelung zur Nachfolge treffen. Er nehme Kefers Entscheidung „mit großem Respekt und Wertschätzung entgegen“.
Der 60 Jahre alte Kefer ist seit 2009 im Vorstand der Bahn und kümmert sich seit 2010 auch um das Milliardenprojekt Stuttgart 21. Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass der bisherige Kosten- und Zeitplan für den Bau eines neuen unterirdischen Durchgangsbahnhofs in Stuttgart samt Zubringerstrecken wahrscheinlich nicht zu halten ist.
Die Pannen bei Stuttgart 21
Der für Stuttgart 21 zuständige Bahn-Vorstand Volker Kefer hatte im Sommer 2013 eingeräumt, mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit werde das Vorhaben 2022 fertig, mit 40-prozentiger erst 2023. Vor diesem Hintergrund scheint es wenig realistisch, dass die Inbetriebnahme 2022 zu halten ist. Offiziell hält die Bahn am Fertigstellungstermin für den Stuttgarter Bahnknoten Ende 2021 fest, auch um den Druck auf beteiligte Firmen aufrecht zu erhalten. Gegner wie Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) halten 2025 für machbarer.
Der Baufortschritt wird immer wieder durch neue Auflagen etwa beim Brand- oder Artenschutz gebremst. Ein weiterer Grund sind schleppende Baugenehmigungen - dabei ist unklar, ob das Eisenbahnbundesamt als Aufsichtsbehörde mit zu wenig Fachpersonal oder die Bahn mit womöglich unvollständigen Unterlagen verantwortlich ist. Die Verzögerungen schlagen insofern zu Buche, als dass die Bahn Firmen länger vorhalten muss als vorgesehen. Und die Erlöse aus dem Betrieb des Bahnhofs rücken immer weiter in die Ferne.
Der Puffer im vom Bahn-Aufsichtsrat 2013 beschlossenen Finanzierungsrahmen von 6,526 Milliarden Euro ist laut einer neuen Prognose des Unternehmens fast ausgeschöpft. Wenn alle neu identifizierten Risiken einträten, verblieben nur noch 15 Millionen Euro für weitere Unwägbarkeiten in den nächsten Jahren. Daraus ergibt sich ein sogenannter Gegensteuerungsbedarf von 524 Millionen Euro, der in internen Unterlagen für die nächste Aufsichtsratssitzung an diesem Mittwoch (15. Juni) in Berlin zu finden ist. Dort wird sich der Bahn-Vorstand Berichten zufolge auf starke Kritik gefasst machen müssen. Vize-Chefaufseher Alexander Kirchner sagte der Deutschen Presse-Agentur, er werde Aufklärung vom Management fordern.
Es gibt erste Überlegungen - wie den Schichtbetrieb an den Baustellen auszuweiten, eine neue Autobrücke am Bahnhof zu errichten, um die Bauarbeiten zu erleichtern, und die Bauabläufe weiter zu optimieren.
Es gibt drei große Posten. Mehrkosten von 144 Millionen Euro könnten durch eine veränderte Tunnelbauweise entstehen, um Schäden durch das aufquellende Mineral Anhydrit zu vermeiden. 147 Millionen Euro gehen auf Risiken zurück, die mit über 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit auftreten, zum Beispiel beim Arten- und Lärmschutz. Der größte Block sind 290 Millionen Euro, die womöglich durch einen langsameren Fortschritt wegen schleppender oder neu beantragter Baugenehmigungen verursacht werden. So kamen Verzögerungen zustande, weil die Bahn im Tiefbahnhof die Fluchttreppen an die Enden der Bahnsteige verlegt und den Brandschutz für deutlich stärkere Feuer auslegen muss.
In den Koalitionsverhandlungen war das Thema heftig umstritten. Die CDU wollte der Bahn Entgegenkommen signalisieren; die Grünen wollten auf jeden Fall die bisherige strikte Ablehnung, sich an Mehrkosten zu beteiligen, nicht aufweichen. Laut Koalitionsvertrag will das Land in möglichen neuen Finanzierungsgesprächen darauf bestehen, „dass über die im Vertrag genannten Kostenanteile in Höhe von 930,6 Millionen Euro hinaus von Seiten des Landes keine Zahlungen zu leisten sind“. Beim Treffen des Lenkungskreises am 30. Juni muss die Bahn den Projektpartnern von Land, Landesflughafen, Stadt und Region Stuttgart die Lage erklären. Diese fordern vehement mehr Transparenz ein.
Das S-21-Tunnelsystem von knapp 60 Kilometern Länge ist zu einem Viertel erstellt. Die Grundsteinlegung der Bodenplatte des Tiefbahnhofs ist für spätestens September 2016 anvisiert. Aus Bahn-Sicht ist dieses Ereignis der größte Meilenstein vor der Inbetriebnahme der neuen Station - wann auch immer diese sein mag.
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 meint: ja. Ein modernisierter Kopfbahnhof sei verkehrstechnisch sowie finanziell weit günstiger als die bisherige Durchgangslösung, die die Kritiker auf Kosten von 9,8 Milliarden Euro taxieren. Und was soll mit der Grube geschehen? Die kann nach Ansicht der S-21-Gegner als Bahnhof für Fernbusse dienen.
Aus dem Aufsichtsrat wurde daraufhin Kritik laut. Der stellvertretende Vorsitzende Alexander Kirchner äußerte am Sonntag sein Unverständnis darüber, dass noch vor drei Monaten erklärt worden sei, mit Stuttgart 21 sei alles in Ordnung. Dies habe sich jetzt als falsch erwiesen, hatte Kirchner gesagt, der Chef der Eisenbahngewerkschaft EVG ist.
Inbetriebnahme von Stuttgart 21 ist in Gefahr
Bei Stuttgart 21 ist nach der jüngsten Bestandsaufnahme der Bahn die angepeilte Inbetriebnahme Ende 2021 in Gefahr. Es könnte dem internen Bericht zufolge bis zu zwei Jahre länger dauern. Außerdem ist der finanzielle Puffer von 500 Millionen Euro fast aufgebraucht. Bislang liegt der vom Aufsichtsrat festgelegte Finanzierungsrahmen bei 6,5 Milliarden Euro. Von den Projektpartnern sind knapp 6,0 Milliarden Euro als Investitionsbudget genehmigt. Bei dem Vorhaben sind laut Bahn-Gutachten seit Ende 2012 durch externe Faktoren Kostenrisiken in Höhe von 623 Millionen Euro hinzugekommen.
Kefer ist bislang zudem maßgeblich verantwortlich für das Modernisierungsprogramm „Zukunft Bahn“, mit dem der Konzern wettbewerbsfähiger werden will. Auf der Tagesordnung des Aufsichtsrats am Mittwoch steht auch das Sanierungskonzept für die Güterbahn-Tochter DB Cargo.
Diese war 2015 in die Verlustzone gerutscht mit einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern von minus 183 Millionen Euro. Die Bahn will nun mehr als 200 von 1500 Güterbahnhöfen in Deutschland stilllegen. Das würde nach diesen Plänen 2100 Arbeitsplätze kosten. Ende 2018 soll dann die Gewinnschwelle wieder überschritten werden. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat verlangen einen offensiveren Kurs, der sofort auf Wachstum setzt. In der Sitzung am Mittwoch soll ein Kompromiss gefunden werden.