Im Sommer dieses Jahres bekamen Nicole Jerschabek und andere Bewohner des Essener Eltingviertels von ihrem Vermieter, dem Bochumer Dax-Konzern Vonovia, rote Geranien für ihre Balkone geschenkt. 750 Blumen ließen das frisch renovierte Haus Victoriahof mit seinen 100 Jahre alten Fassaden und Erkern erblühen. Im August dann stellte Vonovia in dem Viertel lokalen Künstlern Arbeits- und Ausstellungsflächen zur Verfügung. Und Anfang November kamen auf dem Eltingplatz die Bewohner bei Falaffel und Waffeln zu einem Lichterfest zusammen, das unter anderem Vonovia unterstützt.
In dem Karrée im Essener Norden mit den heruntergekommenen Gründerzeitvillen gehören Vonovia 64 Mietshäuser. Bis 2019 will Deutschlands größter Wohnungskonzern dort rund 28 Millionen Euro investieren. So werden die alten Nachtspeicheröfen durch moderne Heizungen ersetzt und die tristen Innenhöfe durch Grünflächen. Die Miete aber soll bezahlbar bleiben, verspricht Vonovia-Chef Rolf Buch.
Betriebswirtschaftlich wird sich die Investition wohl kaum rechnen. Sie ist aber wichtig für das Image von Deutschlands größtem Immobilienkonzern. NRW-Bauminister Michael Groschek (SPD) hieß Vonovia deshalb schon „willkommen zurück im Club der anständigen Unternehmen“.
Es ist noch gar nicht lange her, da galt Vonovia als Mietheuschrecke. Die ließ ihre Wohnungen vergammeln, um die Rendite kurzfristig zu maximieren, was auf Kosten „folgenschwerer Wohnungsmängel mit der Folge anhaltender und reputationsschädigender Mieterbeschwerden“ ging, wie das Unternehmen selbst bekennt. Vor dreieinhalb Jahren übernahm der Bertelsmann-Manager Buch die Führung des Unternehmens. Seitdem hat das Unternehmen eine unglaubliche Entwicklung hingelegt:
- Vonovia hat seinen Wohnungsbestand seit Ende 2012 auf 340.000 Einheiten bald verdoppelt.
- Kaum ein anderer professioneller Vermieter investiert so viel wie Vonovia, um die Immobilien in Ordnung zu bringen.
- Die Zahl der Beschwerden ist nach Angaben verschiedener regionaler Mietervereine deutlich zurückgegangen.
- Der Aktienkurs ist in drei Jahren um 60 Prozent gestiegen.
So weit, so schön, so beeindruckend. Allerdings ist Buchs Erfolgsgeschichte, die auch eine enorme Wachstumsgeschichte ist, teuer erkauft: Wenn Buch andere Unternehmen übernimmt, was er recht häufig tut, gibt Buch dafür auch mal deutlich mehr aus, als das Vermögen des jeweiligen Unternehmens abzüglich seiner Schulden wert ist. Allein für den Zukauf Gagfah hat er 2,3 Milliarden Euro mehr gezahlt. Und so stellt sich die Frage, ob Buch sich seine bisher unstrittigen Erfolge nicht etwas zu teuer erkauft?
Der Wohnungskonzern Vonovia, der bis Herbst vergangenen Jahres noch Deutsche Annington hieß, ist im Wesentlichen das Produkt des Briten Guy Hands. Der Investmentbanker baute das britische Private-Equity-Unternehmen Terra auf und kaufte 2001 mit dessen Tochterunternehmen Deutsche Annington erste Immobilien in Deutschland, darunter ehemalige Werkswohnungen der Deutschen Bahn. 2005 kam die Immobilientochter des Energieriesen E.On mit 150.000 Wohnungen hinzu. 2013 ging die Deutsche Annington an die Börse. Ein Jahr später macht Guy Hands Kasse. Das Unternehmen legte danach sein Heuschreckenimage ab, sanierte seine Wohnblöcke und heißt jetzt Vonovia.
Die Banken reichen mittlerweile wieder gerne Kredite an Unternehmen wie Vonovia aus, dank der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank auch noch fast umsonst. Die meisten Wohnungsgesellschaften nutzen das, um Wettbewerber zu übernehmen, oder werden selbst geschluckt. Weil die Nachfrage hoch ist, gibt es keine Schnäppchen mehr. Die Unternehmen laufen Gefahr, in ihrem Wachstumsdrang und getrieben durch die billigen Kredite zu viel für die Wohnungen zu bezahlen.
Buch ist dafür ein gutes Beispiel. Der Manager – aufgewachsen nicht im problematischen Eltingviertel, das er gerade sanieren lässt, sondern im gepflegten Essen-Kettwig – liebt Statussymbole wie seinen früheren Dienstwagen, einen AMG-getunten, angeblich 600 PS starken S-Klasse-Mercedes. Ehemalige Kollegen erinnern sich noch lebhaft an gemeinsame Autofahrten mit ihm. „Mir wurde unglaublich schlecht“, erzählt ein ehemaliger Bertelsmann-Manager. „Er steht immer mit dem Fuß auf dem Gaspedal“, sagt ein Vonovia-Kollege, „im Auto wie auch sonst im Leben.“ Er meint damit Buchs Wachstumsplan, den er in Rekordtempo durchzieht. Buch selbst bedient sich ähnlicher Rhetorik. „Die Akquisitionen habe ich immer den Turbo genannt“, sagt der Manager und erklärt, eigentlich solle Vonovia organisch wachsen (siehe Interview). Aber nur eigentlich: „Wenn Sie auf die letzten drei Jahre zurückblicken, ist natürlich ziemlich viel Turbo drin gewesen.“
Vonovia hat in den vergangenen Jahren einen Wettbewerber nach dem anderen gekauft. Dabei hat Buch auch mal deutlich mehr gezahlt, als das Vermögen der Konkurrenten – das vor allem aus Immobilien besteht – abzüglich der Schulden wert ist. Das Nettovermögen ist eine in der Immobilienbranche übliche Größe, um den Wert eines Unternehmens zu bestimmen. Für die Süddeutsche Wohnen Gruppe zahlte Buch etwa 40 Prozent mehr. Beim Immobilienverwalter Gagfah aus Mühlheim an der Ruhr waren es gar fast 100 Prozent: 4,7 Milliarden Euro gab Buch dafür aus, obwohl das Nettovermögen nur 2,4 Milliarden Euro wert war.
Aus den Händen eines umstrittenen Bankers
Buch hört solche Rechnungen, obwohl sie sich in seinem eigenen Geschäftsbericht finden, nicht gern. Er macht eine andere Rechnung auf: Danach kaufte er das Vermögen der Gagfah im Wert von 8,4 Milliarden Euro. Dafür zahlt er den Kaufpreis von 4,7 Milliarden Euro und übernimmt die Schulden abzüglich der latenten Steuern (5,6 Milliarden Euro). Dies macht in Summe einen Kaufpreis von 10,3 Milliarden Euro, ein Aufschlag von 22 Prozent zum Gagfah-Vermögen. Das sei angemessen, erklärt der Vorstandschef. Der Kauf habe Synergien von 130 Millionen Euro jährlich gebracht. Zudem sei der Wert der Gagfah-Immobilien seit der Übernahme deutlich gestiegen: „Der Kauf hat sich längst gerechnet.“
Ohnehin greift eine reine Betrachtung des übernommenen Vermögens bei der Berechnung des Werts der Gagfah seiner Ansicht nach zu kurz, weil hierbei die Verdienstmöglichkeiten abseits der reinen Mieteinnahmen unberücksichtigt blieben. Die Immobiliengesellschaft verdient ihr Geld nicht nur mit Mieten, sondern auch damit, dass sie Küchen vermietet und die Mieter mit Kabelfernsehen versorgt.
Die Einnahmen aus diesen Nebengeschäften sind bislang allerdings gering. In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben sie fünf Prozent zum operativen Konzerngewinn beigetragen. Aber Buch arbeitet daran, die Einnahmen in die Höhe zu treiben.
Auch wenn sie Buch nicht gefällt, die andere Rechnung, wonach er für die Gagfah fast doppelt so viel gezahlt hat, wie er an Vermögen in der Bilanz vorfand, hat einen Einfluss auf sein Unternehmen. Der Aufpreis von satten 2,3 Milliarden Euro steht nun als Firmenwert, auch Goodwill genannt, in der Vonovia-Bilanz. Das ist zwar üblich. Ein Firmenwert dieser Größenordnung ist dennoch problematisch – denn er ist je nach Entwicklung von Zins- und Wohnungsmarkt abschreibungsgefährdet. Experten bezeichnen den Goodwill deshalb regelmäßig als tickende Zeitbombe in den Bilanzen von Unternehmen.
Buch rechnet mit weiterem Wachstum
Bei Vonovia könnte etwa eine Abschreibung erforderlich werden, wenn schlicht die Zinsen in Deutschland steigen, also ohne dass Buch etwas dafür kann. Laut Geschäftsbericht der Vonovia von 2015 müsste der gewichtete Kapitalkostensatz, also der Preis, zu dem sich ein Unternehmen finanziert, nur um mehr als 0,7 Prozentpunkte steigen, damit die 2,3 Milliarden Euro nicht mehr voll werthaltig wären.
Buch sagt, die Hürde sei mittlerweile deutlich höher als 0,7 Prozentpunkte. Außerdem orientiere sich der Goodwill auch daran, wie hoch die Mieteinnahmen sind, die die Immobilien einspielen. Diese seien seit der Übernahme deutlich gestiegen.
Buch macht bei allem, was er tut, klar: Er rechnet nicht mit Eintrübungen des Geschäfts. Und so wächst Vonovia munter weiter: Als Nächstes soll nun Conwert in Buchs Immobilienreich aufgenommen werden. Vonovia legt bei seinem Angebot einen Unternehmenswert von 1,6 Milliarden Euro zugrunde. Das Vermögen abzüglich der Schulden der Conwert beläuft sich Ende September auf 1,4 Milliarden Euro. Der Aufschlag beträgt hiernach 14 Prozent. Buch rechnet wieder anders. Er habe die Conwert praktisch zum Substanzwert gekauft, sagt er, und beziffert das Nettovermögen mit 1,6 statt 1,4 Milliarden Euro. Ursächlich für die Differenz ist wieder ein anders definiertes Nettovermögen. Falsche oder richtige Definitionen gibt es bei der Bestimmung der Werte nicht. Ihnen liegen schlicht unterschiedliche Parameter zugrunde.
Deutlich spannender könnte ein anderer Deal werden. Insider rechnen fest damit, dass Buch im kommenden Jahr einen zweiten Vorstoß zur Übernahme der Deutschen Wohnen, mit 160 000 Wohnungen die Nummer zwei am Immobilienmarkt, macht. Das würde ziemlich teuer werden. Vor einem Jahr hatte er den Aktionären der Deutschen Wohnen mehr für ihre Papiere geboten, als sie damals an der Börse wert waren. Seitdem ist der Kurs der Deutschen Wohnen um 25 Prozent gestiegen. Wenn Buch nun einen neuen Anlauf starten will will, ist jetzt schon klar: Billiger wird es nicht.
Immerhin beim Bau der neuen Unternehmenszentrale, die nach all dem Wachstum der vergangenen Jahre her muss, bleibt Buch bodenständig. Er baut nur einen halben Kilometer neben der alten Zentrale auf einem Acker im Stadtteil Wiemelhausen, den die schon 1908 stillgelegte Zeche Julius Philipp prägte. „Wir bauen keinen Prachtbau, sondern ein funktionales Gebäude, das sich in die Umgebung einpasst“, sagt Buch bei der Grundsteinlegung im September dieses Jahres. „Bitte kein Protz, bitte keine baulichen Allüren“, will der frühere E.On-Chef und heutige Vonovia-Aufsichtsratschef Wulf Bernotat ihm aufgetragen haben. Das dürfte Buch recht sein.
So hat er mehr Geld in der Kasse, um noch ein paar lästige Konkurrenten zu schlucken.