
Lange war Amazon der Liebling der britischen Post. Fast sechs Prozent der Pakete, die Royal Mail jedes Jahr zustellte, stammten von dem US-Online-Handelsgiganten. Doch seit zwei Jahren lässt Konzernchef Jeff Bezos vielerorts auf der Insel Waren in Eigenregie ausliefern – und ist nun die Hassfigur der einst königlichen Boten.
Royal-Mail-Chefin Moya Greene musste die Wachstumsprognose für ihre wichtigste Sparte, das Paketgeschäft, deshalb von vier auf ein bis zwei Prozent in den nächsten zwei Jahren kürzen. Ausdrücklich warnt sie ihre Konkurrenten rund um den Globus: „Wenn ein Online-Händler von der Größe und Bedeutung Amazons beschließt, sein eigenes Liefernetzwerk aufzubauen, ändert das den Markt für jeden.“
Die Paketzustellung der Zukunft
Bei der Auslieferung der Paketsendungen legen die Kunden vor allem Wert darauf, dass sie zu ihren Alltagsgewohnheiten passt: 37 Prozent der Befragten haben bereits Erfahrungen, ihre Pakete zum Wunschtermin (auch nach Feierabend) nach Hause liefern zu lassen, weitere 40 Prozent würden diese Option gerne nutzen. Die Lieferung zum Wunschtermin ist damit aktuell die erste Wahl der Verbraucher. Viele Versandhändler haben sich diesem Bedürfnis bereits angepasst.
Quelle: PricewaterhouseCoopers AG (PwC): Die Paketzustellung der Zukunft, November 2014
Laut PwC nutzt jeder vierte Deutsche heute gelegentlich bis häufig Paketstationen oder Paket-Shops verschiedener Logistikdienstleister als Zustellmöglichkeit. Rund die Hälfte der Deutschen steht dieser Lösung jedoch noch kritisch gegenüber und hat sie bisher nicht genutzt.
Als wichtigste Eigenschaften einer Paketstation gab eine klare Mehrheit der der Befragten (87 Prozent) an, dass eine Paketstation möglichst einfach und selbsterklärend zu bedienen sein muss. Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Erreichbarkeit: 72 Prozent legen Wert darauf, dass die Station mit dem Auto gut erreichbar ist, 67 Prozent zu Fuß. Außerdem sollen Pakete in allen Größen und von verschiedenen Paketdienstleistern dort gelagert werden können (83 bzw. 80 Prozent der Befragten).
Die Lieferung an den Arbeitsplatz ist für viele Arbeitnehmer eine attraktive, da zeitsparende und praktische Option, sasgt die Studie: Knapp jeder zweite Berufstätige (49 Prozent) würde diesen Service gerne nutzen. Bislang lässt sich nur eine kleine Minderheit der Berufstätigen (5 Prozent) Pakete direkt ins Büro liefern. Einen Aufpreis für diesen Service würden aber nur 7 Prozent in Kauf nehmen.
Rund ein Drittel der Deutschen wäre unter bestimmten Voraussetzungen bereit, für eine Lieferung am gleichen Tag (Same Day Delivery) einen Aufpreis von bis zu 12 Euro zu zahlen. Die taggleiche Lieferung kommt für die meisten jedoch nur für bestimmte Anlässe und in Ausnahmefällen in Frage, beispielsweise für Weihnachts- und Geburtstaggeschenke in letzter Minute. Rund zwei Drittel geben an, den Service der Lieferung am selben Tag generell nicht nutzen zu wollen; entweder aus grundsätzlichen Überlegungen oder weil sie eine Gebühr von rund 12 Euro als zu hoch empfinden.
Ein erstes Warnsignal für die hiesigen Paketdienste, allen voran für die Deutsche Post mit ihrer Marke DHL, aber auch für Hermes oder DPD ist die Tatsache, dass Amazon Fresh, der Lieferdienst des Online-Riesen für frische Lebensmittel, nach Europa kommen will. Wann, das wisse er noch nicht, sagte Amazon-Manager Jens Uwe Intat vor Kurzem auf einer Fachtagung für Online-Händler.
Wendepunkt in Deutschland
Branchenkenner schätzen, dass Amazon Fresh noch in diesem Jahr in Deutschland startet. Auf dem Frische-Lieferdienst könnten die Amerikaner dann einen klassischen Paketdienst aufbauen. Amazon äußert sich dazu nicht, dementiert die Pläne aber auch nicht. „Wenn es etwas gibt, werden wir das rechtzeitig vorstellen“, so eine Sprecherin.
Für die Zusteller in Deutschland bahnt sich damit ein Wendepunkt an. Etwa 2,8 Milliarden Pakete werden in Deutschland jedes Jahr verschickt. Den Großteil davon liefern der Marktführer Deutsche Post, Hermes und der Paketdienst DPD direkt bis zur Haustür der Privatkunden. Geschätzt bis zu 400 Millionen der insgesamt 2,8 Milliarden Pakete dürften von Amazon stammen.
Kommt der Online-Gigant mit einem eigenen Zustelldienst, würde er für die etablierten Anbieter vom Kunden zum Konkurrenten. „Dass Amazon in einigen Städten sein eigenes Netzwerk aufbaut, beobachten wir selbstverständlich“, sagt Hanjo Schneider, Chef des Hamburger Zustellers Hermes, der zum Versandkonzern Otto gehört.
Wie Amazon bisherige Auftragnehmer mit einem eigenen Lieferdienst angreift, kann Schneider in Großbritannien studieren, wo Hermes für das Unternehmen arbeitet.
Inzwischen sind auf der Insel 45 Subunternehmer mit Fahrern und Wagen für Amazon im Einsatz. Die Routen sind klug gewählt: Bedient werden vor allem die profitablen Strecken in den Großstädten. Die Touren in die Provinz, wo der Aufwand pro Paket größer ist, überlässt Amazon weiter Royal Mail. Auch in US-Metropolen und in wachsenden Märkten wie China und Indien setzt Amazon auf Zustellung in Eigenregie.
„Amazons Geschäftsmodell beruht darauf, dass Pakete schnell und effektiv zugestellt werden“, sagt Boris Winkelmann, Chef des Paketdiensts DPD. Sein Unternehmen fährt sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien für Amazon, und zwar für den Sonderdienst Amazon Prime, der eine Zustellung innerhalb von 48 Stunden verspricht. „Wo das nicht funktioniert“, sagt der DPD-Chef, „wird Amazon selbst aktiv.“