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Einer der größten Vorteile der traditionellen Medien ist die Reichweite und Öffentlichkeit, die sie für Werbekampagnen erzeugen. Quelle: dpa

Alte gegen neue Medien: Der ungleiche Kampf der Titanen

Wie lange wird es die „klassischen“ Medien Print, TV, Plakate und Radio noch geben? Die Werbekunden warten sehnlichst auf den Tag, an dem sie ausschließlich digitale Werbemedien einsetzen können. Doch darauf werden sie noch lange warten.

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Sie stehen sich gegenüber wie Titanen, die zum Kampf bereit sind. In der einen Ecke des virtuellen Boxrings die ehemaligen Weltmeister und Lead-Medien Zeitungen und Magazine, TV, Plakate, Radio und Kino – in der gegenüberliegenden Ecke die digitalen Herausforderer Search, Social Media, Influencer, Websites, Connected TV, Digital-Out-of-Home und Digital Audio. Sie könnten friedlich als beste Freunde miteinander leben (zumal sie als „Schwestern“ und „Brüder“ meist die gleichen Eltern haben), werden jedoch jeden Tag von Werbungtreibenden und ihren Agenturen zum Kampf gegeneinander aufgehetzt.

„Zeitenwende“ ist die in der Werbebranche derzeit am häufigsten benutze Floskel, die die Ablösung der traditionellen durch die digitalen Kommunikationswege zu den Media-Zielgruppen beschreibt. Da trotz des Hypes um das Metaverse, das vermeintliche Web 3.0 oder um Marketing 5.0, die Zielgruppen der Marketing-Magier nach wie vor aus Fleisch und Blut bestehen, rufen die Werber die um Aufmerksamkeit konkurrierenden Medien-Kontrahenten täglich zum Nachweis ihrer Existenzberechtigung auf.

Es ist jedoch ein ungleicher Kampf, bei dem die Werbe-Protagonisten schon seit Jahren antizipierend „Digital first!“ ausrufen. Die analogen Medien, erst recht die aus Papier, sind in ihren Augen nichts weiter als Störenfriede, die dem Siegeszug der überlegenen, digitalen Medien im Weg stehen. Am liebsten wäre ihnen, die alten Medien würden sich in gebückter Haltung einfach aus dem Staub machen.

„Marketing und Medien in der Zeitenwende“ ist denn auch das diesjährige Motto des im Sommer stattfindenden Jahreskongresses der Branchen-Fachzeitschrift „Horizont“. Eine Zeitenwende ist es wahrlich, was die Werber herbeisehnen. Es ist, als hätte man ihnen versprochen, dass die alten Medien sterben, um Platz zu machen für die neuen, die man automatisiert an digitalen Dashboards bespielen und deren vermeintlichen Werbeerfolg man höchst praktisch auf Excel-Reportings vor sich ausbreiten und bewundern kann.

Prognosen, die in die Hose gingen

Tatsächlich hatte Bill Gates schon 1990 das Ende der Zeitungen und Zeitschriften für das Jahr 2000 vorausgesagt. 2008 war es dann Steve Ballmer, Chef von Microsoft, der die Prophezeiung ausstieß: „In zehn Jahren gibt es keine Zeitungen und Magazine mehr.“ Spätestens 2018, meinte Ballmer, würde es keinen Medienkonsum mehr geben, der nicht über ein IP-Netzwerk läuft.

Da keine dieser Prophezeiungen eintrat und die Printmedien sich nicht freiwillig aufs Schafott begeben, scheint es – um beim Bild zu bleiben – gerade zu viele Boxer im Ring zu geben. So viele, dass selbst für einen Ringrichter kein Platz ist, und sich die Titanen ohne jedes Regelwerk gegenseitig die Köpfe einschlagen.

Immer mehr Marketingverantwortliche fragen daher immer lauter danach, wie dieser auch für die Marketer mühsame Kampf weitergeht, wann er endlich vorbei ist und wer daraus als Sieger hervorgehen wird. Es wird also langsam Zeit, eine Antwort auf diese offenbar drängende Frage zu finden.

Fakten statt Emotionen

Am einfachsten kommt man zu wegweisenden Antworten, wenn man Fakten statt Emotionen, die beim regelrechten „Run“ auf die Onlinemedien allzu oft im Spiel sind, walten lässt. Die Forderung „Wir müssen jedes Jahr mehr Online machen“ hat – wenn nicht durch Fakten untermauert – mit einer Strategie herzlich wenig zu tun. Sie ist pure Emotion. Da erweist es sich als erfolgversprechender zu untersuchen, wie die eigene Zielgruppe mit den Medien umgeht, als emotionale Postulate und Glaubensfragen in den Ring zu werfen.

Doch zuvor ein Blick auf das Marktgeschehen: Weltweit steigt der Anteil der Werbeinvestitionen in digitale Medien erstmals laut Schätzungen der Agenturgruppe Zenith auf mehr als 60 Prozent. Hierzulande ist der Anteil noch deutlich geringer: „In Deutschland werden die Werbungtreibenden 22,4 Milliarden Euro in Werbung investieren. Das sind 5,9 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Fast die Hälfte, 10,8 Milliarden Euro, fließt inzwischen in Online-Werbung.“

Doch auch diese Angaben sind immer noch höher als die letzten belastbaren Erhebungen des ZAW, wonach der Anteil digitaler Medien an den Werbeeinnahmen der Werbeträger 2020 noch 43 Prozent betrug. Nichtsdestotrotz: die Investitionen in digitale Medien stiegen im letzten Jahr nach Angaben des Online-Vermarkterkreises um 25 Prozent. Eine Steigerung um weitere 12 Prozent erwartet man für 2022.

Den alten Medien ist nach Sterben nicht zumute

Die Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften sinken zwar weiter, jedoch langsamer als zuvor. Es sieht ganz so aus, als würde bald für viele Printmärkte ein Scheitelpunkt erreicht, an dem die Auflagenverluste abebben. „Die Zeit“, Paradebeispiel für erfolgreiche Printmarken, meldete zuletzt das achte Auflagen-Allzeithoch ihrer Geschichte. Und nach wie vor nutzen fast drei Viertel der unter 29Jährigen Lokalzeitungen, um sich über politische Themen zu informieren.

Das Fernsehen verliert signifikant junge Zuschauer: alleine im vergangenen Jahr 25 Prozent der unter 30Jährigen. Keinesfalls jedoch die älteren, kaufkräftigeren und haushaltsführenden Zuschauer, die für den weitaus größten Teil der Umsätze an den Supermarktkassen verantwortlich sind. Um sich Reichweiten in diesen Käufer-Zielgruppen zu sichern, fluten die P&Gs und Ferreros dieser Welt die Werbeblöcke wie selten zuvor.

Radio ist stabil in allen Altersgruppen – dabei hat der Werbemarkt die volle Wirkung des faszinierenden Audio-Mediums nie verstanden, geschweige denn wirklich gehoben. Die Außenwerbung boomt dank Digital-Out-of-Home, das immer neue Touchpoints zur Ansprache vor allem junger, mobiler Zielgruppen herbeizaubert. Und Kino erreicht wieder die Besucherzahlen der Vor-Corona-Zeit. Irgendwie erscheint die „alte“ Medienwelt ganz in Ordnung zu sein.

Öffentlichkeit vs. One-to-One

Eine der größten Vorteile der traditionellen Medien ist die Reichweite und Öffentlichkeit, die sie für Werbekampagnen erzeugen. Hierin – und Experten sind sich einig, dass Reichweite für erfolgreiche Kampagnen unverzichtbar bleibt – sind die analogen Medien allen digitalen Werbemöglichkeiten haushoch überlegen. Die digitalen Medien punkten dafür darin, dass sie es ermöglichen, einzelne User (die z.B. nach einem Kühlschrank suchten) 1-to-1 über die automatisierte Auslieferung der Werbung anzusprechen. Dies ist für das Marketing faszinierend, führt jedoch zum Phänomen, dass keine zwei Menschen die gleichen Werbekampagnen sehen. Denn sie findet nicht öffentlich statt.

Der digitalen Werbung fehlen somit Reichweite und Öffentlichkeit, die beide zum Aufbau und zur Pflege von großen Marken erforderlich sind. Die digitale 1-to-1-Werbung raubt der Marke quasi ihre öffentliche Wahrnehmung.

Hinzu kommt, dass die meisten Nutzungs- und Reporting-Daten, mit denen Werbung in digitalen Medien gesteuert wird, für Marketing und Agenturen nicht kontrollierbar sind. Man spricht hier von sogenannten „Walled Gardens“, ein in der langen Geschichte des Marketings nie dagewesenes Transparenzdefizit. So meldete Google für YouTube zuletzt 15 Milliarden tägliche Zugriffe. Wie viele davon von Fake Accounts stammen, ist den Werbungtreibenden nicht bekannt. Facebook behauptet, in jedem Quartal eine Milliarde Fake Accounts zu löschen.

Fatale Überbewertung des Internets

Ein weiterer hilfreicher Aspekt, um die Bedeutung der analogen und digitalen Kanäle einzuordnen, ist die Nutzungsdauer. Die Studie „ARD/ZDF-Massenkommunikation“ weist für das „mediale Internet“ eine tägliche Nutzungsdauer von 136 Minuten aus, ein knappes Drittel der gesamten täglichen Mediennutzungsdauer von mehr als sieben Stunden aus. Unternehmen, die heute 50 oder 70 Prozent ihrer Werbeausgaben in Onlinewerbung investieren, ignorieren die tatsächliche Nutzungsdauer somit auf fatale Weise. Gleichzeitig schwächen sie ihre Marken durch weitgehenden Verzicht auf Medien, die als markenbildend und -pflegend gelten, wundern sich dann aber über Verluste bei der Markenloyalität.

Die Lösung: eine Balance von analog und digital

Die alten Medien sind noch lange nicht alt, geschweige denn tot – und in der digitalen Medienwelt ist keinesfalls alles Gold, was glänzt. Einen Clash der Titanen brauchen wir am allerwenigsten, denn alle Medien sind unabkömmlich für unsere Kommunikationsarbeit – und bleiben es noch lange.

Eine erfolgreiche Kampagne braucht eine ausgewogene Balance zwischen traditionellen und digitalen Medien. Welche Schwerpunkte sich für Medien wie TV und Radio oder Search und Display ergeben, weist eine kluge Mediastrategie, in der die Mediaziele verankert wurden. Dann werden nicht die Medien vernachlässigt, die für die nötige Reichweite und Öffentlichkeit der Kampagne sorgen und es wird ein nachvollziehbarer, weil rationaler Anteil an digitalen Medien eingesetzt.

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In voraussichtlich 20 bis 25 Jahren werden Sie keine herkömmlichen Medien für Ihren Kampagnenerfolg mehr benötigen. Das ist noch lange hin. Bis dahin können Sie zu den klugen 20 Prozent zählen, deren Kampagnen 80 Prozent der Wirkung (nach Pareto) erzeugen. Sie müssen dazu lediglich eine vernunftgesteuerte Balance zwischen den öffentlichen und digitalen Medien für ihre individuellen Marketingziele finden.

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