Werbesprech
Deutschland versagt bei Digitalisierung, Onlinewerbung nimmt ab Quelle: Fotolia

Auslaufmodell Onlinewerbung

Während Deutschland bei der Digitalisierung im Mittelalter verweilt, flüchten Unternehmen zunehmend aus der Onlinewerbung. Das ist kein Widerspruch, denn auch Facebook hat das Vertrauen der Werber nicht verdient.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ein überraschendes Zeugnis stellte jüngst der Digital-Index von Euler-Hermes Deutschland aus: Demnach liegt unser Land bei der digitalen Transformation nach den USA weltweit auf Rang zwei im Hinblick auf Infrastruktur, Vernetzung und digitalen Bildungsgrad. Auch wenn es nicht so viele globale Digital Player wie in den USA gibt, verfüge Deutschland über eine „solide Logistik-Infrastruktur“, einen „hohen Vernetzungsgrad“ und gutes Grundlagenwissen, sagt Georges Dib, Research-Experte bei Euler-Hermes und einer der Studienautoren.

Dieses Ergebnis steht in krassem Widerspruch zur Realität. Eine „New Work“-Studie der BWA Akademie kommt zum Schluss, dass die Mehrheit der Führungskräfte in der deutschen Wirtschaft mit der fortschreitenden Digitalisierung mehr oder weniger überfordert ist. 28 Prozent seien völlig überfordert, weitere 61 Prozent teilweise. Demnach stoßen nicht weniger als 89 Prozent der deutschen Manager beim Thema Digitalisierung an ihre Grenzen.

Ein noch düstereres Bild zeichnet der Digital-Experte Semih Aridogan. Infolge Missmanagements, fehlenden Tools und mangelhafter Infrastruktur sowie einem gewaltigen Mangel an qualifizierten Talenten sieht er Deutschland im digitalen Mittelalter. Nach seiner Auffassung versagt Deutschland bei der digitalen Innovation.

Die deutschen CEOs und Chief Marketing Officer (CMOs) zeigen sich für die Zukunft schlecht gerüstet. Nach der CMO-Studie 2017 (Facit und Serviceplan) sind nur sechs Prozent der Meinung, dass ihre Unternehmen genug für die Ausbildung und Vorbereitung künftiger CMOs tun. Und nur zehn Prozent bestätigen, dass die Fäden für die Transformation beim CMO zusammenlaufen.
Da wundert es wenig, dass fast zwei Drittel der Unternehmen nicht imstande sind, konkrete Maßnahmen aus datenbasierten Insights abzuleiten. Das ist das Ergebnis der Studie „Future Ready“ der Digitalagentur Wunderman. Drei Viertel der Unternehmen hätten zwar entsprechende Technologien im Einsatz, doch die Abteilungen arbeiten völlig isoliert. Joachim Bader, CEO bei Wunderman: „Wer es nicht schafft, digitale Technologien wirksam einzusetzen, um den Konsumenten spürbare Vorteile zu bieten, wird über kurz oder lang an Relevanz verlieren.”

Noch dramatischer formuliert es Randall Rothenberg, CEO des Interactive Advertising Bureaus. Die großen Marketeers stehen seiner Meinung nach vor einer Krise, wenn sie ihre Business-Modelle nicht schleunigst ändern. Kleinere und mittlere Unternehmen seien deutlich überlegen in der sich digitalisierenden Welt. Die Vorteile von Riesen wie Procter & Gamble und Unilever schmelzen dahin.

Tatsächlich könnten Mittelständler auch in Deutschland zum Treiber der digitalen Revolution werden, schreibt Julia Saswito, Geschäftsführerin der Agentur Triplesense Reply: „Mittelständische Unternehmen stehen für eine ausgeprägte unternehmerische Denke, hohe Innovationskraft und gut ausgebildete Ingenieure wie Spezialisten. Gleichzeitig ist der Mittelstand seit jeher gezwungen, schnell auf Veränderungen zu reagieren, um weiter zu existieren.“

Wie ein schlechter Scherz klingt die Meldung, Zalando baue 250 Stellen im Marketing ab. Sie würden ersetzt durch Entwickler und Datenanalysten. Absatzwirtschaft schreibt: „So gesehen könnten sich die beiden mega-gehypten Marketingtrends Big Data und Social-Media sogar gegen das Marketing im Unternehmen und damit auch gegen einen Teil der Marketingdienstleister richten.“ Ob dies die richtige Reaktion auf die Digitalisierung ist, bezweifeln fast alle Experten.

Procter & Gamble denkt währenddessen um. Zumindest werblich ändert der Konsumgüterriese seine Strategie. Doch wer nun vermutet, dass sie mehr in digitale Werbung investieren, sieht sich getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall. P&G hat seine Investitionen in digitale Kanäle im vergangenen Jahr um $200 Millionen gekürzt.

Flucht aus der Onlinewerbung

Galt die Onlinewerbung jahrelang als Werbe-Überflieger, hat sich inzwischen Resignation breitgemacht. Weltweit stagniert der Zufluss der Werbegelder für die ungeliebten Werbebanner. Die aktuellen Online-Werbeerlöse für die ersten beiden Monate 2018 addieren sich laut Nielsen auf 342 Millionen Euro. Sie sind damit im Vorjahresvergleich (375 Mio. Euro) um nahezu neuen Prozent eingebrochen.

Wie massiv der Rückgang der digitalen Display-Werbung wirklich ist, zeigt sich im Vergleich zur Entwicklung der übrigen Medien. 2017 sanken die Werbeumsätze der Zeitungen um 0,5 Prozent, die der Zeitschriften um 1,6 Prozent. Das Werbefernsehen dagegen wuchs um 1,4 Prozent. Damit verliert Online aktuell mehr als die angeblich sterbenden Printmedien. Das 2017 am stärksten wachsende Mediensegment war zwar ein digitales, es waren jedoch die digitalen Außenwerbe-Screens (DOOH). Deren Umsätze wuchsen um 56 Prozent.

Die digitale Displaywerbung jedoch erweist sich immer mehr als Auslaufmodell. Die Werber suchen bereits neue Spielwiesen. Social Media, das zeigt sich in diesen Wochen, ist es definitiv nicht.

Der Skandal um den Missbrauch von Facebook-User-Daten tut ein Übriges, um das Vertrauen in die Onlinemedien zu erschüttern. Waren es zunächst 50 Millionen User, deren Daten abgegriffen wurden, steigerte Facebook die Zahl zuletzt auf 87 Millionen - um dann mittzuteilen, dass durch ähnliche Datenabgriffe fast alle zwei Milliarden Nutzer betroffen sein können. Der Social Media-Gigant weiß nicht einmal, welche Daten betroffen sind. Cheryl Sandberg, Facebook‘s COO gestand: "Wir wissen bis heute nicht, was für Daten Cambridge Analytica hat."

Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, dass die Identitäten und eine unbekannte Menge an intimsten, persönlichen Daten aller Facebook-Nutzer frei zugänglich sind. Gleichzeitig zu erfahren, dass Facebook SMS ausliest und sogar Telefonanrufe protokolliert, macht Angst vor der digitalen Zukunft. Social Media erweist sich als eine einzige, riesige Spionagefalle.

Kampfansage an die Meinungsbildung.

Volker Schütz, Chefredakteur des Branchenmagazins Horizont, verlangt nicht nur eine Reparatur bei Facebook, sondern des gesamten Internets. Er nennt den Cambridge Analytica-Skandal das „Deepwater Horizon“ der Datenindustrie und fordert eine neue Transparenz: „Wissen darüber, wer was wo und wozu sammelt - und im Zweifelsfall die persönliche Macht, Daten freizugeben oder zu sperren.“

Miriam Meckel, Herausgeberin der Wirtschaftswoche, geht einen Schritt weiter und schlussfolgert: „Die Handelskriege unserer Zeit drehen sich nur noch vordergründig um Materie. Der wahre Kampfplatz sind die Daten. Mit ihnen lassen sich Märkte und ganze Gesellschaften manipulieren, wie wir dieser Tage erfahren müssen. Die 87 Millionen Datenprofile, die Cambridge Analytica aus Facebook abgesaugt hat, sind kein unglücklicher Zwischenfall. Sie sind ein Systemrisiko und eine Kampfansage an den freien Markt der Meinungsbildung.“

Marketing und Werbung müssen sich, vielleicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte, der Verantwortung bewusst werden, die sie mit ihren Werbemilliarden besitzen. Es ist an der Zeit, die komplette Online-Werbung auf den Prüfstand zu stellen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%