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Das große Erwachen in der Werbebranche Quelle: dpa

Das große Kunden-Erwachen

Die Werbekunden ringen um Haltung und die Wirkung ihrer Kampagnen. Sie stellen immer höhere Anforderungen an Medien und Agenturen. Eine Branche könnte es sogar ihre Existenz kosten.

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Immer mehr wird gefordert, dass Marken in ihrer Werbung Haltung zu gesellschaftlichen Fragen zeigen. Schweppes nahm sich das zu Herzen und entwickelte in Brasilien eine Kampagne namens „The Dress for Respect“. Das Problem, auf das Schweppes aufmerksam macht: 86 Prozent der brasilianischen Frauen werden in Nachtclubs belästigt. Schweppes entwickelte daraufhin ein Kleid, das Berührungen registriert und auf einem Display sichtbar macht. Die Marke schickte drei Frauen damit ins Nachtleben von São Paulo. Das Ergebnis: Die Trägerinnen des Kleids wurden mehr als 40 Mal pro Stunde betatscht. Im Anschluss forderte Schweppes im zugehörigen Spot bei Annäherungsversuchen von den Männern mehr Respekt.

Coole Aktion, wird mancher denken. Doch was bringt sie der Marke Schweppes? Wie zahlt sie auf die Marke ein? Oder ist es doch nur ein Griff in die Trickkiste, um Aufmerksamkeit auf dem Rücken angeblicher Haltung zu erzeugen? Wie immer bei solchen Beispielen erfahren wir nicht, ob Schweppes dadurch an Sympathie gewann. Geschweige denn, ob die brasilianischen Männer nun mehr Respekt vor Frauen zeigen. Sicher ist jedoch, dass wir diesen Case wiedersehen werden: Spätestens bei den Einreichungen zu den zahlreichen Werbeawards wie den Cannes Lions. Denn solche Werbeaktionen beeindrucken die Juroren und sind immer gut für einen Preis. Auch wenn sie der werbenden Marke nichts einbringen.

Genau diese Forderung, deutlich mehr Wirkung für ihre Werbung, formulieren die Kunden in diesen Tagen lautstark. Aufmerksamkeit und Reichweite für ihre Kampagnen reichen ihnen nicht mehr aus. Unter Wirkung verstehen sie mehr Absatz, mehr Umsatz. Das ist soweit nachvollziehbar, ist es doch der Ur-Grund, überhaupt zu werben.

Auf der Tagung der Organisation Werbungtreibende (OWM) in Berlin war es kein geringerer als der CEO des Konsumgüter- und Werberiesen Procter & Gamble, Franz-Olaf Kallerhoff: “Das Geld wird der Wirkung folgen. Wir werden kein Geld mehr ausgeben, von dem wir nicht wissen, ob es ankommt.”  Mit der plakativen Forderung „Wirkung statt Reichweite“ adressierte er die Medien, allen voran das Werbefernsehen, das an Reichweite verliert. Seinen Werbeexperten jedoch ist bewusst, dass die Kampagnenwirkung abhängig ist von der Qualität der Marke, ihrer Positionierung, der Relevanz und Einzigartigkeit der Werbebotschaft und der Wahl (!) der richtigen Medien. Für die Wirksamkeit einer Kampagne fühlen sich Medien daher nur begrenzt mitverantwortlich.

Die Not der Werbekunden ist groß. Angesichts von 10.000 Werbebotschaften, mit denen jeder von uns tagtäglich von der Industrie bombardiert wird, suchen sie verzweifelt nach Wegen, die Wirkung ihrer Werbung wieder zu steigern. Dabei setzt man auch schon mal aufs falsche Pferd, insbesondere dann, wenn man jedem Marketing-Buzz hinterherläuft, statt auf bewährte Wirkungsmechanismen zu vertrauen. Als erste der neumodischen Disziplinen erwischt es offenbar das Influencer Marketing.

Der Influencer-Boom ist passé

Drei Milliarden Euro gaben die Werber zuletzt dafür aus, damit Internet-Stars wie Bibi, Lisa und Lena ihre Marken in die YouTube- und Instagram-Kameras halten. Doch für Experten wie Toan Nguyen von Jung von Matt/Sports ist der Buzz vorbei. Lange hat er nicht gehalten, denn der Höhepunkt des Influencer-Booms, der vor zwei Jahren den Werbemarkt überschwemmte, fand im Sommer dieses Jahres statt.

Erste Kunden springen enttäuscht ab. Die Hotelmarke A&O hat erst vor eineinhalb Jahren verkündet, auf Influencer-Marketing setzen zu wollen. Nun kommt die Abkehr. Online-Marketing-Chef Thomas Hertkorn erteilt der Werbung auf Instagram & Co. eine klare Absage. Das Unternehmen sieht den Boom der hochbezahlten Instagram- und YouTube-Stars kritisch. Hertkorn urteilt: "Sehr wenig redaktionelle Kontrolle", "kaum messbarer, direkter Impact" und "unverhältnismäßig hohe Kosten". Immer mehr Unternehmen hinterfragen inzwischen die Wirkung des Influencer-Marketings.

Das größte Problem: Transparenz

Noch deutlicher wurden die Werbungtreibenden auf dem diesjährigen Deutschen Marketing Tag (DMT) in Hannover. Ob Sprachassistenten, Künstliche Intelligenz oder Blockchain - eine Vielzahl neuer Technologien verändert das Marketing nachhaltig. Doch die Kompetenz darüber, welche dieser Technologien wie zum Einsatz kommen sollen, ist in den Unternehmen höchst unterschiedlich ausgeprägt - insbesondere im Mittelstand, wo die Marketingabteilungen nicht beliebig ausgebaut werden können.

Dabei ist nicht mangelnde Kompetenz das größte Problem, sondern die Transparenz. Viele Unternehmen wissen nicht, was mit ihrem Werbegeld geschieht und ob es wirksam investiert wird. Eine aktuelle Analyse des Mediaberatungsunternehmens Ebiquity kommt zum Schluss, dass von jedem Euro, der in programmatisch eingekaufte Werbekampagnen investiert wird, nur noch 15 bis 20 Cent bei der gewünschten Zielgruppe ankommen: „Ein Großteil geht bereits auf den verschlungenen technologischen Wegen des automatisierten Werbeplatz-Handels verloren.“ Die Agenturen würden diese Kosten nach wie vor nicht transparent machen.

Dieser Geldvernichtung gehen immer mehr Unternehmen aus dem Weg und holen sich die Programmatic-Technik ins eigene Haus. So bleiben sie auch Herr ihrer eigenen Daten. Markus Koch, Managing Director bei redblue/Media Markt Saturn, ging diesen Weg. Ihm waren die Agenturen nicht effizient und nicht transparent genug. In den USA haben bereits 80 Prozent der Unternehmen ihren Agenturen Aufgaben wie den Programmatic-Mediaeinkauf entzogen.

Insbesondere die Mediaagenturen müssen die Transparenz ihrer Arbeit steigern, wenn sie nicht von ihren Kunden entsorgt werden wollen. Nach einer Berechnung, die ich auf dem DMT vorstellte, haben die marktbeherrschenden Mediaagenturen - seitdem die Preise für Anzeigen, Spots und Displays frei verhandelt werden - dem Werbemarkt in Summe 5-6 Milliarden Euro entzogen und in die eigene Tasche gewirtschaftet. Alle Bemühungen der Werbungtreibenden, diesen Geldfluss aufzuhalten und wieder Herr der eigenen Werbegelder zu werden, scheiterten.

Blockchain auf dem Vormarsch

Das lässt die Werbekunden nicht kalt. Sie hoffen nun auf die Blockchain. Prof. Dr. Philipp Sandner, Leiter des Frankfurt School Blockchain Center, erklärte auf dem Marketing Tag, dass sich die Blockchain im Finanzwesen in wenigen Jahren als Standard durchsetzen wird. Das wird die finanziellen Transaktionen beim Mediaeinkauf ebenso betreffen. Zusammen mit IBM baut Unilever derzeit eine Blockchain für seinen Mediaeinkauf. Ziel ist es, Transparenz endlich auch darüber zu erhalten, wo digitale Werbung ausgespielt wird und dem Ad Fraud entgegenzuwirken.

Noch ist die Blockchain Zukunftsmusik. In Deutschland haben 9 von 10 Unternehmen einer Studie des Branchenverbandes Bitkom zufolge noch nicht einmal darüber nachgedacht, ob und wie Blockchain genutzt werden könnte.

Düstere Zeiten für Mediaagenturen jedenfalls. Sie tun gut daran, selbst an Blockchain-Lösungen für ihre Kunden zu arbeiten. Die Technologie macht sie ansonsten sehr schnell überflüssig. Ihre Kunden sehen in der Blockchain die Chance, Dauerbaustellen im Digitalen wie Brand Safety und Intransparenz in den digitalen Wertschöpfungsketten zu lösen.

Die Werbekunden scheinen aus dem Dornröschenschlaf der letzten Jahre erwacht zu sein. Sie stellen dem Werbemarkt Forderungen in nie dagewesener Lautstärke. Und das mit Recht.

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