Werbesprech Der Dominoeffekt trifft Werbung und Medien hart

Quelle: imago images

In der Werbebranche herrscht gute Laune, die dunklen Wolken am Horizont will man nicht wahrhaben. 2021 wird Werbung und Medien einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Denn es droht ein gefährlicher Dominoeffekt durch die Coronapandemie.

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Lucas Flöther, Insolvenzverwalter (unter anderem bei Air Berlin, Condor, Unister) findet im Interview mit der WirtschaftsWoche klare Worte: „Die Corona-Maßnahmen verstärken die Zombifizierung der Wirtschaft“. Dazu erläutert er: „Die Einzelhändler treffen die angeordneten Schließungen ihrer Geschäfte ins Mark. Die Pandemie und Weihnachtslockdown könnten jetzt vielen Händlern den Rest geben, denn ausgerechnet die beiden wichtigsten Wochen des Jahres brechen ihnen weg.“ Ab dem Frühjahr rechnet er mit einem kontinuierlichen Anstieg der Insolvenzen.

Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), ergänzt: „Die Lage ist wirklich sehr ernst.„ In den nächsten Monaten drohe eine Insolvenzwelle im Einzelhandel. Und nach Einschätzung des DIW-Präsidenten Marcel Fratzscher kommt eine Welle von Unternehmenspleiten auf Deutschland zu, gekoppelt mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Laut Prognose bedeutet es das Aus für bis zu 50.000 Geschäfte, überwiegend im Einzelhandel. Wegen der Coronapandemie werden nach Ansicht des Ökonomen Gabriel Felbermayr in Deutschland rund 600.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Am härtesten treffe es Bereiche, die einem strukturellen Wandel unterlagen wie die Luftfahrt- und die Tourismusbranche, sagte der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Der Freiberufler-Verband sieht weitere 400.000 Jobs in Gefahr.

Verwerfungen erwarten Experten nicht nur im Handel und der Gastronomie, sondern ebenso bei Hotels und in Kultur- und Messe-Unternehmen. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass sich weitere Wirtschaftszweige anstecken. Es träte ein Dominoeffekt ein, von dem weitaus mehr Branchen betroffen wären.

Sinkende Kaufkraft ist Gift für die Werbung

Zu ihnen gehört die Werbebranche und ebenso die von Werbeeinnahmen abhängigen Medien. Denn jedes insolvente Unternehmen bedeutet einen Werbungtreibenden weniger. Noch folgenreicher: Jedes Unternehmen, das derzeit in Schwierigkeiten steckt oder demnächst gerät, ist ein Unternehmen mehr, das sein Marketingbudget herunterschraubt. Und jeder Umsatz-Euro mehr bei Amazon bedeutet weniger Werbung lokaler Händler.

Unternehmen wie Lufthansa, Commerzbank, Deutsche Bank, Thyssenkrupp – von Autobauern ganz zu schweigen – die derzeit zehntausende von Stellen abbauen, neigen nicht dazu, ihre Werbeaktivitäten zeitgleich zu steigern. Auch hier gilt: Hunderttausende Arbeitslose mehr sind Hunderttausende Verbraucher, die nicht aus dem Vollen schöpfen können. Jede Insolvenz und jeder Arbeitslose bedeutet weniger Kaufkraft, von der Werbe- und Medienbranchen abhängig sind.

Die Folgen der Pandemie treffen bei Handel, Hotels und Veranstaltungen vor allem Zeitungen und nationale Onlinemedien, die ein Rückgang der Werbeumsätze schmerzhaft treffen wird. Eine spürbar nachlassende Kaufkraft würde den Handelsmarken zu Lasten der teureren Marken zugute kommen und somit die TV-Etats der großen Konsumgüterkonzerne schmälern. Es riecht nach Werbe-Rezession.

Gut gelaunt in die Werbekrise

Die Zeichen der Zeit sind deutlich zu erkennen und die Abhängigkeit der Werbung vom Konsumklima hinreichend erwiesen. Dennoch geht die Werbebranche erstaunlich gut gelaunt ins Jahr 2021. Wider besseren Wissens rechnet man mit einem positiven Ergebnis. „Die Werbe-Experten der JOM Group prognostizieren für das Jahr wieder einen spürbaren Anstieg der Werbeinvestitionen“ schreibt iBusiness.

Das alte Werbejahr 2020 wird mit einem Nettoumsatzminus von sechs bis acht Prozent enden. In einem positiven Szenario für das Jahr 2021 geht die Agentur JOM nun davon aus, dass der Werbemarkt dieses Minus ausgleicht und sogar leicht überkompensiert. Selbst unter Annahme des Worst Case rechnet man noch mit einem Wachstum von 3,5 Prozent.



Auch die Marktanalyse der IPG-Tochter Magna lässt laut „Adzine“ hoffen: „Der deutsche Werbemarkt soll sich jedoch schnell erholen. Die Schätzung geht davon aus, dass die Werbespendings 2021 in Deutschland wieder um 7,8 Prozent steigen werden.“

Die Werber reden sich die Krise schön und blenden die Folgen einfach aus. Sie hätten es jedoch besser wissen müssen. Bereits zur Dmexco im Herbst 2020 hatten Branchen-Entscheider ihre Prognose zur Entwicklung des Werbemarktes 2021 abgegeben. “W&V„ beschreibt das Ergebnis: „Insgesamt gehen die Ausgaben für Werbung in Deutschland 2021 leicht zurück. Bei 37 Prozent wird das eigene Unternehmen im kommenden Jahr mehr Werbegeld ausgeben als 2020. Der mit Abstand größte Teil der Befragten (40 Prozent) wird 2021 in keinem Kanal mehr Geld für Werbung ausgeben. Diese Ergebnisse lassen für 2021 leicht sinkende Werbebudgets erwarten.“

Business as usual ist fatal
Eine Umfrage der Organisation Werbungstreibende (OWM) unter ihren Mitgliedern („Werbeausgaben unter Druck“) kommt zum Jahresende zu einem ähnlichen Resultat: „Beim Werbevolumen zeichnen sich für 2021 keine größeren Veränderungen gegenüber 2020 ab. 46 Prozent der Unternehmen gehen von einem gleichbleibenden Volumen für 2021 aus, 54 Prozent wollen ihr Werbevolumen zu mehr oder weniger gleichen Teilen ab- bzw. ausbauen. OWM-Geschäftsführer Joachim Schütz sieht den Grund für die Zurückhaltung darin, dass die Mitgliedsunternehmen für 2021 noch nicht mit einer durchgreifenden gesamtwirtschaftlichen Erholung rechnen.“

Von einer Erholung des Werbemarktes kann demnach keine Rede sein. Business as usual – als wäre nichts geschehen – ist stets der falsche Weg. So wird 2021 wahrlich kein gutes Werbejahr. Viele bereits angeschlagene Medien werden um ihre Existenz bangen müssen.

Learnings aus 2020

Was die Branche aus 2020 lernen kann, beschreibt Jürgen Scharrer in „Horizont“: „Zwar droht nach Print nun auch klassisches Fernsehen unter Druck zu geraten, aber: 2020 war auch das Jahr, in dem vielen Menschen und einigen Marketingleuten sehr bewusst geworden ist, wie wichtig klassische Medien für demokratische Gesellschaften sind. Gerade in diesem Jahr sind eine Reihe von Studien erschienen, die nachweisen, welch überragende Bedeutung TV, Print und Außenwerbung für die Stärke von Marken nach wie vor haben. Zu glauben, One-to-one-Marketing könnte Massenkommunikation weitgehend ersetzen, geht komplett in die Irre. Marken, die zu sehr auf ein ultraspitzes Targeting setzen, laufen Gefahr, für weite Teile der Bevölkerung unsichtbar zu werden.“

Weniger Werbung macht glücklich

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2020 bot reichlich Lernstoff für Marketing und Werbung und öffnete uns die Augen für neue Ansätze. Einige Beispiele: Die Mehrzahl der Marketer fordert Werbungtreibende auf, ihre Gelder auf Medien und Plattformen auszugeben, die im Sinne der Gesellschaft handeln. Die Verbraucher selbst fordern lautstark und seit Jahren mehr Haltung von Unternehmen und ihren Marken.

Gebetsmühlenartig trägt die Marketingbranche selbst vor, man müsse den Endverbrauchern besser zuhören und Forderungen nach Nachhaltigkeit gerecht werden. Und für die Sparwütigen: Wer weniger in AdTech investiert, verdient sogar mehr Geld. Das alles ist auch mit gekürzten Marketingbudgets umsetzbar.

Die jedoch mit Abstand beste Nachricht erreicht uns daher zur passenden Zeit: Eine Studie der University of Warwick kommt zum Schluss, dass uns weniger Werbung zu glücklicheren Menschen macht. 2021 kann kommen.

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