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Der TV-Wahnsinn 2017

2017 wird ein spannendes TV-Jahr. Das analoge Fernsehen, längst totgesagt, erhebt sich gegen die Angriffe der Streaming-Dienste. Erfolgreich, aber oft werbefrei. Für Werbekunden findet sich dennoch ein überraschender und erfolgversprechender Ausweg.

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Jetzt auch noch „Tutti Frutti“
Streaming Quelle: DPA
Tutti Frutti Quelle: dpa
Tutti-Frutti Quelle: dpa
„Glücksrad“ Quelle: DPA
Jan-Hahn Quelle: von ADK (Eigenes Werk), CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Wetten, dass..? Quelle: DPA
Thomas-Gottschalk Quelle: dpa

Das analoge Fernsehen war längst totgesagt. Von Onlinern, die gerne viel vom Sterben der alten Medien reden und mindestens ebenso gerne einem Medium endlich beim Sterben zusehen möchten. Erst waren es die Printmedien, die das Zeitliche segnen sollten. Als das nicht so recht funktionieren wollte, nahmen sie TV ins Visier. Analoges Fernsehen, schon lange nicht mehr das Lagerfeuer der Nation, sollte baldmöglich vom digitalen Streaming abgelöst werden.

Tatsache ist, das zeigen die GfK-Quoten des soeben abgelaufenen Jahres: Der durchschnittliche Fernsehzuschauer saß täglich 223 Minuten vorm analogen Fernseher, also ebenso lange wie 2015. Bei den jüngeren Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren sank der Konsum lediglich von 176 auf 171 Minuten. Es sieht nicht so aus, als liefen dem Fernsehen die Zuschauer in Scharen davon.

Die Quotenhits des Jahres 2016 hatten ebenso viele, bisweilen sogar mehr Zuschauer denn je. Es war ein durch Fußball-EM und Olympia geprägtes Fernsehjahr. Alleine das EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich lockte 30 Millionen Menschen vor den Bildschirm und bescherte dem erneuten Quotensieger des Jahres, dem altehrwürdigen ZDF, einen astronomischen Marktanteil von 80 Prozent. Aber auch Quotenrenner wie die ZDF-„heute show“ legten erneut ordentlich zu.

Zu den Quotenhöhepunkten zählte natürlich wieder einmal der ARD-„Tatort“, aber auch RTL-Dauerbrenner wie „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus“, der es auf 8 Prozent mehr Zuschauer brachte. Übertroffen wurde das nur von „The Voice of Germany“, das sich bei ProSieben/Sat.1 sogar um 11 Prozent steigerte. Der überraschende TV-Sieger des Jahres heißt jedoch Vox. Mit den Eigenproduktionen „Club der roten Bänder“, „Sing meinen Song“ und „Die Höhle der Löwen“ steigerte der kleine Sender seinen Marktanteil auf 7 Prozent und setzte sich zum ersten Mal in seiner Geschichte im Gesamtpublikum sogar vor den bislang größeren Konkurrenten ProSieben.

Kirsche, Erdbeere, Mandarine

2016 war überhaupt das Jahr der kleinen Sender. Der Nachrichtenkanal N24 spricht vom erfolgreichsten Jahr seiner Geschichte. Dank Jan Böhmermann legte auch der werbefreie Spartensender ZDF Neo deutlich zu. Seine „Neo Magazin Royale“-Sendung zu #Verafake war mit fast 500.000 Abrufen zugleich die meistgesehene Sendung in der ZDF-Mediathek. Die Macher hatten zwei Fake-Kandidaten bei der RTL-Kuppelshow "Schwiegertochter gesucht" eingeschleust und zweifelhafte Machenschaften aufgedeckt. Auch „Wilsberg“ rockte zum Jahresende ZDF Neo und hängte dabei sogar Sat.1 und ProSieben ab.

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Der RTL Nitro-Moderator Jörg Dräger brachte es auf den Punkt: „Die kleineren Sender trauen sich oft mehr“ .So holte RTL Nitro das unsägliche Nackedei-Genudel „Tutti Frutti“ um Kirsche, Erdbeere und Mandarine aus der Mottenkiste. Tele5 erfreute derweil seine Gemeinde mehrfach mit dem Kultklamauk „SchleFaZ“, dem schlechtesten Filmen aller Zeiten. Mit Erfolg.

Wer immer noch glaubte, die jungen Zuschauer fänden am Programm der analogen Grufti-Sender keinen Gefallen, wurde eines Besseren belehrt. Am Weihnachtsabend schauten die „Werberelevanten“ ausgerechnet die „Helene Fischer-Show“ und bescherten dem ZDF in der jungen Zielgruppe einen beachtlichen Marktanteil. Mehr junge Zuschauer hatte am gleichen Abend nur die RTL-Neuverfilmung von „Winnetou“.

Winnetou werbefrei

Während der ersten Winnetou-Folge erlebten die Zuschauer eine Premiere: RTL strahlte sie komplett ohne Werbeunterbrechung aus. Amazon hatte als „Weihnachtsgeschenk“ an die Zuschauer alle Werbeblöcke aufgekauft und warb lediglich zu Beginn der Sendung für sein Amazon Prime Video-Angebot. Das wird RTL dennoch so schnell nicht wiederholen, denn bei den beiden weiteren Folgen, die wieder mit normalen Werbeblöcken ausgestrahlt wurden, brach zum Ende der Trilogie die Zuschauerzahl massiv ein. „Werbefrei“ ist demnach ein eigentümliches Signal, das RTL an den Werbemarkt aussendet.

Netflix kann warten

Doch es gibt vom abgelaufenen TV-Jahr nicht nur gute Nachrichten. Der „Tatort“ ist in die Jahre gekommen und beginnt zu schwächeln. Die Erstausstrahlungen wurden von einer halben Million Zuschauern weniger gesehen als noch 2015. W&V-Redakteurin Petra Schwegler macht das Dilemma aus: „Keine Folge ohne Burn-out, Beziehungstragödien, Alkoholprobleme, Familienkrach, Rabenmütter oder Psycho-Anfälle. Während Tatort-Ermittler gehäuft durchs persönliche Schlamassel irrlichtern, wird fast zufällig ein Fall gelöst. Immer öfter endet der Sonntagabend mit dem Gedanken: Dieser Tatort muss auf die Couch!“ Er braucht dringend einen Reset.

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Komaglotzen und Serienmarathon

Währenddessen rüsten die Streaming-Dienste auf und blasen zum Angriff auf die analogen TV-Sender. Sky, Netflix, Amazon und Co. wollen die klassischen TV-Veranstalter mit immer neuen Eigenproduktionen gehörig unter Druck setzen. Die Erfolge von „Game of Thrones“ und „House of Cards“ machen ihnen Mut. Alleine bei Netflix starten in diesem Jahr neun neue Serien.

2017 ist also „Binge Watching“ angesagt. Unter diesem Begriff versteht man „Komaglotzen“ oder auch Serienmarathon: das Schauen von mehreren Folgen einer Serie am Stück. Das Binge-Phänomen ist Studien zufolge bei jüngeren Fans und Serien-Junkies deutlich stärker als bei älteren zu beobachten. Es sind überwiegend Teenager, die am Wochenende stundenlang Serien schauen. Das hat ein bisschen etwas vom PokémonGo-Phänomen.

Da tut sich eine interessante Entwicklung auf, die dem ewigen Konflikt der Generationen gleicht: Analoges Fernsehen wird von den über 30jährigen bevorzugt, die über Konsumkraft verfügen, einen Haushalt führen und eine Familie versorgen. Die Streaming-Dienste ziehen dagegen die Jüngeren an, die weder über Geld, noch über einen festen (Ehe-) Partner verfügen.

Wenn sich das bewahrheitet, wäre es fein für die Werbungtreibenden. Dann könnten die nervigen Dating Sites vom Schlage Parship, Elitepartner, eDarling und c-date die analogen TV-Werbeblöcke Richtung Netflix & Co. verlassen - und die Markenwelt hätte die analoge TV-Welt mit ihren enormen Reichweiten wieder für sich.

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Judith-Sheindlin Quelle: Susan Roberts (Judge Judy & Painting), CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Netflix kann warten

Doch ganz so schnell wird das nicht passieren. Denn am 13. Januar startet wieder #IBES: „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus“. Dann gehört der analoge Bildschirm wieder dem Moderatorenduo Sonja Zietlow und Daniel Hartwich. Freuen wir uns auf den Welt- und Europameister Thomas Häßler, auf Reality-Königin und It-Girl Gina-Lisa Lohfink und die zehn weiteren, mehr oder weniger prominenten Dschungelhelden.

Dann sitzen wir (fast) alle wieder vor der Glotze - die Älteren ebenso wie die Jungen. Versäumen Sie das Spektakel nicht. Netflix kann warten.

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