Werbesprech
Die Weihnachtswerbung im Dezember sollte man nur mit Vorsicht genießen. Quelle: dpa

Der ultimative Weihnachts-Werbe-Bullshit-Check

Jedes Jahr nimmt die Menge der Weihnachts-Werbespots zu. Dann passiert, was häufig mit großen Mengen passiert: sie werden austauschbar und langweilig. Dieses Jahr ist es besonders schlimm.

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In diesen Tagen werden wir am TV-Bildschirm von Weihnachtswerbung berieselt wie nie zuvor. Es gibt gefühlt kaum eine Marke, die uns nicht Frohe Weihnachten wünscht, eine besinnliche Zeit mit unseren Lieben, schöne Geschenke – und Weltfrieden. Und sie drücken dabei auf die Tränendrüse, was das Werbe-Zeug hält. Für viele Zuschauer ist es womöglich eine willkommene Abwechslung, nicht von den immer selben Normalo-Werbespots gelangweilt zu werden. Doch was bringt es den Marken? Und wann wird es zu viel?

Es ist in diesem Jahr unmöglich, auf jeden Weihnachtsspot einzugehen. Aber für ein paar High- und Low-Lights reicht der Platz in dieser Kolumne. Beginnen wir mit einem Evergreen: mit Edeka. In diesem Jahr sehen wir, wie der Weihnachtsmann bei Edeka einkaufen geht, aber nicht nur für seine Lieben, sondern auch für sich selbst. Es ist eine deutliche Abkehr von den rührseligen #heimkommen -Geschichten der Vergangenheit. Edeka fokussiert auf seine Lebensmittel und scheint aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Eine Ausnahme, wie sich zeigt.

Shitstorm unterm Weihnachtsbaum

Wettbewerber Aldi hat sich mit seinem Weihnachtsspot unerwarteten Ärger eingehandelt. Hauptdarsteller ist erneut „Kai Karotte“, der nun seine Familie zum Weihnachtsessen mitbringt. Die Aufregung entbrennt sich an der Kritik einer Journalistin, die meinte, „Aldi habe hier eine Chance vertan, eine nicht-perfekte Familie zu zeigen. Statt einem heterosexuellen Paar vielleicht… eher eine Patchwork-Konstellation. Immerhin machen queere Beziehungen gut 15 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.“ Diese Kritik wiederrum passte der Twitter-Gemeinde nicht – und sorgte so für Aufmerksamkeit für das ansonsten nicht sonderlich aufregende Film-Kunstwerk. Aldi wird darüber wenig begeistert sein, denn die Karotten-Familie lenkt vom eigentlichen Ansinnen des Discounters ab.

Penny entfachte noch mehr Aufmerksamkeit. Der diesjährige Festtags-Film ging viral, avancierte zum Liebling vieler Zuschauer und Kommentatoren und zum meistdiskutierten Film der Vorweihnachtssaison. Die Zeit fasst das Geschehen zusammen: „In dem Spot geht es um die Folgen der Coronapandemie. Lockdowns, geschlossene Clubs und abgesagte Partys oder Flüge haben junge Leute in der so wichtigen Phase des Erwachsenwerdens getroffen. Der Discounter bringt dieses Gefühl mit einem Gespräch zwischen Mutter und Sohn am nächtlichen Küchentisch auf den Punkt. Was sie sich zu Weihnachten wünsche? Die Mutter gerät ins Nachdenken und sieht vor ihrem inneren Auge Szenen, die wohl alle Eltern kennen: Söhne im Teenie-Alter, die sich aus der Wohnung schleichen und feiern gehen oder betrunken irgendwo abgeholt werden müssen. Die Mutter wünscht ihrem Sohn sogar, dass sein Herz gebrochen wird.“ Die Penny-Agentur Serviceplan verteidigt den Storytelling-Ansatz des Films und wünscht uns mehr „Geschichten am Lagerfeuer“. Zweifellos ist er ein schöner, zu Tränen rührender Film zu einem gesellschaftlich wichtigen Thema. Zweifellos aber auch ein Film, der weiter weg vom Angebot des Absenders nicht sein könnte. Am Ende bleibt Penny die Hoffnung, dass er in den Augen der Verbraucher wenigstens als „der Penny-Film“ im Gedächtnis bleibt. Denn zu einem Mehrumsatz am Regal dürfte er kaum beitragen.

Chancen vertan

Einfacher als die Händler haben es einige der großen Marken, die nicht zwingend erwarten, dass ihre Umsätze nach Betrachten des Werbefilms gleich in die Höhe schnellen. Zu ihnen gehört Apple. Im Mittelpunkt ihres „Saving Simon“-Spots (W&V: „Drei Minuten Herzschmerz“) stehen der Schneemann Simon und ein kleines Mädchen, das ihn in einem Kühlfach für den nächsten Winter rettet. Die Besonderheit des Films liegt darin, dass er von zwei Hollywood-Filmemachern mit einem iPhone 13 Pro gedreht wurde. Doch in Wirklichkeit steht ein Kühlschrank im Mittelpunkt des Geschehens. Genial wäre gewesen, wenn ein Kühlschrank-Hersteller wie Bosch oder AEG den Film präsentiert hätten. So bleibt er der rührige Weihnachtsfilm eines Smartphone-Anbieters. Schade, Chance vertan.
Vodafone widmet seinen Spot („Die schönsten Dinge an Weihnachten sind umsonst“) ebenso wie Penny der pandemischen Familiensituation und rüstet sich für den Worst Case. In seiner Weihnachtskampagne verspricht der Telekommunikationskonzern potenziellen Kunden ein besonderes Geschenk, das manchem den Heiligen Abend retten könnte: sechs Monate Nulltarif. Eine gelungene Mischung also aus Sentimentalität und Produkt.

Konkurrent Deutsche Telekom mag es noch schwülstiger. In „Das schönste Geschenk“ erzählt man die berührende Geschichte eines Jungen, der zum Fest nur einen Wunsch hat: mit seiner Familie zusammen zu sein. Der Film erweist sich jedoch als riskant, denn nach den aktuellen Corona-Kontaktbeschränkungen werden viele Familien nicht zusammen feiern können. Was aber selten vorkommt: Die Filme der beiden Kontrahenten sind sich in ihren Bildern so ähnlich, dass sie sich gegenseitig aufheben könnten. Unkonzentrierte Zuschauer werden nicht wissen, wessen Spot sie gerade sahen. Dumm gelaufen.

Magie im Übermaß

Coca-Cola, sonst bekannt für gute Laune, schlägt in diesem Jahr leisere Töne an. Unter ihrem neuen Claim „Real Magic“ wollen sie uns zeigen, so Manolo Arroyo, Global Chief Marketing Officer von Coca-Cola, „dass das Einzige was wir an Weihnachten brauchen, gemeinsame Momente mit unseren geliebten Menschen sind“. Das klingt irgendwie bekannt und sonderlich kreativ ist es ebenso wenig. Mit Magie arbeitet auch McDonald’s: Sie schenken uns einen „Harry Potter-Moment“ mit einem kleinen Mädchen, das mithilfe einer überlangen Pommes als Zauberstab die Straßen verzaubert. Doch damit nicht genug der Magie.

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Deutlich näher am eigenen Produkt liegt Otto , die uns mir ihrer Kampagne das frei erfundene Verb „vorfreue dich“ nahebringen. Dazu Otto: „Unsere Weihnachtskampagne zeigt die vielen magischen Momente rund um die Vorfreude auf Weihnachten.“ Magische Momente? Mitnichten. Wenn die Werber nur ahnten, wie viel Stress den Menschen die Vorweihnachtszeit bereitet…

Amazon, die Handels-Hyäne

Amazon Prime Video hat sich für eine Hyäne als Hauptdarsteller entschieden, dem das Lachen beigebracht wird. Eine nette Geschichte mit einem eklatanten Fehler: wer den kürzeren TV-Spot nicht sehr aufmerksam betrachtet, versteht die Geschichte beim besten Willen nicht. Hängen bleibt nur die Hyäne. Werbe-Legende Dave Trott erläutert in seinem jüngsten Blogpost die Ignoranz der Werber zu glauben, die Verbraucher würden Werbung hochkonzentriert ansehen. Sie tun es nicht. Die Wirkung des Spots verpufft.

Wer aber schießt den diesjährigen Weihnachts-Vogel ab? Es ist keine deutsche Kampagne, auch nicht der britische Händler John Lewis , sondern in diesem Jahr eine norwegische: die dortige Post erzählt von einem Weihnachtsmann, der über die Jahre eine innige Beziehung zu Harry, einem schwulen Mann, aufbaut. Meedia berichtet: „Hintergrund der Geschichte ist, dass Norwegen am 17. Juni 2022 den 50. Jahrestag der Abschaffung des Gesetzes feiert, das den Menschen gleichgeschlechtliche Liebe verbot.“ Dazu gehört Mut, der offenbar belohnt wird. Dazu gehört aber ebenso viel Einfühlungsvermögen.

Werbe-Brei und Marketing-Bullshit

Mut, Einfühlungsvermögen und Kreativität sind in der Weihnachts-Werbeparade dieses Jahres eine Mangelerscheinung. Kaum einer der

Werbungtreibenden und Agenturen traut sich etwas. Die Spots gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Und vermischen sich zu einem Werbe-Brei, dem man zwar nicht ausweichen kann, der aber auch nichts auslöst. Die meisten Kampagnen sind austauschbar – weil einfach nur rührselig – und bleiben damit am Ende wirkungslos.

Mark Ritson, einer der bekanntesten Marketing-Professoren der Welt, geht in einem Beitrag für Marketing Week sogar einen Schritt weiter. Für ihn sind die Weihnachts-Kampagnen nichts als Bullshit: „Christmas advertising is drowning in marketers“ fake tears. Christmas 2021 is shaping up to be an exercise in hyper-emotional brand bullshit.“ Er schlägt in seiner unnachahmlichen Art vor, die ganzen Kampagnen zur Toilette herunterzuspülen. Er wirft den Werbern falsche Tränen und gefakte Sentimentalität vor. Harte Worte. Aber wir sind hier im Marketing und, da hat Ritson recht, eine Verbindung zwischen Film und Marke ist nur selten auszumachen. Dann wäre alles nicht mehr als teurer Marketing-Bullshit.

Kreativ wäre es, eine Weihnachts-Werbegeschichte zu erzählen, die auf die Besonderheiten der Marke einzahlt. Oder will uns Amazon damit sagen, dass sie zu den Handels-Hyänen gehören, die nur unser Bestes – unser Geld – wollen? Dass Einkaufen bei Penny die Corona-Folgen lindert? Oder dass wir zum Weihnachts-Festbraten, wie im Film zu sehen, eine banale Coca-Cola anbieten sollen?

Es gibt einen Ausweg aus dem Weihnachtsdilemma. Statt mit gekünstelter Rührseligkeit die Kundschaft nur einmal im Jahr in den Marketing-Arm zu nehmen: sie das ganze Jahr über mit kundenorientierter und respektvoller Kommunikation zu wertschätzen. Dann würden die Verbraucher ihre „Love Brands“ mit Vergnügen zurücklieben. Das ganze Jahr über.

Mehr zum Thema: Mediaberater Thomas Koch widmet sich in seiner Kolumne Werbesprech dem Werbe- und Kommunikationsmarkt. Lesen Sie hier die vergangenen Kolumnen.

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