Die Digitalisierung stellt alles auf den Kopf. Ganz besonders gilt das für die Mediennutzung und damit für die gesamte Marketing- und Werbebranche. Immer mehr Werbegelder fließen in digitale Kommunikation. In den USA, die uns etliche Jahre voraus sind, werden die Ausgaben für digitale Werbung im nächsten Jahr erstmals die des langjährigen Leitmediums TV übersteigen.
Deutschland hingegen befindet sich noch im digitalen Werbe-Mittelalter. Hierzulande investieren die Unternehmen 1,7 Milliarden Euro in Online und Mobile Display-Werbung, also etwa so viel wie auch in Anzeigenblätter.
Während die klassischen, analogen Medien Print und TV nach und nach an Reichweite einbüßen und die Verbraucher zunehmend digitale und verstärkt auch mobile Angebote nutzen, entwickelt sich ausgerechnet Online-Werbung zum Problemkind.
Nach Angaben amerikanischer Quellen wird ein Großteil der Online-Werbung nicht an Menschen, sondern an Bots ausgeliefert. Und die Automatisierung der Abläufe schafft immer neuen Raum für Betrüger.
Dieses Thema wird in Deutschland noch weitgehend ignoriert oder als nicht signifikant abgetan. Kürzlich sprach jedoch Thomas Wrobel, Global Head of Performance Marketing beim Reiseportal Trivago, das Problem erstmals öffentlich an und sprach dabei ebenso von professionalisiertem Betrug. Man bemühe sich, Budgets für derart unwirksame Kampagnen zurückzuhalten.
Werbebranche vom Blitz getroffen
Das würde erklären, warum immer weniger Menschen auf Werbebanner klicken. Experten zufolge liegt die durchschnittliche Klickrate bei nur noch 0,1 Prozent. Die Fachpresse witzelt bereits, dass die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz getroffen zu werden, inzwischen höher ist, als dass jemand versehentlich auf einen Werbebanner klickt.
Ein weiterer Grund ist der drastische Anstieg der Adblocker: User installieren vermehrt Software, um Werbung unsichtbar zu machen. Im 4. Quartal 2015 stieg ihr Anteil weltweit von bislang 28 Prozent plötzlich auf 38 Prozent. Angeblich wurde dieser Anstieg ausgelöst durch Pre-Rolls - also Werbung, die vor Videoinhalte geschaltet wird.
Die Deutschen zählen leider zu den Adblock-Weltmeistern, so dass sich einzelne Verlage bereits gezwungen sehen, Usern mit Adblockern den Zugang zu ihren redaktionellen Inhalten zu verwehren. Denn jeder Werbeverweigerer senkt zwangsläufig die Werbeeinnahmen der Publisher.
Thomas Strerath, Vorstand der Werbeagentur Jung von Matt, hält Adblocker dagegen für das Beste, was der Branche passieren konnte. Sie seien ein Zeichen dafür, dass die Freiwilligkeit des Konsums auch für Werbung gelte. Damit hat der Mann nicht unrecht.
Online-Werbung nervt
Ebenso geht den meisten Verbrauchern das Online-Tracking gehörig auf die Nerven. Sie sind es leid, von Werbung verfolgt zu werden, sobald sie bei Google oder einem Online-Shop etwas in die Suche eingeben oder ansehen. Der Insider Jacques Mattheij hat darüber eine lesenswerte, weil amüsante und zugleich erschreckende Erzählung geschrieben, in der er Online-Tracking einfach ins wahre Leben übertrug.
Unter Druck stehen auch Facebook und YouTube. Nach Berechnungen von „Wirkstoff TV“ sind nur 2 Prozent der Menschen, die auf Facebook Marken liken, überhaupt aktiv - und die Hälfte davon sogar eigene Mitarbeiter.
Die Tücken der Tracking-Werbung zeigen sich hier immer wieder: Mir liefert etwa Facebook Werbung eines japanischen Kettensägenherstellers aus, der einen Vertriebspartner in Deutschland sucht. Und bei Twitter beschwert sich ein User: „Irgend ein Algorithmus bei Facebook glaubt, ich würde gern Werbung für Lötstationen auf Französisch eingeblendet bekommen.“
Da wird von den Werbungtreibenden wohl noch viel Lehrgeld gezahlt.
SevenOne Media, Vermarkter unter anderem von Pro Sieben und Sat.1, rechnet vor, dass die Verweildauer der Hälfte der YouTube-Nutzer unter einer Minute am Tag liegt. TV-Sender hingegen bringen es auf über 220 Minuten. YouTube besäße demnach einen Bewegtbild-Marktanteil von weit unter 0,5 Prozent und könne als Werbekanal vernachlässigt werden.
Verständlich also, dass Stimmen laut werden, die die Wirkung der Online-Werbung in Frage stellen. Bill Cromwell von Medialife stellt die provokante Frage: „Does online advertising actually work?“ Er kommt zum Schluss, dass Online nicht wirksamer sei als andere Medien und verweist darauf, dass hinter 85 Prozent aller Banner-Klicks lediglich 8 Prozent der User stecken.
Dennoch setzen Vorzeige-Marketeers wie Procter & Gamble immer stärker auf die digitalen Medien. Die Erfolgsbeispiele, die sie anführen, sind jedoch keine Displaylösungen, sondern aufwändige Kampagnen wie #LikeAGirl, mit der die Marke Always gegen weibliche Vorurteile kämpft.
Die Rettung naht
Viele Experten sehen die Lösung in Native Advertising und Content Marketing. Native wurde auf der weltgrößten Digital-Konferenz SXSW in Austin als der neue, heiße Trend gehandelt. Hierbei bettet sich die Werbung invasiv in die redaktionellen Inhalte ein. Kritiker bemängeln, sie lege die Verbraucher rein, weil sie so tue, als wäre sie nicht Reklame sondern redaktioneller Inhalt. Tatsache ist, dass dabei nur die besten Marken mit den hochwertigsten Inhalten gewinnen können. Damit darf bezweifelt werden, ob Native Werbung sich für die Masse der beworbenen Produkte eignet.
Über die künftige Bedeutung von Content Marketing wird derzeit in der Werbebranche gestritten wie selten zuvor. Die einen halten den Hype um Content für „Unsinn“, so Sodastream-Europachef Rinsche, andere für den Stein der Weisen. Die Produktion und Distribution von Inhalten, die die Zielgruppe interessieren, jedoch nicht wie banale Produktwerbung daherkommen, könnte tatsächlich ein Ausweg aus dem digitalen Dilemma sein.
Content Marketing macht die Botschaft der Marke relevanter und die Qualität der Kommunikation damit zwangsläufig hochwertiger. Allerdings ist die Produktion derartiger Inhalte deutlich teurer als die herkömmlicher Werbemittel. Und da der Effekt sich meist nicht unmittelbar auf den Abverkauf auswirkt, werden die Unternehmens-Controller kein gutes Haar daran lassen. So bliebe Content eine Spielwiese für Entscheider, die begreifen, dass sie damit immerhin zu ihren Kunden durchdringen - und sich so von den 80+ Prozent der Kampagnen absetzen, die ohnehin wirkungslos verpuffen.
Damit erleben wir hoffentlich die digitale Revolution. Und digitale Werbung hätte endlich einen Sinn.