Eine australische Studie zeigt, dass Marketers und Werber die Nutzung digitaler Medien maßlos überschätzen. So glaubten die Fachleute, dass 89 Prozent der Menschen Instagram nutzen, während es in Wirklichkeit in Australien nur 33 Prozent sind. Auch bei Netflix (78 vs. 28 Prozent) lagen die Werber peinlich daneben. Bei einer Befragung in Deutschland käme man vermutlich zu einem sehr ähnlichen Ergebnis.
Wo Unternehmen, die von Storytelling, relevantem Content und Customer Relationship Marketing faseln und ihre Kunden charmant verführen könnten, nehmen sie sie in Geiselhaft oder überrumpeln sie gnadenlos. Check-out-Prozesse, die einem Spießrutenlauf gleichen, nie abgeschlossene Verträge, unaufgeforderte Newsletter, die sich nicht abbestellen lassen - der digitale Umgang der Unternehmen mit ihren Kunden wird immer ruppiger.
Doch langsam erwachen die ersten Großkonzerne und hinterfragen ihre Beziehung zu den Endverbrauchern. Beim Jahrestreffen des globalen Consumer Goods Forum griff Danone-Chef Emmanuel Faber die eigene Branche hart an: „Wir verprellen die Konsumenten. Haben wir nicht jahrelang den Zusammenhang zwischen Kalorienzufuhr und Übergewicht geleugnet, obwohl dieser unübersehbar ist? Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir entweder die Wahl der Konsumenten bekämpfen, oder ihnen selbst die Alternativen anbieten.“ Die gesamte Werbebranche muss schleunigst umdenken und diesem Beispiel folgen.
Tatsächlich kauft nur jeder vierte Millennial in Deutschland Markenprodukte. Aber fast zwei Drittel der Digital Natives wird es immer wichtiger, dass Marken einen positiven gesellschaftlichen Beitrag leisten. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos. Marken mit ethischen Grundsätzen, so die Studie, sind bei den begehrten Millennials deutlich im Vorteil.
Werbung als Brechreiz
Immer mehr Werbung verursacht bei vielen Menschen eher Brechreiz und ist höchstens noch mit dem Humor eines Tom Fishburne zu ertragen. Oder Kopfschütteln, wenn einem Agenturgeschäftsführer in Düsseldorf von Monster.de ein Job als „Mitarbeiter/in Warenservice und Kasse in Ritterhude“ angeboten wird.
Wie dankbar ist man da, wenn im allabendlichen TV-Werbeblock wenigstens ab und an ein Spot wie von Samsung oder Amazon kommt, an dem man sich auch nach der dritten Wiederholung erfreuen kann.
Auf den Screenforce Days appellierte Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, an die Verantwortung, die werbende Unternehmen besitzen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Appell nicht wirkungslos verhallt.
Die Werbebranche muss dringend die entstandene Unwucht beheben, einen Gang runterschalten, den um sich greifenden Aktionismus abstellen und zur Besinnung kommen. Die Werber müssen sich ihrer Verantwortung und ihrer Aufgabe bewusst werden, bevor die Verbraucher komplett abschalten. Denn alleine der „consumer is king“.